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Eine Frage des Designs
22.03.2023, Klimagerechtigkeit
Die Politikempfehlungen des Weltklimaberichts aus Interlaken machen den riesigen und dringlichen Finanzierungsbedarf im Globalen Süden noch deutlicher. Aber wo stehen die Verhandlungen für ein neues Ziel der internationalen Klimafinanzierung ab 2025?
Am UNO-Sitz in Wien wehen die Fahnen der Staaten im Wind, während vor dem Eingang einige Aktivist:innen gegen das brutale Vorgehen des iranischen Regimes demonstrieren. Drinnen wird eifrig darüber diskutiert, wie ab 2025 die Entwicklungsländer im Klimabereich besser finanziell unterstützt werden sollen. Dabei steht ausser Frage, dass die Bedürfnisse bereits jetzt weit über der verfügbaren Klimafinanzierung liegen und in naher Zukunft nochmals stark ansteigen werden. Allein zur Anpassung («Adaptation») an die Klimaerwärmung im Globalen Süden rechnet die UNO mit einem jährlichen Bedarf von mehr als 300 Milliarden Dollar bis 2030 und mehr als 500 Milliarden Dollar bis 2050. Dazu kommt die globale Herausforderung zur Eindämmung der Erwärmung auf maximal 1.5 Grad Celsius durch die Reduktion und Vermeidung von Treibhausgasen («Mitigation»), die ebenfalls massive finanzielle Unterstützung im Globalen Süden voraussetzt. Noch nicht einberechnet sind die stark wachsenden Finanzierungsbedürfnisse von Schäden und Verlusten in den Ländern, die am wenigsten zur Klimakrise beigetragen haben.
Die Klimakonferenz COP26 in Glasgow verabschiedete ein Mandat zur Verhandlung eines nächsten Finanzierungsziels innerhalb von drei Jahren, da das heutige 100-Milliarden-Ziel der Klimafinanzierung 2025 ausläuft. Das sogenannte New Collective Quantified Goal, kurz NCQG, soll die Umsetzung von Artikel 2 des Pariser Abkommens beschleunigen – Artikel 2 beinhaltet Mitigation (bzw. das 1.5-Grad-Ziel), Adaptation und die Transition zu klimaverträglichen Finanzflüssen. Das Ziel darf gemäss Mandat nicht tiefer als die bisherigen 100 Milliarden Dollar pro Jahr liegen, muss die Bedürfnisse der Entwicklungsländer berücksichtigen und soll nicht nur aus einer Zahl bestehen, sondern auch qualitative Anforderungen beschreiben – welche, ist Gegenstand der Verhandlungen. Es sollen die Lehren aus dem ungenügend erfüllten 100-Milliarden-Ziel gezogen werden.
In Wien fand vom 8. bis 10. März 2023 ein Technischer Dialog statt, der die Verhandlungen zum NCQG an den nächsten beiden COP-Klimakonferenzen vorbereiten soll. Die Vertreterinnen und Vertreter der Vertragsstaaten diskutierten unter Einbezug einiger Personen aus der Zivilgesellschaft, Wissenschaft und dem Privatsektor über verschiedene Möglichkeiten des «Designs» des neuen Ziels. Der auf Englisch benutzte Begriff «design» kann auf Deutsch mit Gestaltung, Entwicklung, Bauweise und vielem mehr übersetzt werden, was die Breite der offenen Fragen gut umschreibt. Die Schweiz war durch das Bundesamt für Umwelt (BAFU) vertreten, das weiteren Interessierten aus der Schweiz wie Alliance Sud eine Teilnahme ermöglichte.
Welche Unterziele?
Die Vorschläge, wie das neue Ziel aussehen soll, sind naturgemäss sehr unterschiedlich und zeigen die ganze Bandbreite der politischen Positionen auf. Die meisten Delegationen des Globalen Südens schlagen eine Aufteilung des Ziels in drei Unterziele zu Mitigation, Adaptation und Schäden und Verluste vor. Mitigation und Adaptation sollten aus mehreren Gründen aufgeteilt werden. Während die Finanzierung von Mitigation – insbesondere die Förderung erneuerbarer Energien – immer häufiger durch Unternehmen und Inverstor:innen erfolgt, wird die Finanzierung der Klimaanpassung auch in Zukunft grosse Mengen an öffentlichen Geldern benötigen. Werden die beiden Bereiche wie bisher zusammengenommen, erhalten die Geberstaaten im Globalen Norden einen Anreiz, öffentliche Mittel einzusparen, indem sie vermehrt auf die Mobilisierung privater Mittel setzen – mit dem Resultat, dass wie heute der Globale Süden viel zu wenig in der Klimaanpassung unterstützt wird und die privaten Investitionen hauptsächlich in Länder mittleren Einkommens getätigt werden.
Mitigation und Adaptation aufzuteilen würde also bedeuten, die Lehren aus dem heutigen Ungleichgewicht zwischen diesen beiden Bereichen sowie aus der Vernachlässigung der ärmsten Länder zu ziehen. Die bisherigen Geberstaaten beharren derweil auf Flexibilität und lehnen darum die Unterteilung in Unterziele ab. Qualitative Aspekte sollen lediglich als Prinzipien einfliessen, also beispielsweise die Balance zwischen Mitigation und Adaptation im Beschlussestext erwähnt werden. Man könnte auch sagen: weiter wie bisher.
Die Finanzierung von Schäden und Verlusten über ein zusätzliches Unterziel würde aus der Perspektive der Klimagerechtigkeit absolut Sinn machen, wenn dadurch zusätzliche öffentliche Mittel gesprochen werden. Nach dem Entscheid der COP27 in Ägypten für einen Fonds zur Deckung von Kosten bei Schäden und Verlusten können sich die Länder des Globalen Nordens dieser Diskussion nicht mehr entziehen.
Eine weitere Frage stellt sich nach der zeitlichen Komponente des Ziels. Soll es ein kollektives Ziel für jährliche Beiträge sein, die bis zu einem festgelegten Zeitpunkt (z. B. bis 2030 oder bis 2035) geleistet werden sollen, nach dem der ganze Verhandlungsprozess wieder von vorne beginnt? Oder schafft es die Staatengemeinschaft, sich auf längerfristige Mechanismen zu einigen, sodass zumindest die Grundsätze des Ziels nicht mehr alle fünf Jahre neu verhandelt werden müssen?
Der Wille für ein längerfristiges Design scheint bei vielen vorhanden, die Krux ist aber, einen akzeptierten Überprüfungsmechanismus zu finden, mit dem das Ziel periodisch auf neue Realitäten angepasst werden kann. Eine weitere offene Frage betrifft schliesslich die Höhe der neuen kollektiven finanziellen Verpflichtungen. Hier besteht die grundlegende Meinungsdifferenz darin, ob die Höhe technisch auf objektiven Schätzungen für die Bedürfnisse beruhen soll oder ob dies eine rein politisch auszuhandelnde Grösse ist. Letztlich werden all diese Fragen erst an der COP29 im Jahr 2024 fertigverhandelt. Die Technischen Dialoge bieten aber die Gelegenheit, mögliche Optionen zu erarbeiten, die auch in der Umsetzung funktionieren könnten und dabei die Prioritäten und Bedürfnisse der anderen Parteien besser berücksichtigen.
Öffentliche Finanzierung für Klimaanpassung stärken
Die Schweiz gehört zu denjenigen Staaten, deren bisherige Klimafinanzierung tatsächlich eine Balance zwischen Mitigation und Adaptation erreicht (allerdings auf Kosten bisheriger Entwicklungszusammenarbeit und insgesamt zu tief angesetzt). Sie sollte sich dafür einsetzen, dass die ärmsten Länder angesichts stark steigender Finanzierungslücken längerfristig mit genügend öffentlichen Mitteln zur Klimaanpassung unterstützt werden. Am klarsten kann dies mit einem starken Unterziel für öffentliche Anpassungsfinanzierung erreicht werden. Für die ab 2025 anstehende Umsetzung in der Schweiz bedeutet dies, dass verursachergerechte neue Finanzierungsinstrumente gefunden werden müssen, um zusätzliche öffentliche Einkünfte dafür generieren zu können. Die Schweiz darf sich nicht ein zweites Mal erlauben, die Klimafinanzierung ohne den Einsatz zusätzlicher Mittel auf dem Buckel der internationalen Zusammenarbeit umzusetzen. Klimafinanzierung ist keine zusätzliche Unterstützung für den Globalen Süden, wenn sie bisherige Unterstützung in anderen Bereichen verdrängt.