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Die Alliance Sud-Zeitschrift zu Nord/Süd-Fragen analysiert und kommentiert die Schweizer Aussen- und Entwicklungspolitik. «global» erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden.
Sahel
25.03.2025, Internationale Zusammenarbeit
Ibrahim Maïga ist Sahel-Experte bei der International Crisis Group. Er erklärt, was die jüngsten Staatsstreiche in Mali, Burkina Faso und Niger für die Demokratie in der Sahelzone und für die Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz bedeuten. Interview von Isolda Agazzi.
Gemeinsame Aufbauarbeit trotz Fragilität: Damit sie die Regenzeit übersteht, packen die Menschen jährlich eine Lehmschicht auf die Grosse Moschee von Djenne, Mali. © Keystone / AP / Moustapha Diallo
Laut dem malischen Experten, der zwischen Dakar und Bamako pendelt, kämpft das Modell der formalen Demokratie zwar mit Gegenwind, doch werden die demokratischen Grundwerte von der Bevölkerung nach wie vor mitgetragen. Umso wichtiger sei es, dass sich die westlichen Partnerorganisationen weiterhin an Entwicklungsprojekten beteiligen, denn die Erwartungen an die Staaten der Region seien so hoch wie noch nie. Die herrschenden Militärregime ihrerseits räumen dem Thema Sicherheit oberste Priorität ein und wenden sich den vermeintlich «neuen Akteuren» China, Russland und der Türkei zu. Diese wiederum verfolgen in erster Linie Geschäftsinteressen und liebäugeln mit einer militärischen Zusammenarbeit – die Armutsbekämpfung interessiert sie kaum.
«global»: Warum kommt es in der Sahelzone wieder zu Staatsstreichen?
In den drei Ländern Mali, Burkina Faso und Niger, die bereits zwischen 2010 und 2014 Schauplätze von Umbrüchen waren, hat sich das Militär zurück an die Macht geputscht. Im Gegensatz zu anderen afrikanischen Ländern, die seit den 1990er Jahren von politischen Unruhen verschont geblieben sind, liegen diese Ereignisse also noch nicht lange zurück. Hinzu kommen sicherheitspolitische und politische Rahmenbedingungen, die einen günstigen Nährboden für die Einmischung des Militärs bildeten, das sich als Retter aufspielte. In Mali und Burkina Faso hat sich die Lage in den letzten zehn Jahren kontinuierlich verschlechtert, obwohl ein grosses internationales Stabilisierungsdispositiv, bestehend aus UN-Truppen, französischen Militäroperationen und den Ausbildungsmissionen der Europäischen Union, vorhanden war.
Dies hat zu einer doppelten Ernüchterung geführt; zum einen beim Militär. Obwohl die zivilen Regime die Kapazitäten der Sicherheitskräfte massiv aufstockten, gelang es nicht, die Sicherheitslage zu verbessern. Erschwerend hinzu kam die Korruption bei der Beschaffung von militärischer Ausrüstung. Zum anderen war die Bevölkerung von den herrschenden Eliten ernüchtert, die nach der Aufdeckung mehrerer Veruntreuungsfälle in einem von schwierigen sozioökonomischen Bedingungen geprägten Kontext als korrupt wahrgenommen wurden.
Ist die Unterstützung der Bevölkerung für diese Militärregime angesichts der bedeutenden Demokratisierungsbewegung, die Westafrika Anfang der 1990er Jahre erlebte, nicht erstaunlich?
In der Tat ist der Kontrast zwischen der Demokratieeuphorie vor dreissig Jahren und dem Rückhalt der Bevölkerung für das Militär heute frappierend. Dies ist darauf zurückzuführen, dass dem demokratischen Modell, das Anfang der 1990er Jahre nach den nationalen Souveränitätskonferenzen entstand, die Luft ausgeht. Die Regierungsform, die politische Freiheit und wirtschaftliche Entwicklung miteinander verbindet, hat sich nicht bewährt. Zwar ist das Mali der 1990er Jahre nicht mit dem heutigen Mali vergleichbar, aber die Fortschritte reichen nicht.
Ibrahim Maïga
Ibrahim Maïga ist derzeit Berater für die Sahelzone bei der International Crisis Group. Zuvor war er als Vertreter der Sahelzone beim Niederländischen Institut für Mehrparteiendemokratie tätig. Ausserdem war er als Sonderberater des Premierministers von Mali für Sicherheits- und Gouvernanzfragen zuständig. Von 2015 bis 2020 hatte er verschiedene Funktionen beim Institut für Sicherheitsstudien, einem panafrikanischen Think Tank, inne.
Ist das liberale System gescheitert – sowohl in politischer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht?
Es ist auf jeden Fall das Scheitern eines Regierungsmodells, das auf einer formalen Demokratie mit proklamatorischer Verfassung beruht. In Tat und Wahrheit kränkelt der öffentliche Sektor seit geraumer Zeit an einem Demokratiedefizit, die Rechtsstaatlichkeit befindet sich auf dem Rückzug. In diesem Teil Afrikas lag der Fokus auf dem Aufbau von Wahldemokratien, was mitunter auf Kosten der Konsolidierung solider Rechtsstaaten ging. All dies wirft Fragen zum demokratischen Status dieser Länder auf, insbesondere von Mali, das bis zu seinem Niedergang im Jahr 2012 (erster Putsch) das Vorzeigebeispiel der Demokratie in Westafrika war (zusammen mit Senegal und Ghana).
Ich glaube nicht, dass die Bevölkerung das demokratische Modell völlig ablehnt – in den Debatten und Gesprächen ist es allgegenwärtig.
Heisst das, dass die Bevölkerung den Glauben an die Demokratie aufgegeben hat?
Ich glaube nicht, dass sie das demokratische Modell völlig ablehnt – in den Debatten und Gesprächen ist es allgegenwärtig. Doch die Art und Weise, wie Demokratie ausgeübt wird, mit einer Partei an der Macht, die öffentliche Gelder veruntreut, stösst auf Ablehnung. Die Mehrheit der Menschen hält hingegen am Grundsatz der freien Meinungsäusserung und der souveränen Wahl durch die Bevölkerung fest. Dies erklärt, warum trotz der aktuellen Übergangsphase die 2023 in Mali verabschiedete Verfassung die Demokratie als Modell für den Umgang mit der Staatsgewalt festschreibt.
Nichtsdestotrotz wurden die Wahlen auf unbestimmte Zeit verschoben...
Das stimmt. Diesen Übergangsprozessen fehlt es an Transparenz und Klarheit, was die zeitlichen Abläufe angeht. Eine Ausnahme ist Burkina Faso, wo die Frist auf 2027 angesetzt wurde. Zwischen 2000 und 2020 folgten auf Staatsstreiche in diesen Ländern relativ kurze Transitionsphasen. In Mali dauerte sie 16 Monate, in Burkina Faso 14 Monate und in Niger 15 Monate.
Heute werden diese Übergangsprozesse als «Reformtransitionen» bezeichnet: Sie zielen darauf ab, die gesamte Regierungsführung und «demokratische» Verwaltung des Landes auf den Prüfstand zu stellen, um zu erfassen, was funktioniert hat und was nicht. Ein solches Vorgehen ist zwar durchaus sinnvoll, doch drohen sich die Regime zu verzetteln, mit all den potenziellen Fehlentwicklungen, die ein längerer Verbleib an der Macht mit sich bringen kann. Ausserdem werden die politischen und sozialen Kräfte immer weniger in diese Prozesse eingebunden. In Niger und Burkina Faso wurden politische Aktivitäten verboten und dort, wo sie noch erlaubt sind, fehlt es an Dialog. In Mali droht die Transition in einer politischen Sackgasse zu enden, wenn der Kurs nicht korrigiert wird.
Steht die Bevölkerung hinter diesen Transitionen?
Grundsätzlich ja, es ist eine echte Begeisterung zu spüren, die von einer tiefen Sehnsucht nach Veränderung getragen wird. Ich habe 2020 am nationalen Dialog in Mali teilgenommen. Die Debatten waren lebhaft, es war ein echter Wille zu spüren, das Problem an der Wurzel anzugehen. Man setzte auf eine von politischen Zwängen befreite Übergangsbehörde mit begrenztem Mandat, die Reformen anpacken kann. Dies als Gegenentwurf zu einer gewählten Regierung, die von den bisweilen widersprüchlichen und kurzfristigen Agenden ihrer Mandatsträger hin- und hergerissen werden kann. In der Praxis erwies sich letzteres als schwieriger und komplexer.
Vom Militär wurde erwartet, dass es die Sicherheit erhöht, doch scheint sich diese zu verschlechtern.
Stellenweise hat sie sich verbessert, stellenweise verschlechtert. Die Zahl der Zwischenfälle hat auch zugenommen, weil die Streitkräfte mehr Einsätze durchführen. Im Gegensatz zu früher verfügen sie jetzt über eine moderne Ausrüstung, was auch auf die Partnerschaften mit Russland, China und der Türkei zurückzuführen ist. Letztere beispielsweise fungiert als exklusive Drohnenlieferantin. Diese Partnerschaften spielen dem Grossteil der Offiziere und den machthabenden Regimes in die Karten, da die Lieferungen an keinerlei Bedingungen in Bezug auf Regierungsführung und Menschenrechte geknüpft sind. Das Ergebnis sind besser ausgerüstete, leistungsfähigere Armeen. Die Kehrseite ist mehr Gewalt gegen Zivilist:innen und ein höheres Risiko von Kollateralopfern durch den Einsatz von Drohnen.
Die einseitige Fokussierung auf die Verbesserung der Sicherheitslage hat bisweilen die Herausforderungen in den Bereichen Bildung, Gesundheit und sogar der Wirtschaft in den Hintergrund gedrängt.
Führen steigende Militärbudgets und Kürzungen bei der Entwicklungszusammenarbeit der Länder des Nordens nicht zu einem Entwicklungsrückschritt?
Die Militärregime haben die Erwartungen an den Staat enorm hochgeschraubt. Sie werden durch einen souveränistischen Diskurs genährt, der die vorrangige Rolle des Staates beim Bau von Strassen, Infrastruktur und der Bereitstellung von Energie in den Vordergrund hebt. Dieser Diskurs kann den Eindruck erwecken, dass die Staaten diese Aufgaben im Alleingang stemmen können, obwohl sie aufgrund der politischen Lage und der Kürzungen in der Entwicklungszusammenarbeit der Länder des Nordens und der internationalen Finanzinstitutionen weniger Geld zur Verfügung haben. In Mali beispielsweise ist die Stromversorgung seit zwei Jahren ein Riesenproblem. Stromausfälle sind an der Tagesordnung und ohne Energie steht die Wirtschaft still. Die einseitige Fokussierung auf die Verbesserung der Sicherheitslage hat bisweilen die Herausforderungen in den Bereichen Bildung, Gesundheit und sogar der Wirtschaft in den Hintergrund gedrängt.
Hat ein kleines Land wie die Schweiz in der Entwicklungszusammenarbeit noch eine Rolle zu spielen?
Zwar ist die Schweiz ein kleines Land, doch sie hat eine lange Tradition in der Unterstützung lokaler Initiativen. Sie hat immer noch einen guten Ruf, was bei anderen Ländern, über deren Kooperationsmodell Zweifel bestehen, nicht der Fall ist. Diese gute Reputation und die Geschichte der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit ermöglichen es, Projekte für den Zugang zu Wasser und Energie voranzutreiben und die gute Regierungsführung und Dezentralisierung zu fördern, was sich direkt auf das Leben der Bevölkerung auswirkt. Verbindungen zu nichtstaatlichen Akteuren – Organisationen der Zivilgesellschaft, Jugend- und Frauenorganisationen – sind ebenfalls ein Pluspunkt, auch wenn dies nicht nur für die Schweiz gilt. All dies verleiht ihrer Präsenz in der Region Legitimität.
Wie alle Akteure sieht sich die Schweiz jedoch mit einer grundlegenden Veränderung konfrontiert: Wir haben uns von einer Region mit einem starken internationalen Stabilisierungsdispositiv – Präsenz der UNO, der Afrikanischen Union und anderer Partner, insbesondere Frankreich – zu einem Umfeld gewandelt, in dem die Staaten wieder die Federführung übernommen haben. Zunächst wurde versucht, diese zu umgehen und nur mit zivilgesellschaftlichen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen zusammenzuarbeiten, aber das geht nicht mehr. Die Staaten haben das Heft wieder selbst in die Hand genommen.
Westliche Geberländer wie die Schweiz haben in diesem Narrativ eine Rolle zu spielen, sie müssen die Entwicklung weiterhin unterstützen.
Sollten ausländische Geber mit undemokratischen Regimen zusammenarbeiten?
Das ist ein heikles Dilemma. Auf der einen Seite wird man ohne effiziente Staaten die Situation nicht verbessern können. Auf der anderen Seite wird bereits mit Militärregimen zusammengearbeitet, wenn auch in kleinerem Massstab und bei technischen Fragen. Die Frage ist also eher, wie weit die Zusammenarbeit gehen soll. Westliche Geberländer wie die Schweiz haben in diesem Narrativ eine Rolle zu spielen, sie müssen die Entwicklung weiterhin unterstützen. Es ist besser, engagiert zu bleiben und die Chancen und Spielräume zu nutzen, wo sie sich bieten. Vielleicht erleben wir gerade einen Wandel, weg von einer Aussenpolitik, die von Schwierigkeiten geprägt war, hin zu einer Realpolitik, in der die Regierungen erkennen, dass sie auf Länder wie die Schweiz angewiesen sind; auf Staaten, die eine lange Tradition bei der Bewältigung von nicht sicherheitsrelevanten Herausforderungen haben. Hier kann eine langfristige Perspektive den Rückhalt der Bevölkerung sichern, denn ihr Gedächtnis ist besser als das der Institutionen. Ausserdem hätte ein Rückzug aus der Entwicklungszusammenarbeit auch seinen Preis: von strategischen Konkurrenten verdrängt zu werden.
Wie sehen Sie die Beziehungen zu China, der Türkei und Russland langfristig?
Es wird immer von neuen Verbündeten gesprochen, aber in Wirklichkeit sind sie gar nicht so neu. Diese Länder haben seit langer Zeit Beziehungen zu den Sahelstaaten – Russland beispielsweise seit deren Unabhängigkeit. Bei China ist es aufgrund seines Interesses an seltenen Erden oder seiner Investitionen in Öl (im Niger) und Zucker (in Mali) ähnlich, und das wird so bleiben. Die Türkei hat nun auch Ambitionen und beschränkt sich nicht darauf, Drohnen an Armeen zu verkaufen. In Niamey standen der neue Flughafen und das Radisson-Hotel in den letzten zehn Jahren unter türkischer Bauherrschaft. Diese Projekte sind Teil einer langfristigen Ausrichtung, die sich wahrscheinlich fortsetzen wird. Aber diese Akteure engagieren sich derzeit nicht in denselben Bereichen wie der Westen, angefangen bei der Entwicklungshilfe. Es geht ihnen in erster Linie ums Geschäft: Die militärische Ausrüstung beispielsweise wird den Ländern der Sahelzone gegen Barzahlung geliefert. Der grösste Akteur der Entwicklungszusammenarbeit in Mali sind die USA. Wenn der von Donald Trump verhängte, im Moment auf 90 Tage beschränkte Stopp der US-Hilfe fortgesetzt wird, wird dies die ohnehin schon prekäre Lage weiter verschärfen. Und es ist unwahrscheinlich, dass die Europäer die Lücke, die die Amerikaner in diesem Bereich hinterlassen, zu schliessen vermögen. Ganz zu schweigen von China oder der Türkei.
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