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Die Alliance Sud-Zeitschrift zu Nord/Süd-Fragen analysiert und kommentiert die Schweizer Aussen- und Entwicklungspolitik. «global» erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden.
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23.03.2023,
Die Schweiz stimmt im Juni über dringende Klimaziele ab. Dabei setzt der Bundesrat für einen Drittel der Emissionsreduktionen bis 2030 auf Kompensationen im Ausland – die Schweiz bezahlt also, damit sie selbst weniger Treibhausgase reduzieren muss.
Nicht ohne Stolz kündigte das Bundesamt für Umwelt (BAFU) während der UNO-Klimakonferenz im November 2022 das «weltweit erste ausländische Klimaschutzprojekt unter dem Pariser Übereinkommen» an: ein Projekt zur Verminderung des Methan-Ausstosses beim Reisanbau in Ghana. Die Schweiz hat seit 2020 mit elf Staaten im Globalen Süden bilaterale Abkommen abgeschlossen, um Klimaschutzprojekte zu bezahlen, deren Emissionsreduktionen dann der Schweiz angerechnet werden können. Kompensationsprojekte im Ausland waren bereits unter dem Kyoto-Protokoll möglich. Mit dem Pariser Abkommen, das nicht nur Industriestaaten, sondern neu alle Vertragsstaaten dazu verpflichtet, eine möglichst ambitionierte Klimapolitik zu verfolgen und darüber zu berichten, wurden die Regeln neu definiert.
Die Schweiz nimmt eine Vorreiterrolle in der Umsetzung dieses neuen Marktmechanismus ein, was ihr erlaubt hat, gewisse Standards zu setzen. Gerade für die reiche Schweiz stellen sich aber gewichtige Fragen:
Die Schweiz hat sich verpflichtet, bis 2030 ihre Emissionen zu halbieren und bis 2050 auf Netto-Null zu reduzieren. Sie gehört zu den Ländern, die mit ihrem hohen Treibhausgasausstoss den Klimawandel weiterhin befeuern; gleichzeitig ist sie finanziell in der komfortablen Lage, mit den Auswirkungen der Klimaerwärmung in der Schweiz umgehen zu können. Im Gegensatz dazu gibt es zahlreiche Länder und Millionen von Menschen, die bis heute fast keine Treibhausgase ausgestossen haben und dennoch viel mehr unter der Klimakrise leiden, weil sie gegenüber den negativen Auswirkungen verletzlicher sind und weniger finanzielle Mittel zur Anpassung oder Behebung von Schäden haben. Aus dieser Perspektive verstösst es gegen die Klimagerechtigkeit, wenn reiche Länder nicht bereit sind, ihre hohen Emissionen rasch im Inland zu reduzieren und auf klimafreundliche Technologien umzusteigen. Stattdessen werden ausländische Kompensationsprojekte als eigene Reduktion ausgewiesen. Dies ist bereits auf internationale Kritik gestossen, beispielsweise von der «New York Times».
Die Schweiz hat durch ihren konsumbasierten Fussabdruck, ihre international tätigen Unternehmen und ihren Finanzplatz sehr wohl eine Mitverantwortung für ausländische Emissionen. Klimaschutzprojekte im Ausland müssten aber zusätzlich zur inländischen Emissionsreduktion finanziert werden – als fairen Anteil an die internationale Klimafinanzierung (s. global 4/22).
Offiziell sollten die Marktmechanismen unter dem Pariser Abkommen ambitioniertere Reduktionsziele erlauben, da diese billiger zu erreichen sind und so zusätzliche Emissionen reduziert werden können. Das Kostenargument kann für ein Land mit hohem Treibhausgasausstoss, das Zertifikate kauft, kurzfristig stimmen. Für das Partnerland kann es umgekehrt aber bedeuten, dass die günstigsten Möglichkeiten, Treibhausgase zu reduzieren, mit dem Zertifikate-Verkauf vergeben werden. Für die Erreichung der eigenen Klimaziele bleiben dann später die teureren und komplexeren Massnahmen übrig, wie bereits das New Climate Institute analysiert hat. Entscheidend für ambitioniertere Ziele ist, dass ein Projekt zusätzlich zu anderweitig geplanten Klimaschutzprojekten stattfindet und nicht ein anderes ersetzt. Das ist in vielen Fällen schwierig nachzuweisen. In Bezug auf die Schweizer Ambitionen bedeutet es, dass die Kompensation nur dann einen zusätzlichen Nutzen hat, wenn es nicht möglich ist, die entsprechenden Treibhausgase in der Schweiz zu reduzieren. Angesichts der sehr schwachen Schweizer Klimaschutzmassnahmen muss die politische Absicht, die Halbierung der Treibhausgasemissionen bis 2030 nicht vollständig im Inland umzusetzen, als Verweigerung einer ambitionierteren Klimapolitik angesehen werden. Im Fall der Schweiz können Auslandkompensationen daher nicht als zusätzliche Ambition bezeichnet werden.
Die grosse Frage ist, was mit den Ambitionen der Marktteilnehmenden passiert, wenn viele Länder in diesen Markt einsteigen. Die einfache Möglichkeit, billige Zertifikate zu erwerben, kann reiche Klimasünder dazu bringen, bei den eigenen Klimazielen für das Inland nachlässig zu werden. Umgekehrt können sich die Ambitionen gewisser Partnerländer in Bezug auf ihre eigenen Klimaziele kaum erhöhen, wenn Klimaschutz für sie finanziell nur umsetzbar ist, indem sie ihre Emissionsreduktionen verkaufen. Dies umso mehr, als einige Partnerländer der Schweiz gemäss des Internationalen Währungsfonds (IWF) unter hohen Schulden leiden. Letztlich fördert die Schweiz damit ein gefährliches Experiment mit Risiken auf Kosten des globalen Klimas.
Damit die Emissionsverminderungen eines Klimaschutzprojektes, basierend auf dem bilateralen Abkommen, auf die Schweiz übertragen werden können, muss das Projekt qualitative Anforderungen erfüllen. Neben der zuvor erwähnten Zusätzlichkeit sowie der nachgewiesenen Treibhausgasreduktion muss ein Projekt zur nachhaltigen Entwicklung vor Ort beitragen. Es sollte zudem das Partnerland dabei unterstützen, sich neue Technologien anzueignen. Gewisse Kategorien von Projekten werden in dieser Logik von vornherein ausgeschlossen, z. B. wenn die Partnerländer selbst in der Lage sind, sie umzusetzen (sogenannte «low-hanging fruits»). Diese Qualitätskriterien sind sehr wichtig. Deren Einhaltung kann aber unter Druck geraten, wenn ein grosser Bedarf seitens der Schweiz und anderer Staaten besteht, günstige Kompensationszertifikate zu kaufen. In dieser Hinsicht zentral sind der Einbezug der lokalen Bevölkerung und hinreichende Beschwerdemöglichkeiten. Für das BAFU wird es schwierig sein, die Qualität dieser Projekte zu kontrollieren, wenn deren Anzahl anschwillt und die Projekte über die ganze Welt verteilt sind.
Letztlich gehören all diese Fragen zur globalen Klimagerechtigkeit. Die Schweiz darf sich nicht hinter Auslandkompensationen verstecken, um die eigene Umstellung auf eine klimafreundliche Zukunft zu verzögern. Erst recht dürfen Kompensationsprojekte nicht pauschal als gute Sache abgenickt, sondern müssen zusammen mit den Menschen im Globalen Süden bewertet werden. Eine ambitionierte Klimapolitik in der Schweiz dürfen sie aber nie ersetzen. Umso wichtiger ist es daher, am 18. Juni mit einem «Ja» für das Klimaschutz-Gesetz den Weg dafür zu ebnen.
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