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Global, Opinion
21.06.2022, Coopération internationale
Selon le professeur Patrick Ziltener, la Chine remet en question la domination des valeurs occidentales et va transformer la mondialisation. Entretien avec Andreas Missbach.
Viele sehen gegenwärtig das Ende der Globalisierung angebrochen: China ist seit den Neunzigerjahren rasant gewachsen. Erwarten Sie, dass China in Zukunft weniger auf die Globalisierung − verstanden als Weltmarktdynamik − zählen kann?
Patrick Ziltener: Alles deutet darauf hin, dass die Globalisierung fortgesetzt wird, aber nicht eins zu eins wie der Globalisierungsschub der letzten 40 Jahre. China macht auch explizit deutlich, dass es an einer Fortsetzung der Globalisierung interessiert ist, aber sie wird stärker chinesisch geprägt sein. Chinesische Regeln, Standards und Methoden werden verbreiteter sein und es wird nicht so sein, dass der Westen die Regeln weiterhin diktiert. Bei uns ist nicht auf dem Radar, dass Ostasien die Globalisierung fortgesetzt hat, als sie im Westen schon stagnierte: China hat das pazifische Projekt der Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) vorangetrieben, während Donald Trump die westlich dominierte Transpacific Partnership (TPP) beerdigt hat.
Das heisst, wir haben nicht mehr eine globale Globalisierung, sondern eine geteilte Globalisierung, wobei sich die Einflusssphären in unterschiedlicher Geschwindigkeit und Intensität globalisieren.
Ja, und zwar Vertiefung und Liberalisierung im Pazifischen Raum – und nichts im Westen. Die WTO ist weiterhin blockiert und China sieht das nicht als Hauptarena, sondern fokussiert auf die regionale Integration und natürlich auf die Neue Seidenstrasse. Früher war China ein «rule taker», jetzt ist China ein «rule maker». Aber wir dürfen nicht vergessen, dass China auf dem Weltmarkt überall kompetitiv schon drin ist. Wenn die Weltbank eine Ausschreibung macht für irgendwelche Projekte, dann gewinnen in 40% der Fälle chinesische Akteure.
China hat jedoch bei seinem Wachstum gerade nicht auf die Rezepte der Globalisierer, verkörpert durch den «Davos-Mann» und den Konsens von Washington, gesetzt. Was waren die Erfolgsfaktoren für den Aufstieg Chinas?
China hat alles studiert, es hat studiert wie Japan, Südkorea, Taiwan oder Singapur aufgestiegen sind und hat daraus gelernt, dass Weltmarktintegration möglich ist und eine sehr starke Dynamik entfalten kann, dass aber das Ganze gesteuert werden muss. Es werden Anreize gesetzt und Räume geöffnet, aber immer schrittweise und nie als «Big Bang» durch eine ideologische Wirtschaftspolitik, sondern ganz pragmatisch. Das fing an mit diesen Sonderwirtschaftszonen Shenzhen und in der Provinz Fujian, dann hat man diese Erfahrungen ausgewertet, man hat Gesetzgebung und Regulierungen angepasst und schrittweise auf andere Branchen ausgedehnt. Diese Kombination von Marktelementen und Steuerungselementen hat eine unglaubliche Dynamik angefacht, die vorbereitet und begleitet wurde durch eine staatliche Infrastrukturpolitik. Das Ganze war nie von der Idee der vollständigen Liberalisierung geleitet.
Und China hat auch den ausländischen Unternehmen nicht einfach freie Hand gegeben.
Es gibt immer rote Linien irgendwo am Horizont und der Spielraum der Unternehmen hängt ganz davon ab, wie sie in die chinesische Agenda passen: Entweder wird ihnen der rote Teppich ausgerollt oder sie sind dazu aufgefordert zu gehen. Deshalb sind die Erfahrungen von UnternehmerInnen so widersprüchlich. Eine Zeit lang sah es auch so aus, als würde der Einfluss der Staatsunternehmen schrittweise abgebaut und verschwinden. Das ist aber nicht mehr der Fall und es ist ganz klar, dass der staatlich kontrollierte Sektor eines der Standbeine ist und immer bleiben wird. Die autoritären Tendenzen zeigen sich auch in der Wirtschaft: In jedem Unternehmen müssen Parteigruppen gebildet werden, auch in ausländischen Unternehmen. Walmart in China hat also eine kommunistische Parteigruppe. In den meisten Fällen haben diese keinen direkten Einfluss auf die operative Tätigkeit der Unternehmen, aber sie sind eine Art Rückversicherung: Wenn irgendetwas nicht in die richtige Richtung läuft, dann gibt es dieses Instrument für Korrekturen im Sinne der Führung.
Wie definiert sich denn die richtige Richtung? Hat sich etwas geändert oder geht es einfach immer um Wachstum und wirtschaftliche Stärke?
Das absolut überragende Ziel ist politische Stabilität, also was man auf Englisch «regime survival» nennt. Danach kommt Wirtschaftswachstum, aber nicht einfach Wirtschaftswachstum, sondern die Herausbildung von weltmarkkonkurrenzfähigen chinesischen Unternehmen, so wie Huawei. Die Politik kommuniziert ganz offen, in welchen Bereichen die Prioritäten liegen, sei es in der Luftfahrt, in der Agrartechnik oder in der Robotik. Da wird es irgendwann Weltmarktkonkurrenz durch einige sehr grosse chinesische Unternehmen geben, die unserer ABB und unserer Novartis und irgendwann auch Nestlé das Fürchten lehren werden.
Zurück zur unmittelbaren Aktualität: Die chinesische Führung ist angesichts des Kriegs in der Ukraine in einem Dilemma: Einerseits möchte sie eine «eurasische» Allianz mit Russland gegen die USA, andererseits ist der Westen für die chinesische Wirtschaft viel wichtiger. Teilen Sie diese Einschätzung? Falls ja, wie wird die chinesische Führung in dieser Situation navigieren?
Das Ganze ist eine äusserst unangenehme Situation für China, das hat man auch in der ersten Pressekonferenz gesehen, als die Sprecherin des Aussenministeriums lavieren musste. Einerseits besteht China auf dem Prinzip der Nichteinmischung und des Nichteinsatzes kriegerischer Mittel. Andererseits, und das gilt auch für die Bevölkerung, gibt man weitgehend dem Westen die Schuld, mit dem Argument, dass die Osterweiterung der Nato und das Eindämmen von Russland die Hauptursachen für den Krieg seien. Eigentlich billigt China also das Verhalten Russlands nicht und das ist aus meiner Sicht die gute Nachricht: China wird aus grundsätzlicher Sicht nie zu einem solchen Mittel greifen, es wird zum Beispiel nie Taiwan ins Mutterland eingliedern, wie Russland das mit der Krim gemacht hat. Das wird hingegen ein strategisches Spiel werden, das bereits begann, als Xi Jinping sagte hat, das Problem Taiwan werde nicht an zukünftige Generationen übergeben.
Aber wie wird das denn ohne militärische Mittel gehen, wenn es Taiwan nicht so toll findet, Teil Chinas zu werden?
Ich halte ein Szenario für am wahrscheinlichsten, das langfristig angelegt ist und schrittweise ein Eingrenzen und ein Abschnüren von Taiwan beinhaltet. Ein erster Zug könnte sein, dass China sagt, es halte die Versorgung Taiwans und den Schiffsverkehr nicht mehr für sicher. Was das an der Börse in Taiwan bewirken würde, ist völlig klar. Dank solchen Methoden, also indem Taiwan das Wasser abgegraben wird, soll es dann irgendwann China wie eine reife Frucht in den Schoss fallen.
Sie haben zur Neuen Seidenstrasse und zum Einfluss Chinas auf Afrika geforscht. Stimmt der oft gehörte Vorwurf, China sei einfach nur eine weitere koloniale Macht?
Meine Definition von Kolonialismus beinhaltet Zwangsmassnahmen, die unter Gewalteinsatz oder unter Androhung von Gewalt durchgesetzt werden. Das ist die berühmte Kanonenbootpolitik, die ich bei China nicht sehe. Jetzt kann man natürlich den Begriff des Neokolonialismus verwenden, also Dominanz und Manipulation durch nicht-militärische Mittel. Das findet teilweise statt, aber vor allem in der frühen Phase der Neuen Seidenstrasse sind die Chinesen gekommen und haben gefragt: «Was wollt ihr»? Und wenn der Präsident eines afrikanischen Landes gesagt hat, er wolle eine Autobahn, die in seine Heimatstadt oder sein Heimatdorf führt, dann wurde diese gebaut, und zwar ohne wirtschaftliche Überlegungen. Das hat sich ein bisschen geändert, die Projekte werden besser ausgesucht und umgesetzt. Das ist für mich sowieso das Bemerkenswerte: Das Ganze ist ein lernender Organismus, es wird ausgewertet, da werden Erfahrungen geteilt und dann werden neue Standards gesetzt, und zwar ständig.
Die Bevölkerung sieht das aber oft anders.
Es gibt erste Forschungsergebnisse, die zeigen, dass durch erfolgreiche Projekte, zum Beispiel eine neuen Eisenbahnlinie in Nigeria, die Haltung gegenüber China positiv beeinflusst wird. Aber in den meisten Ländern, die ich angeschaut habe, ist das Misstrauen in der Bevölkerung gegenüber der eigenen Regierung sehr gross und genauso gegenüber China. Was die dann zusammen unter nicht transparenten Bedingungen machen, stösst erst Recht auf grosses Misstrauen, im Sinne von «unsere korrupte Elite macht mit China gemeinsame Sache und fischt unsere Rohstoffe ab».
Also doch primär Rohstoffe, wie in der klassischen kolonialen Arbeitsteilung?
China ist interessiert an einer ununterbrochenen Zufuhr von Rohstoffen, die zentral sind für die chinesische Industrie, und zwar für fortgeschrittene Bereiche wie Informatik und Kommunikationstechnologien. Natürlich gibt es das grosse Wettrennen um Rohstoffe, zum Beispiel im Kongo oder in Sambia, und China ist da ebenfalls tätig, als ein Akteur unter anderen; gerade in der Schweiz beherbergen wir ja auch solche zentralen Akteure. Die Forschung zeigt aber einen Unterschied: Chinesische Unternehmen sind an der stetigen Zufuhr dieser Ressourcen nach China interessiert, unabhängig vom Weltmarktpreis, während westliche Unternehmen auf den Weltmarktpreis reagieren und dann die Förderung ausbauen oder zurückfahren, Leute einstellen oder feuern. China macht auch mit diesen Ressourcen sogenannte «Swap Deals», also bietet die Möglichkeit an, dass Infrastrukturprojekte mit Rohstoffen bezahlt werden können. Das ist nicht neu, das gab es schon lange vor China, und China hat das selber auch erlebt: Es gab japanische Infrastrukturprojekte in China, die mit chinesischen Ressourcen bezahlt wurden. China macht aber auch sehr viel mehr, als nur die Rohstoffprojekte zu sichern, nämlich Infrastrukturprojekte wie Staudämme, Sportstadien, Parlamentsgebäude oder das Hauptquartier der Afrikanischen Union. China verkauft das nicht als Entwicklungshilfe, sondern sieht es als «win-win» und ist dabei ganz selbstbewusst der Ansicht, es mache es besser als der Westen.
Und wo liegt hier tatsächlich der Unterschied zu vom Westen finanzierten Infrastrukturprojekten?
Es gibt keine Umweltverträglichkeitsprüfung, keine Sozialverträglichkeitsprüfungen, keine Bedingungen werden daran geknüpft; das macht es natürlich attraktiv für afrikanische PolitikerInnen. Es gibt auch keine Transparenzbestimmungen oder Korruptionsbekämpfung. Der zweite grosse Vorteil für afrikanische Regierungen ist das Tempo. China schafft es in zwei, drei oder vier Jahren, einen Flughafen hinzustellen und gerade dort, wo Wahlen gewonnen werden müssen, spielt das eine sehr grosse Rolle.
Also schwächt China die Demokratie in Afrika – auch so ein Topos – oder trägt sogar zu Autoritarismus bei?
Die selbst erklärte Absicht Chinas, sich nicht in innere Angelegenheiten anderer Länder einzumischen, ist durchaus glaubwürdig. Der Regimetyp spielt im Prinzip keine Rolle. Ob autoritäre Herrschaft, Diktatur oder Demokratie: Wenn es ein geeignetes Projekt gibt, dann machen sie das. Zweitens strebt China tatsächlich keinen Regime-Export an. China fördert aber die Stabilität dieser verschiedenen Regime, zumindest stellenweise durch Entwicklungserfolge, aber dann gibt es die autoritäre Seite. Was mir dabei besonders bedenklich erscheint: China exportiert auch Methoden zur Stabilisierung von Regimen in Form von Beeinflussung der Öffentlichkeit und durch Überwachungstechnologien. China bildet etwa Experten aus in Manipulationstechniken, die es selber anwendet, zum Beispiel auf den sozialen Medien. Hier liegt also schon die Gefahr des Autoritarismus und auch der Verstärkung autoritärer Tendenzen von Regierungen, die demokratisch an die Macht gekommen sind.
Noch zu einem letzten Topos: China treibt mit seinen Investitionen und mit seinen Projekten Afrika in die Schuldknechtschaft.
Ja, das ist ein Trend, den es gab. Das hängt einerseits damit zusammen, dass China noch nicht so viel Erfahrung mit dem Schuldenmanagement hat und gerade jetzt erlebt, dass Überschuldung zu einem Problem werden kann. Die Forschung konnte aber nicht nachweisen, dass China eine aktive Verschuldungsstrategie verfolgt, damit Länder abhängig werden, ihre Schulden nicht mehr bedienen können und man dann irgendwelche Bedingungen diktieren kann. Es gibt einige wenige Länder, bei denen der Anteil der Schulden gegenüber China so dramatisch ist, dass man sagen muss, diese Länder sind faktisch abhängig von China, zum Beispiel Dschibuti. Die meisten Länder haben aber mehrere Standbeine.
China hat völlig andere wirtschaftliche und politische Ordnungsvorstellungen. Wenn es Alternativen zu den neoliberalen Rezepten des «Washington Consensus» formuliert, kann das positiv sein, aber was geschieht mit dem UNO-System, den Werten, die uns lieb sind: Menschenrechte, Minderheitenrechte, politische Partizipation der Zivilgesellschaft und so weiter?
Hier sollten bei uns die Alarmglocken läuten: China hat auch da ganz offensiv eine Ansage gemacht: «Wir werden dieses System verändern, es wird weniger westlich geprägt sein und es wird stärker asiatische und insbesondere chinesische Eigenschaften haben.» Was aus chinesischer Sicht eine Überbetonung individueller Freiheitsrechte ist, wird relativiert zugunsten von wirtschaftlichen und sozialen Rechten auf Entwicklung und Recht auf Sicherheit; das bedeutet dann eben aus unserer Sicht mehr autoritäre Elemente. Zum ersten Mal seit dem Ende des Kalten Krieges formuliert ein Akteur offen eine offensive Agenda, was die Dominanz westlicher Institutionen und westlicher Werte in Frage stellt. Das ist äusserst ernst zu nehmen. Was wir bis jetzt gesehen haben, sind symbolische Aktionen: Zum Beispiel mobilisiert China gegen den Vorwurf der Verschlechterung der Menschenrechtslage seine befreundeten Staaten. China macht dann in der UNO eine Show und sagt, okay, es sind 24 westliche Länder, die uns kritisieren, aber es sind 50 UNO-Mitglieder, die sich dagegen verwahren und sagen «das ist nicht gerechtfertigt». Solche Konflikte werden zunehmen, nicht nur auf symbolischer Ebene. Die UNO wird in vielerlei Hinsicht, und zwar bei den Massnahmen, die der Westen durchgesetzt hat, etwa Sanktionen oder Interventionen zum Schutz der Menschenrechte, weniger handlungsfähig werden.
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