Klimapolitik

Handel mit CO2-Zertifikaten: mehr Schein als Sein?

03.12.2024, Klimagerechtigkeit

Ob beim CO2-Gesetz oder mit dem neuen Sparprogramm: Die Schweizer Politik verlässt sich immer mehr auf CO2-Zertifikate aus dem Ausland, um ihr Klimaziel bis 2030 zu erreichen. Doch der Plan droht zu scheitern – bereits die ersten Programme offenbaren gravierende Schwächen. Analyse von Delia Berner

Delia Berner
Delia Berner

Expertin für internationale Klimapolitik

Handel mit CO2-Zertifikaten: mehr Schein als Sein?

Alte Busse und allgegenwärtige Atemschutzmasken: Bangkok leidet unter Abgasen, doch helfen von der Schweiz finanzierte E-Busse in Thailand wirklich? © Benson Truong / Shutterstock

Im Januar 2024 erhielt die Schweiz weltweite Aufmerksamkeit – zumindest in der Fachwelt der Kohlenstoffmärkte. Denn zum ersten Mal überhaupt wurden unter dem neuen Marktmechanismus des Pariser Klimaabkommens CO2-Reduktionen mittels Zertifikaten von einem Land in ein anderes übertragen. Konkret hatte Thailand mit der Einführung von Elektrobussen in Bangkok im ersten Jahr knapp 2000 Tonnen CO2 reduziert. Die Schweiz kaufte diese Reduktion, um sie ihrem eigenen Klimaziel anzurechnen.

Gehen wir einen Schritt zurück: Die Schweiz will bis 2030 mehr als 30 Millionen Tonnen CO2 im Ausland anstatt in der Schweiz einsparen. Im Herbst 2020 wurden dafür die ersten bilateralen Abkommen abgeschlossen, mittlerweile sind es mehr als ein Dutzend. Zahlreiche weitere Projekte werden entwickelt, von Biogasanlagen und effizienten Kochöfen in den ärmsten Ländern über klimafreundliche Kühlsysteme bis zur Energieeffizienz bei Gebäuden und Industrie. Bisher konnten erst zwei Programme für die Anrechnung an das Schweizer Klimaziel genehmigt werden. Und die 2000 Tonnen CO2-Einsparung aus Thailand sind die ersten Zertifikate, die wirklich gehandelt wurden. Bis 2030 muss damit noch viel geschehen, dass der Schweiz überhaupt eine genügende Anzahl Zertifikate zum Kauf zur Verfügung stehen.

Das erste Projekt ist absturzgefährdet…

Nun hat der «Beobachter» – nach Akteneinsicht gemäss Öffentlichkeitsgesetz – enthüllt, dass ausgerechnet das erste Programm in Bangkok Gefahr läuft, keine weiteren Zertifikate zu generieren. Bereits vor einem Jahr erreichten das Bundesamt für Umwelt (BAFU) Vorwürfe, wonach die Herstellerfirma der E-Busse nationales Arbeitsrecht und das menschenrechtlich verankerte Recht auf Gewerkschaftsfreiheit verletze. Nachdem es vor einem Jahr eine vorläufige Einigung gab, kamen dieses Jahr offenbar erneute Vorwürfe auf, welche das BAFU nun prüfen muss. Denn die Schweiz darf keine Zertifikate genehmigen, bei deren Entstehung Menschenrechte verletzt wurden. Das BAFU liess sich im Beobachter dahingehend zitieren, dass es die weitere Ausstellung von Zertifikaten aussetzen «kann und wird», sofern sich die Vorwürfe bestätigen. Eine umfangreiche Recherche der «Republik» bringt noch weitere Vorwürfe ans Licht: Die Schweiz sei in Thailand sogar in einen Wirtschaftskrimi verwickelt, weil sie eine Börsenblase von zehn Milliarden Franken angeheizt und Warnungen ignoriert habe.

Auch das zweite genehmigte Projekt wird weniger Zertifikate generieren, als es verspricht: Eine neue Recherche von Alliance Sud über ein Kochofenprojekt in Ghana zeigt auf, dass dessen Planung die Emissionsreduktionen um bis zu 1.4 Millionen Tonnen überschätzt.

Bereits jetzt zeigt sich, dass die Kompensation im Ausland nicht generell günstiger und schon gar nicht einfacher umsetzbar ist als Klimaschutzmassnahmen in der Schweiz. Letztere müssen früher oder später sowieso eingeführt werden, um das Netto-Null-Ziel in der Schweiz zu erreichen.

Mehr als Anfangsschwierigkeiten

Die ersten Projekte zeigen, welche Schwierigkeiten es gibt, sicherzustellen, dass dank dem Projekt effektiv eine bestimmte Menge an CO2 reduziert wird und das Projekt zudem kosteneffizient ist. Zweifel an den Reduktionen sind der Grund, weshalb viele Kompensationsprojekte in den letzten Jahren in den Schlagzeilen gelandet sind. Kosteneffizienz ist wichtig, da der Grossteil der Zertifikate durch eine Abgabe auf Treibstoff von der Schweizer Bevölkerung bezahlt wird. Um beides zu überprüfen, müsste das BAFU den Finanzierungsplan der Projekte anschauen. Es müsste sich beispielweise davon überzeugen, dass in den Projektkosten keine unverhältnismässigen Margen oder Profite eingerechnet werden, sondern so viel Geld wie möglich in den Klimaschutz oder die nachhaltige Entwicklung unter Einbezug der betroffenen Bevölkerung im Partnerland investiert wird.

Doch das System der Schweizer Auslandkompensationen zeigt hier seine Schwächen: Da die Zertifikate nicht vom Bund gekauft werden, sondern von der Stiftung Klimaschutz und CO2-Kompensation KliK, welche die Einkünfte aus der Treibstoffabgabe in Zertifikate umsetzt, bleiben die «kommerziellen Details» der Öffentlichkeit verborgen. Das will heissen: Niemand weiss, wie viel eine eingesparte Tonne CO2 durch den Einsatz eines E-Busses in Bangkok kostet oder wie viel Geld insgesamt in das Kochofenprojekt in Ghana investiert wird – geschweige denn, wie die Renditen der privaten Marktteilnehmer dabei aussehen. Beim besagten Projekt in Ghana wurden zudem grosse Teile der veröffentlichten Projektdokumentation geschwärzt. Die Transparenz ist sogar schlechter als bei seriösen Standards im freiwilligen CO2-Markt.

Doppelter Handlungsbedarf

Diese Herausforderungen gehen über blosse Anfangsschwierigkeiten hinaus und offenbaren einen doppelten Handlungsbedarf für die Schweizer Politik. Erstens muss die fehlende Transparenz der finanziellen Informationen der Projekte in der Verordnung zum CO2-Gesetz verbessert werden. Die Verordnung wird aktuell an die letzte Gesetzesrevision angepasst. Zweitens muss das Bild korrigiert werden, dass die Auslandkompensationen ein günstiger und einfacher Weg für Klimaschutz seien. Die Schweiz muss ihren Klimaschutz im Inland voranbringen und die Klimaziele nach 2030 wieder ohne CO2-Kompensation erreichen. Alliance Sud fordert den Bundesrat dazu auf, dies im CO2-Gesetz nach 2030 zu berücksichtigen.

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