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Recherche
Die Schweiz im dichten Nebel der CO2-Kompensation in Ghana
20.11.2024, Klimagerechtigkeit
Mit dem Erwerb von neuen Kochöfen sollen in Ghana vor allem Frauen mehr als 3 Millionen Tonnen CO2 einsparen – als Ersatz für Emissionsreduktionen in der Schweiz. Alliance Sud kritisiert die eklatant fehlende Transparenz des Projekts und zeigt auf, welche brisanten Details die Projekteigner vor der Öffentlichkeit verstecken wollten.
Grace Adongo, eine Bäuerin aus der Region Ashanti in Ghana, ist glücklich mit ihrem neuen, effizienteren Kochofen. Anstatt über dem offenen Feuer zu kochen, stellt sie den Topf nun auf einen kleinen Kochherd. Sie braucht spürbar weniger Holzkohle und spart damit gleichzeitig Geld und CO2-Emissionen. Dieser Erfahrungsbericht stammt aus dem letzten Jahresbericht des «Ghana Carbon Market Office» und deckt sich mit vielen weiteren, die von den zahlreichen Kochofen-Projekten im weltweiten Kohlenstoffmarkt berichten. Diese sollen dazu beitragen, die ärmeren Bevölkerungsschichten mit Kochöfen auszustatten, die effizienter und weniger gesundheitsschädlich sind als traditionelle Öfen oder Feuerstellen, die viel Rauch bilden. Damit wird der Holzverbrauch gesenkt und CO2-Emissionen werden eingespart (wie viele, ist sehr umstritten – mehr dazu aber später).
Das Prinzip ist dabei immer ähnlich: Die Kochöfen werden vergünstigt verkauft. Dabei treten die Kundinnen und Kunden ihr Recht auf die Emissionsreduktion an die Projekteigner ab. Danach werden die eingesparten Emissionen durch die neuen Öfen über die Folgejahre berechnet und vom Projekteigner als CO2-Zertifikate international verkauft. Die Einnahmen aus den Zertifikaten werden benötigt, um die Kochöfen zu subventionieren.
Was nach einer guten Sache klingt, ist es für Menschen wie Frau Adongo aus einer individuellen Perspektive sicher auch. Aber das System drumherum ist weit vielschichtiger und widersprüchlicher. Im eingangs erwähnten Fall der «Transformative Cookstove Activity in Rural Ghana», den Alliance Sud in dieser Recherche unter die Lupe nimmt, geht es um den staatlichen Kompensationsmarkt, bei dem die Schweiz die erzielten Emissionsreduktionen aus Ghana an die Klimaziele der Schweiz anrechnet. Dabei kommen erstaunlich viele Schauplätze ans Licht, die aus einer Perspektive der Klimagerechtigkeit kritisch beurteilt werden müssen. Die Zusammenarbeit der Schweiz mit Ghana ist auch ein gutes Beispiel, weshalb der Zertifikatehandel unter dem Pariser Abkommen nicht zur Erreichung von ambitionierteren Klimazielen führt.
Bezahlt werden die CO2-Zertifikate aus diesem und vielen weiteren Projekten mit einer Abgabe von 5 Rappen pro Liter Treibstoff an den Schweizer Zapfsäulen. Die Stiftung Klimaschutz und CO2-Kompensation KliK, welche den Treibstoffimporteuren gehört, setzt das Geld für Kompensationsprojekte im In- und Ausland ein. Mit der CO2-Kompensation im Ausland will die Schweizer Politik fehlende Klimaschutzmassnahmen in der Schweiz wettmachen, um dennoch die Klimaziele unter dem Pariser Abkommen zu erreichen.
Unter dem Pariser Abkommen von 2015 hat sich die Schweiz verpflichtet, bis 2030 die Hälfte ihres Treibhausgasausstosses im Vergleich zu 1990 zu reduzieren. Mit dem CO2-Gesetz können aber nur gut 30% der Emissionen im Inland reduziert werden – kaum mehr als vor der Gesetzesrevision im Frühling 2024. Die verbleibenden 20% sollen im Ausland kompensiert werden. Mit dem im September 2024 angekündigten Sparpaket des Bundesrats sollen auch Klimaschutzmassnahmen im Inland wegfallen. Das führt unweigerlich dazu, dass die Schweiz immer mehr Kompensationszertifikate benötigt, um die Klimaziele noch erreichen zu können. Das ist nicht der Sinn von Artikel 6 des Pariser Abkommens, der mit der Übertragung von Emissionsminderungen in andere Länder explizit zu «höheren Ambitionen» führen soll. Dazu müsste die Schweiz sicherstellen, dass die Klimaziele beider Länder mit den Zielen des Pariser Abkommens kompatibel sind. Die Schweiz hat Netto-Null bis 2050 versprochen. Da bis 2050 auf globaler Ebene Netto-Null erreicht sein muss, erwartet die Schweiz also de facto auch von den anderen Ländern, dass sie ihr Netto-Null-Ziel auf 2050 setzen. Gemessen daran hat der nationale Beitrag Ghanas bis 2030 zur Erreichung des Pariser Abkommens erhebliche Lücken. Ghana kommuniziert nur unverbindlich ein Netto-Null-Ziel für 2060 und nimmt die Ölförderung von seinen Klimazielen aus. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) schreibt dazu auf Anfrage, dass «die Anforderungen des Pariser Abkommens gelten», und verweist dabei auf die unilateral festgelegten Klimaziele nach dem Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung und Kapazität. «Dabei müssen die Klimaziele die höchstmögliche Ambition umfassen und nachfolgende Ziele in der Ambition gesteigert werden.» Es gibt aber keine anderweitigen Kriterien an die Klimaziele eines Partnerstaates.
Vor einem Jahr kommunizierte Ghana eine Erweiterung seiner Ölförderung und begründete den Schritt mit fehlender finanzieller Unterstützung für den Klimaschutz. Das zeigt das Grundproblem: Es fehlt den Ländern im Globalen Süden an internationaler Klimafinanzierung, die ihnen als Unterstützung aus dem Globalen Norden zustehen würde. Das Resultat: Sie nehmen die für sie zweitbeste Lösung, um an die Finanzierung zu gelangen, der Verkauf ihrer Klimaschutzaktivitäten als CO2-Zertifikate. Der Unterschied zur Klimafinanzierung: Die Schweiz erhält das «Recht», ihre Klimaschutzmassnahmen auf später zu verschieben. Insgesamt werden die Ambitionen für einen wirksamen Klimaschutz gesenkt, nicht erhöht.
Dichter Nebel im Februar
Das vorliegende Kochofenprojekt wurde im Februar 2024 von Ghana und der Schweiz unter dem bilateralen Marktmechanismus des Pariser Abkommens (Art. 6.2) genehmigt. Es wird vom Amsterdamer Rohstoffunternehmen ACT Commodities umgesetzt und soll bis 2030 mehr als 3 Millionen Tonnen CO2 reduzieren. Die Regierungen der beiden Länder tragen dabei die volle Verantwortung, dass das Projekt hohe Qualitätsanforderungen respektiert und hält, was es verspricht. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) prüft dazu die Projektdokumentation und veröffentlicht sie nach der Genehmigung.
Der Projekteigner ist ein internationaler Konzern mit Sitz in Amsterdam namens ACT Commodities. Das Unternehmen beschreibt sich selbst auf der Website als führenden Anbieter von marktbasierten Nachhaltigkeitslösungen, der die Transition zu einer nachhaltigen Welt antreibe. ACT ist ein grosser Player im Emissionshandel. Das Unternehmen verzichtet aber lieber auf zu viel Transparenz – auf seiner eigenen Website steht kein Wort darüber, dass die Konzerngruppe auch Öl- und Treibstoffhandel im Portfolio hat (über die Schwesterfirma ACT Fuels, die keine Website hat). Dies enthüllt erst ein Blick in das niederländische Handelsregister. Seit Juli 2023 besitzt ACT Commodities zudem eine Firma, die Schiffstreibstoffe anbietet, der dreckigste aller Treibstoffe. Der Konzern gehört also zur wachsenden Gruppe von Rohstoffhändlern, welche mit fossilen Energien geschäften und sich daneben als Akteure auf dem CO2-Markt «grünwaschen».
Doch bereits ein erster Blick in die Dokumente offenbart Mängel bei der Transparenz: Das Projekt ist so undurchsichtig wie dichter Nebel. In der Projektbeschreibung sind weite Teile geschwärzt, darunter praktisch die ganze Analyse, mit der nachgewiesen werden muss, dass das Projekt zu zusätzlichen Emissionsreduktionen führt (s. Bild). Aber auch viele weitere relevanten Zahlen und Angaben wurden verschleiert. Und das Dokument mit den Berechnungen, warum die CO2-Reduktion 3,2 Millionen Tonnen betragen soll, wurde gar nicht erst veröffentlicht. Transparenz sieht anders aus.
Alliance Sud hat die Veröffentlichung der ungeschwärzten Dokumente und Berechnungen nach dem Öffentlichkeitsgesetz (BGÖ) eingefordert – und aufgrund der Weigerung der Projekteigner erst einmal vier Monate gewartet. Danach wurde die Projektdokumentation zu grossen Teilen, aber nicht vollständig, freigegeben. Die noch geschwärzten Stellen seien Geschäftsgeheimnis. Jetzt wird aber auch klar, dass im ursprünglichen Dokument viele Stellen völlig willkürlich verdeckt wurden.
Ausschnitt aus der ursprünglich komplett geschwärzten Analyse zur Zusätzlichkeit des Projekts.
Emissionsreduktionen werden um bis zu 79% überschätzt
Wie berechnet wird, dass dank dem Projekt in Ghana über 8 Jahre 400'000 Tonnen CO2 jährlich eingespart werden sollen, gehört zu den zentralen Informationen über ein Kompensationsprojekt. Bei seriösen Zertifizierungsstellen für den freiwilligen Zertifikatemarkt ist es obligatorisch, diese Berechnungen zu veröffentlichen. Die Daten müssen für wissenschaftliche Analysen zur Verfügung stehen – zumal immer mehr Studien eine Überschätzung der Emissionsreduktionen durch CO2-Zertifikate feststellen, auch bei Kochofen-Projekten.
In diesem Fall sträubt sich der Projekteigner aber dagegen – eine inakzeptable Intransparenz. Mittels BGÖ-Gesuch erhielt Alliance Sud ein PDF der Berechnungstabellen. Ohne Möglichkeit, die integrierten Excel-Formeln zu sehen, ist die Nachvollziehbarkeit immer noch eingeschränkt.
Aber die nun vorliegenden Zahlen bringen Überraschendes ans Licht: Im Berechnungs-PDF wird ersichtlich, dass für die Jahre 2025-30 die Emissionsreduktionen derselben Öfen fast doppelt so hoch berechnet werden wie für 2023-24. Grund dafür ist eine offensichtlich geplante Erhöhung des wichtigsten Parameters, des Anteils der nicht-nachhaltigen Holzbeschaffung, genannt «fNRB» (fraction of non-renewable biomass). Dieser ist eine Schätzung, um wie viel Holzbiomasse die Ernte des Feuerholzes deren natürliches Nachwachsen übersteigt. Nur der geringere Verbrauch von nicht-nachhaltigem Feuerholz kann als Reduktion von CO2-Emissionen geltend gemacht werden. Der Parameter wird direkt mit den weiteren Faktoren multipliziert und ist daher entscheidend für die Berechnungen der Emissionsreduktionen. Eine zu hohe Einschätzung des fNRB ist der Hauptgrund für die teils vernichtende Kritik an bisherigen Kochofen-Projekten zur Emissionsreduktion.
Wer es genau wissen will: Laut Projektdokumentation wurde der fNRB bei 0.3 angesetzt, was konservativer als bei vielen bisherigen Kochofenprojekten ist. Gemäss der offiziellen UNFCCC-Referenzstudie vom Juni 2024 ist dies als Standardwert angebracht, um die Emissionsreduktionen nicht massiv zu überschätzen und ist gleichzeitig kohärent mit dem länderspezifischen Wert der Studie für Ghana von 0.33. Nun hat das Projekt aber eine Klausel, dass Ghana und die Schweiz bilateral den fNRB nachträglich (nach oben) anpassen können. Dass ab 2025 bereits fest mit einem fNRB von 0.7629 gerechnet wird, erschliesst sich nur aus dem Berechnungs-PDF, das zuerst nicht veröffentlicht wurde. Die Projektbeschreibung verschweigt, dass bereits mit einem höheren Wert geplant wird, obwohl dessen Genehmigung noch aussteht. Der Wert 0.7629 stammt aus dem veralteten «CDM-Tool 30», das vom BAFU selber als ungenügende Grundlage bezeichnet wird. Ghana hat im Frühling 2024 eine Ausschreibung für eine unabhängige Studie gemacht, um einen länderspezifischen fNRB-Wert für Ghana zu eruieren – offensichtlich mit der Hoffnung, dass ein deutlich höherer Wert legitimiert werden kann. Damit dieser auch von der Schweiz akzeptiert wird, muss die Studie den peer review der UNFCCC-Gremien bestehen. Angesichts der erwähnten, breit akzeptierten Referenzstudie, die für Ghana einen Länderwert von 0.33 berechnet, dürfte das ein schwieriges Unterfangen werden.
Das Berechnungsdokument zeigt, dass ab 2025 mit einem mehr als doppelt so hohen fNRB, dem wichtigsten Parameter, gerechnet wird (Zeile in gelb). Die Emissionsreduktionen zwischen 2025 und 2030 werden so gemäss Berechnungen von Alliance Sud um bis zu 92% überschätzt. Insgesamt beträgt die Überschätzung bis zu 79% (unter Berücksichtigung der korrekten Berechnung für 2023 und 2024).
Wenn ohne Grundlage von einem mehr als doppelt so hohen fNRB-Wert ausgegangen wird, werden die Emissionsreduktionen also im Voraus überschätzt. Nach den Berechnungen von Alliance Sud würde das Projekt höchstens 1.8 Millionen Tonnen CO2 reduzieren, wenn der fNRB-Wert konstant auf dem realistischeren Wert von 0.3 gehalten würde. Das Projekt verspricht aber die Reduktion von 3.2 Millionen Tonnen CO2. Es überschätzt die Reduktionen also insgesamt um bis zu 79%.
Übrigens legen wir im Gegensatz zum Projekteigner unsere eigenen Berechnungen offen.
Mit einiger Recherche lichtet sich der Nebel…
Die Absurdität, die halbe Projektdokumentation als «Geschäftsgeheimnis» zu bezeichnen (in der ersten Version vom Februar), zeigt sich daran, dass viele der verdeckten Informationen an anderer Stelle öffentlich verfügbar sind. Einige kleinere Angaben, die ursprünglich verdeckt wurden, sind sogar im gleichen Dokument an anderer Stelle ungeschwärzt. Weitere Angaben sind in Dokumenten der Regierung von Ghana ersichtlich oder lassen sich aus sonstigen Quellen kombinieren.
So findet man dank einem Online-Artikel der ghanaischen Behörden über einen Besuch des KliK-Stiftungsrats heraus, wer in Ghana der Hauptvertriebspartner des Projekts ist: ein ghanaisches Unternehmen namens «Farmerline». Farmerline erleichtert Bäuerinnen und Bauern den Zugang zu landwirtschaftlichen Hilfsmitteln – und öffnet so der internationalen Agrarindustrie die Tore zu vielen neuen Kundinnen und Kunden in Ghana. Auch diese Beziehung wollten die Projekteigner verbergen. In der Projektdokumentation waren ursprünglich mehrere Hinweise auf Partnerschaften im Agrarsektor verdeckt und die konkrete Zusammenarbeit ist noch immer geschwärzt – und dies hat durchaus Gründe, wie ein genauerer Blick zeigt.
…es bleibt ein Sprühnebel aus Pestiziden
Farmerline hat seinerseits die Zusammenarbeit mit Envirofit, dem Kochofenproduzenten und Umsetzungspartner des Projekteigners, im Juni 2023 angekündigt. In der Projektdokumentation steht dazu, wie 180'000 Öfen innert kurzer Zeit an die ländliche Bevölkerung verkauft werden sollen, dass die Öfen in mehr als 400 Geschäften für landwirtschaftliche Betriebsmittel angeboten werden. Einige Posts von Farmerline auf der Plattform «X» lassen aber aufhorchen. Farmerline führte dieses Jahr eine «Agribusiness Roadshow» in verschiedenen Regionen von Ghana durch, in Zusammenarbeit mit Envirofit – und mit dem Agrokonzern Adama, der Teil der Syngenta-Gruppe ist. An jedem Tag der Roadshow wurden den Bäuerinnen und Bauern gleichzeitig die effizienten Kochöfen von Envirofit wie auch Pestizide von Adama vorgestellt und zum Verkauf angeboten. Auf den Videos von Farmerline sind die Adama-Produkte identifizierbar, und bei drei Insektiziden und einem Herbizid handelt es sich um Produkte mit Wirkstoffen, die in der Schweiz und der EU nicht zugelassen sind, weil sie zu gefährlich für die Umwelt und die Gesundheit sind: Atrazin, Diazinon und Bifenthrin. Atrazin verunreinigt das Grundwasser, hemmt die Photosynthese der Pflanzen und baut sich in der Umwelt fast nicht mehr ab, ausserdem wird es als krebserregend eingestuft. Diazinon greift nicht nur die gewünschten Schädlinge, sondern alle Insekten an, und kann auch bei Menschen akut giftig sein, wenn es auf die Haut gelangt. Bifenthrin ist vor allem für im Wasser lebende Tiere sehr giftig, aber sollte auch von Menschen nicht eingeatmet werden (siehe die Pestiziddatenbank des Pesticide Action Network).
Beispielfoto aus einem Video der Farmerline Roadshow, an der neben den Kochöfen auch das Herbizid Maizine 30 OD mit dem in der Schweiz verbotenen Wirkstoff Atrazin verkauft wird.
Auf keinem der Videos ist zudem die Demonstration oder der Verkauf von angebrachter Schutzkleidung zu sehen. Gemäss verschiedener Studien (Demi und Sicchia 2021; Boateng et al 2022; und weitere) führt der steigende Gebrauch von Pestiziden in der ghanaischen Landwirtschaft zu erheblichen gesundheitlichen Problemen für die Bäuerinnen und Bauern. Viele wissen mangels Instruktion durch die Händler entweder nicht, wie sie die Pestizide korrekt anwenden und sich dabei schützen müssten, oder ihr Geld reicht nicht für die Schutzkleidung. Fachinformationen beziehen sie ausserdem weitgehend aus dem persönlichen Umfeld oder von ihren Händlern, aber es fehlt an unabhängiger landwirtschaftlicher Beratung. Imoro et al. 2019 fanden in ihrer Studie, dass 50% gar keine Schutzkleidung benutzten und weitere 40% nur ungenügende. Bei KliK nachgefragt, ob an den Roadshows auch Schutzkleidung verkauft werde, antwortet KliK, dass bei ihren Kooperationspartnern selbstverständlich höchste Nachhaltigkeitskriterien Voraussetzung seien. KliK schreibt, der Komplex, den Alliance Sud mit dieser Frage auftue, liege nicht in ihrem Ermessensbereich.
Der Versuch, eine klare Aussage über den Beitrag dieses Kompensationsprojekts für die nachhaltige Entwicklung zu treffen, gleicht also weiterhin dem Stochern im Nebel. Denn die Kundinnen und Kunden der Kochöfen werden zwar Geld sparen und dank weniger Rauch hoffentlich ihre Gesundheit verbessern – aber gleichzeitig dazu angeregt, das gesparte Geld für Pestizide auszugeben, mit deren vermehrtem Einsatz Umweltschäden und in vielen Fällen auch wieder Gesundheitsschäden entstehen. So gesehen hat KliK bei der Beurteilung der «höchsten Nachhaltigkeitskriterien» der Kooperationspartner versagt. Es ist zwar einleuchtend, dass Synergien mit bestehenden Akteuren im Landwirtschaftsbereich gesucht werden, um die Menschen im ländlichen Raum zu erreichen. Wäre aber Nachhaltigkeit im Vordergrund gestanden, hätte sich viel eher eine Partnerschaft mit Organisationen zur Förderung von agrarökologischen Ansätzen aufgedrängt.
Horrender Gewinn für die Investoren
Die neuen Kochöfen ermöglichen eine finanzielle Ersparnis für die Kundinnen und Kunden, das Projekt ist aber in einer viel grösseren Dimension finanziell lohnenswert für die Investoren. Auch in finanzieller Hinsicht bleibt das Projekt intransparent: Die Preisgestaltung der Öfen bleibt geschwärzt, die Preise der Zertifikate sind Privatsache von KliK und ihren Geschäftspartnern. Auch wird für das Projekt kein Finanzplan oder ähnliches vom BAFU überprüft. Doch mit der Herausgabe einiger zusätzlicher Informationen dank dem BGÖ-Gesuch wird klar, dass die Investoren absahnen dürften. Die Investoren hinter diesem Projekt sind unsichtbar, aber gemäss Projektdokumentation dürften sie eine jährliche Rendite von 19.75% auf ihrer Investition erwarten. Diese absurd hohe Rendite wird mit einem Vergleich mit Staatsanleihen von Ghana begründet. Dieser Vergleich hält in keiner Weise stand, das eine hat nichts mit dem anderen zu tun. Die Risiken, in eine Staatsanleihe eines bereits hoch verschuldeten Staats zu investieren, sind ganz anderer Natur, was die hohen Renditen erklärt (wenn auch nicht legitimiert, denn die hohen Zinsen für ärmere Staaten sind erschreckend und verheerend – aber das ist nochmal eine andere Geschichte).
Hier hingegen handelt es sich um ein Projekt, das durch quasi-öffentliche Gelder mitfinanziert und abgesichert ist; man könnte es zu «blended finance» zählen, eine öffentlich-private Mischfinanzierung. Denn die Treibstoffimporteure erheben im Namen des CO2-Gesetzes eine Abgabe auf den Treibstoff. Würden die Einnahmen aus dieser Abgabe rein technisch einen Umweg über die Staatskasse machen – wie das bei anderen Abgaben die Regel ist –, bevor sie für Kompensationsprojekte ausgegeben würden, wären das öffentliche Steuergelder.
Somit besteht ein öffentliches Interesse, dass die Einnahmen aus dieser Abgabe effizient eingesetzt werden. Die Gelder müssen für den Klimaschutz und die nachhaltige Entwicklung vor Ort, anstatt für vergoldete Renditen der Investoren eingesetzt werden.
Fazit
Effiziente Kochöfen sind ein günstiger Weg, um Verbesserungen im Leben von vielen Menschen zu erzielen und gleichzeitig Treibhausgasemissionen zu vermindern. Der Marktmechanismus des Pariser Abkommens birgt bei der Umsetzung von Klimaschutzprojekten im Globalen Süden aber erhebliche Widersprüche. Er soll vor Ort zur nachhaltigen Entwicklung beitragen, ist aber als potenziell lukratives Geschäft für die Investoren konzipiert. Und während im Globalen Süden einige Emissionen vermindert werden, bietet der Mechanismus eine politische Ausrede, Klimaschutz in einem reichen Land wie der Schweiz auf später zu verschieben.
Transparenz im Zertifikatehandel ist deshalb zentral, um die vielschichtigen und möglicherweise problematischen Hintergründe von Kompensationsprojekten zu erfahren. Das Klimakompensationsprojekt der Schweiz in Ghana ist hierfür ein aussagekräftiges Beispiel. Weder die Überschätzung der Emissionsreduktionen, der Verkauf der giftigen Pestizide noch die zu hohe Rendite waren aus den Dokumenten, die nach der Genehmigung des Kochofen-Projekts veröffentlicht wurden, herauszulesen. Erst mittels BGÖ-Gesuch und weiterführender Recherche konnte Alliance Sud den Nebel der intransparenten Projektdokumentation lichten: Diese offenbarte die Genehmigung waghalsiger Berechnungsmethoden, umwelt- und menschenschädigendes Geschäftsgebaren der Umsetzungspartner und ein fragwürdiges Verständnis von Transparenz seitens der Hauptakteure. Die Möglichkeit zur öffentlichen Überprüfung bleibt aber matchentscheidend, damit Kompensationsprojekte die Umsetzung des Pariser Abkommens nicht gefährden.
Der vorliegende Fall ist das zweite von Alliance Sud untersuchte Kompensationsprojekt der Schweiz unter dem Pariser Abkommen. Schon vor einem Jahr zeigten Alliance Sud und Fastenaktion auf, weshalb neue E-Busse in Bangkok kein Ersatz für Klimaschutz in der Schweiz sind.