Tied Aid in der IZA

Wer profitiert von Schweizer Entwicklungsgeldern?

29.11.2024, Internationale Zusammenarbeit

Die an Gegengeschäfte gebundene Hilfe ist in der internationalen Zusammenarbeit seit Jahrzehnten verpönt. Die Geberländer scheint das aber kaum zu stören. Im Gegenteil: Auch in der Schweiz wird die gebundene Hilfe wieder salonfähig. Einordnung von Laura Ebneter

Laura Ebneter
Laura Ebneter

Expertin für internationale Zusammenarbeit

Wer profitiert von Schweizer Entwicklungsgeldern?

Noch keine Wirtschaftshilfe für Schweizer Firmen: Im März 2022, nach Beginn der russischen Grossoffensive gegen die Ukraine, liefert die Schweiz humanitäre Hilfsgüter. © Keystone / Michael Buholzer

 

«Wenn wir Entwicklungszusammenarbeit machen, dann wollen wir vor allem der lokalen Wirtschaft Aufträge zukommen lassen. Hier geht es aber um den Wiederaufbau [der Ukraine]. Hier sind wir in einer anderen Logik», sagte Helene Budliger-Artieda, Direktorin des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO, im Sommer 2024 in einem Radiointerview bei SRF. Im Gespräch geht es um die Pläne des Bundesrats für die Unterstützung der Ukraine. Der Bundesrat sieht in den nächsten vier Jahren 1.5 Milliarden Franken für die Unterstützung der Ukraine vor. 500 Millionen davon sollen Schweizer Unternehmen zugutekommen, die in der Ukraine tätig sind. Ist das noch Entwicklungszusammenarbeit oder ist es Exportförderung?

Es handelt sich dabei um die verpönte gebundene Hilfe (tied aid). Das sind Entwicklungsgelder, die an die Bedingung der Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen aus den Geberländern geknüpft werden. Deshalb wird oft auch von Einkaufsgutscheinen gesprochen. Den Partnerländern bleibt dabei nichts anderes übrig: In einer Notlage nimmt man auch die Einkaufsgutscheine der Migros, auch wenn dies dem eigenen Dorfladen schadet, der für die lokale Bevölkerung mittelfristig viel wichtiger wäre.

Schlechter Deal für den Globalen Süden

Alle verfügbaren Schätzungen kommen zum selben Schluss: Wenn Güter und Dienstleistungen in den Geberländern beschafft werden müssen, kosten die Projekte 15-30% mehr, als wenn die Länder einen Anbieter wählen könnten. Zusammenarbeit ohne Gegengeschäfte stärkt aber nicht nur die Effizienz des Mitteleinsatzes und die Selbstbestimmung der Partnerländer. Durch die Förderung lokaler Märkte und Unternehmen schafft sie zusätzliche positive Impulse, die über die Projektresultate hinaus gehen. Werden lokale Anbieter berücksichtigt, gibt es zudem weniger Probleme bei der Beschaffung von Ersatzteilen, da die Lieferketten deutlich kürzer sind. Andernfalls sind die Instandhaltungskosten höher und können den langfristigen Erfolg verunmöglichen, wenn nach Abschluss des Projekts die Mittel fehlen.

Haben wir nichts aus der Geschichte gelernt?

Die gebundene Hilfe ist Teil einer Jahrzehnte alten Diskussion zur Wirksamkeit der Entwicklungsfinanzierung. Im Kern geht es um zwei eng verknüpfte Anliegen: einerseits um eine zukunftsgerichtete internationale Zusammenarbeit, die auf Wirksamkeitsprinzipien und Effizienz beruht. Damit tangiert die Debatte zur ungebundenen Hilfe auch die Dekolonisierungsagenda: Die Partnerländer sollen über ihren Entwicklungspfad selber bestimmen können. Zum anderen geht es um die potenziell verzerrenden Auswirkungen bei der Vergabe von Mitteln, die an die Ausfuhr von Gütern und Dienstleistungen aus den Geberländern gebunden sind.

Und es geht auch um gleich lange Spiesse. Denn zu Recht kritisieren diejenigen Länder, die von der Praxis der gebundenen Hilfe absehen – das heisst ihre Aufträge international ausschreiben –, sie würden benachteiligt, wenn es andere Länder ihnen nicht gleichtun. So haben beispielsweise Schweizer Anbieter nur limitierten Zugang zu anderen Märkten, internationale Anbieter aber guten Zugang zum Schweizer Beschaffungswesen.

Um international koordiniert vorzugehen, haben die Geberländer sich im Rahmen der OECD 2001 auf die «Recommendation on Untying Official Development Assistance (ODA)» geeinigt. Ziel der gemeinsamen Übereinkunft war und ist es, möglichst viele Entwicklungsgelder ungebunden zu vergeben und damit die Effizienz und Wirksamkeit der internationalen Zusammenarbeit zu stärken. Denn die Staatengemeinschaft ist sich einig, dass diese Form der öffentlichen Entwicklungsfinanzierung paternalistisch, teuer und ineffizient ist.

Undurchsichtige Wege führen ins Inland

Im internationalen Vergleich steht die Schweiz bei den offiziellen Zahlen der ungebundenen Hilfe bislang gut da. Gemäss einer Analyse der OECD hat die Schweiz 2021 und 2022 3% der Mittel gebunden vergeben. Jedoch vermittelt die Analyse nur ein unvollständiges Bild, denn die Zahl umfasst nur die Vergabe von eindeutig gebundenen Mitteln. Es gibt aber auch informelle Wege, um inländische Anbieter zu bevorzugen. So kann der Bewerberkreis zum Beispiel über die Sprache der Ausschreibung, den finanziellen Umfang der Projekte oder die Wahl des Kommunikationskanals gesteuert werden.

Einen genauen Überblick über den Umfang der informell gebundenen Hilfe gibt es nicht. Anhand der Vergabestatistik lässt sich jedoch abschätzen, wie viele der ausgeschriebenen Mittel an inländische Anbieter gehen. Gemäss Auswertungen von Eurodad, dem Europäischen Netzwerk zu Schulden und Entwicklung, wurden 2018 – neuere Daten gibt es nicht – 52% aller ungebundenen Mittel an Lieferanten im eigenen Land vergeben. Die Schweiz liegt mit 51% im Durchschnitt. Insgesamt gingen nur 11% direkt an Anbieter in Partnerländern.

In der Schweiz war die ungebundene Hilfe lange Zeit unumstritten. In der aktuellen Vorlage der Strategie der internationalen Zusammenarbeit (IZA-Strategie) 2025-2028 steht denn auch: «Sie [die IZA] erfolgt in Übereinstimmung mit dem internationalen Handelsrecht, das darauf abzielt, handelsverzerrende Subventionen zugunsten von Schweizer Unternehmen zu verhindern. […] Die Schweiz berücksichtigt die Empfehlungen der OECD DAC Recommendation on Untying Official Development Assistance.» Dieses Bekenntnis scheint bei den Entscheiden zu den Ukrainegeldern für Schweizer Firmen nur noch für die Galerie, denn wenige Wochen nach Publikation der IZA-Strategie schrieb der Bundesrat in einer Medienmitteilung: «Dem Schweizer Privatsektor soll beim Wiederaufbau in der Ukraine eine zentrale Rolle zukommen.» Mit diesem Vorhaben will die Schweiz die gebundene Hilfe auch formell wieder einführen (siehe Artikel von Laurent Matile, global #95).

(Un-)umstrittene Kernbeiträge

Gemäss Vorgaben der OECD gelten Kernbeiträge an Nichtregierungsorganisationen aus Geberländern nicht als gebundene Hilfe, weil diese im öffentlichen Interesse tätig sind und nicht profitorientiert handeln. Diese Bevorzugung ist international aber umstritten. In den letzten Monaten forderte die internationale Bewegung #ShiftThePower, dass mehr Entwicklungsgelder direkt an Organisationen im Globalen Süden fliessen sollen. So berechtigt diese Forderung ist, lohnt sich eine genauere Analyse, wie die Mittel bei Partnerorganisationen im Globalen Süden ankommen können. Denn mehr Projekte und Programme international auszuschreiben, bedeutet nicht automatisch, dass Organisationen im Globalen Süden den Zuschlag erhalten. Deshalb gilt es sicherzustellen, dass Vergabeprozesse geschaffen werden, die es ermöglichen, dass auch kleinere Organisationen im Globalen Süden Kernfinanzierung erhalten können und nicht in der Rolle von Projektumsetzungspartnern verharren. Insbesondere Schweizer NGOs, die alle langjährige, solide und vertrauensvolle Partnerschaften mit unzähligen Organisationen im Globalen Süden haben, nehmen hier eine wichtige Brückenfunktion ein.

Auf Augenhöhe in die Zukunft

Viele Länder machen keinen Hehl daraus, dass sie ihre Entwicklungsfinanzierung mit aussenpolitischen Interessen verknüpfen. Carsten Staur, der dänische Vorsitzende des Entwicklungshilfeausschusses der OECD, sagte 2022 in einem Interview, dass es in der Geschichte noch nie eine öffentliche Entwicklungshilfe gegeben habe, die nicht in irgendeiner Form aussen- und sicherheitspolitische Ziele verfolgt habe.

Interessanterweise wird die gebundene Hilfe in der Schweiz genau von denjenigen politischen Parteien gefordert, die sich ansonsten für liberale Handelsregeln einsetzen. Bei der IZA sollen diese dann plötzlich nicht mehr gelten. Und diejenigen Stimmen, die sagen, die internationale Zusammenarbeit sei nicht wirksam, sind mit solchen politischen Entscheiden mitverantwortlich dafür, dass die Mittel für die internationale Zusammenarbeit weniger effizient eingesetzt werden können.

Um nachhaltig, wirksam und auf Augenhöhe zusammenarbeiten zu können, müssen Partnerländer ihre Entwicklungspfade selbstbestimmt gestalten können. Dass wir in der Schweiz definieren sollen, was Partnerländer «brauchen», wird den internationalen Debatten zu einer zukunftsgerichteten internationalen Zusammenarbeit nicht gerecht. Es sollte auch klar sein, dass die gebundene Hilfe ineffizient und teuer ist. Höchste Zeit also, diesen Pfad wieder zu verlassen und in langanhaltende Partnerschaften auf Augenhöhe zu investieren.

 

Von der gebundenen Hilfe (tied aid) wird gesprochen, wenn die Vergabe von Geldern an die Bedingung geknüpft wird, dass Güter und Dienstleistungen von Anbietern aus dem Geberland beschafft werden müssen. Es gibt aber auch andere Formen der Konditionalität, nämlich wenn Geberländer Vorgaben zu Anti-Korruptionsmassnahmen, Freihandels- und Liberalisierungspolitik oder zur Einhaltung von demokratischen Grundsätzen machen. Die Konditionalisierung der Entwicklungsgelder ist auch ein strategisches Instrument, um aussenpolitische Ziele in den Ländern des Globalen Südens zu erreichen. Dies kommt bei Partnerländern aber selten gut an, da es in das Selbstbestimmungsrecht der Länder eingreift. Unter anderem deshalb sind neuere Geberländer, wie zum Beispiel China, die wenige bis keine Vorgaben machen, sehr beliebt.

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