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Der Kater nach dem Goldrausch

10.12.2018, Internationale Zusammenarbeit

Burkina Faso gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Zwar gibt es eine engagierte Zivilgesellschaft, doch das Land ist auch ein exemplarisches Beispiel für hartnäckige Entwicklungsprobleme.

Der Kater nach dem Goldrausch
In der Goldmine Balong-tanga beim Dorf Tikaré gräbt sich ein Kleinschürfer in die Tiefe.
© Meinrad Schade

von Eva Schmassmann, ehemalige Fachverantwortliche «Politik der Entwicklungszusammenarbeit»

Zwischen 2003 und 2012 brach im westafrikanischen Sahelstaat Burkina Faso ein wahrer Goldrausch aus. Der Preis des Edelmetalls auf dem internationalen Markt verfünffachte sich zeitweise, der Traum vom raschen Reichtum trieb unzählige Glückssucher auf die Goldfelder. Die Regierung passte das nationale Minengesetz an, um ausländische Investitionen anzuziehen. Zahlreiche Firmen, die aufgrund der unsicheren politischen Situation oder hoher Investitionskosten von einem industriellen Goldabbau in Burkina Faso abgesehen hatten, folgten dem Lockruf; heute sind in Burkina Faso zwölf industriell betriebene Goldminen lizenziert. Der Anteil des Goldes an den Exporten beträgt 55%, eine gefährlich einseitige Abhängigkeit von einem Exportgut.

Für die Bevölkerung ist der Glanz des Goldes innerhalb kurzer Zeit verblasst. Um den industriellen Goldminen Platz zu machen, wurden ganze Dörfer umgesiedelt. Mütter verloren ihre Söhne an einen gefährlichen Traum: Unter miserablen Bedingungen suchen sie in tiefen Schächten nach der Goldader, die ihr Leben verändern könnte. Die Realität sieht anders aus: Ausbeutung, Kinderarbeit, Prostitution und Drogenkonsum gehören für Goldschürfer in Burkina Faso zum Alltag, der Einsatz von Quecksilber oder Zyanid bei der Goldgewinnung gefährdet die Gesundheit der Menschen und die Umwelt. Ende Oktober konnte sich die Autorin im Rahmen einer von Fastenopfer organisierten Reise ein Bild der Situation vor Ort machen.

Mit dem Beginn des Goldrauschs wurde die Rohstoffproblematik zunehmend Teil der Projektarbeit von Fastenopfer, denn lokale Partnerorganisationen, Kleinbäuerinnen und Kleinbauern in ländlichen Gebieten oder Frauen-Solidaritätsgruppen, sie alle sind unmittelbar betroffen von den Auswirkungen des Goldabbaus: Durch Goldfunde auf ihrem Land verschwindet die Grundlage bäuerlichen Einkommens, durch den Wegzug der Jungen fehlen die Arbeitskräfte. Neue strategische Partnerschaften mussten aufgebaut werden, etwa um auf nationaler Ebene bei der Revision der Bergbauordnung die Rahmenbedingungen für den Goldabbau zu beeinflussen. Das Ziel: Die lokale Bevölkerung soll nicht nur negative Auswirkungen tragen müssen, sondern auch von den Gewinnen der Goldindustrie profitieren (siehe auch Interview mit Napina Odette Toe).

Goldschürfer in der Provinz Bam

Kongoussi ist der Hauptort der Provinz Bam und liegt rund 100 Kilometer nördlich von Ouagadougou. Die Fahrt über die nach der Regenzeit stark beschädigte Strasse zieht sich über zwei Stunden hin, wir besuchen zwei der zahlreichen artisanalen Goldgräberfelder in der Provinz sowie ein Dorf, das wegen einer industriellen Mine umgesiedelt wurde. Auch wer bereits verschiedene Studien über die Arbeitsbedingungen von Kleinschürfern gelesen, Bilder und Filme darüber gesehen hat, den trifft der eigene Besuch fast wie unvorbereitet. Die staubige Luft, der Dreck, die stechende Sonne. Als weisse BesucherInnen sind wir eine Attraktion, Dutzenden Jungs und Männer folgen unserer Delegation. Ein Goldschürfer montiert die Stirnlampe und steigt zu Demonstrationszwecken in seinen Schacht hinab. Bis zu 100 Meter tief graben sie diese Schächte, die unter Tag mit horizontalen Verzweigungen untereinander verbunden sind. Ein Loch neben dem andern tut sich auf. Es wird in Teams gearbeitet, in Schichten rund um die Uhr. Der Besitzer eines solchen Schachtsystems, der über die Lizenz zum Graben verfügt, stellt die Kleinschürfer an. Er stellt die notwendigen Investitionen wie Kurbel, Seil, Ventilation. Schutzkleidung hingegen muss von den Schürfern selber finanziert werden. Angesichts des mickrigen Lohns überrascht es nicht, dass wir davon nichts sehen, selbst Helme gibt es kaum. Solange die Einkommen so gering sind, ändert auch die Sensibilisierung über Gesundheitsrisiken durch lokale NGOs wenig daran. Mit Brecht liesse sich sagen: Zuerst kommt das Fressen, dann die Gesundheit.

Die Kleinschürfer führen alle Arbeitsschritte bis zum Auswaschen des goldhaltigen Sandes selber aus. Für die eigentliche Goldgewinnung ist jedoch ein weiterer Schritt nötig: Hier wird – wie oft im Kleinbergbau – auf die Besonderheit von Quecksilber gesetzt, das eine Amalgamation oder Legierung mit Gold eingehen kann. So werden selbst kleinste Goldpartikel im goldhaltigen Schlamm durch Zugabe von Quecksilber gebunden. Durch Erhitzen des Amalgams kann das Gold wieder gelöst werden. Diesen Arbeitsschritt besorgt noch vor Ort direkt der erste Abnehmer des Goldes. Die Abhängigkeit der Schürfer von diesen Einkäufern ist dabei fast grenzenlos: Aufgrund ihrer prekären Situation ist ihre Verhandlungsposition extrem schwach. Sie können nicht warten, bis der Goldpreis steigt oder selber alternative Verkaufskanäle suchen und müssen nehmen, was ihnen geboten wird. Lokale Partnerorganisationen von Fastenopfer setzen sich in diesem Umfeld unter anderem dafür ein, dass sich die Kleinschürfer gewerkschaftlich organisieren und dadurch kollektiv ihre Position stärken können.

Die Goldmine Bissa

Auf dem Weg zurück nach Ouagadougou machen wir Halt in Bissa, wo das gleichnamige Dorf 2013 der industriell betriebenen Goldmine Bissa weichen musste. Die Enttäuschung und der Ärger der umgesiedelten Dorfbewohnerinnen und -bewohner sind hier fast mit Händen greifbar. Von den vielen von den Minenbetreibern gemachten Versprechen wurden nur einige wenige gehalten. Nach der Umsiedlung zeigte sich, dass das Grundwasser am neuen Wohnort mit Arsen versetzt war und ungeniessbar ist. So müssen die Mädchen und Frauen Trinkwasser mehrere Kilometer weit weg beschaffen. Tests im Vorfeld hätten hier zumindest einen anderen Siedlungsort mit Zugang zu qualitativ gutem Wasser garantieren können. Die zur Verfügung gestellten Häuser entsprechen nicht der traditionellen Wohnform und führten zur Zerstörung der bis anhin intakten sozialen Dorfstruktur. Entschädigungen wurden nur für die zum Zeitpunkt der Umsiedlung bewirtschafteten Felder bezahlt. Von den rund 1500 DorfbewohnerInnen fanden lediglich 75 einen Job in der Mine, erhofft hatten sie sich wesentlich mehr. Ohne Investitionen in die Ausbildung der ländlichen Bevölkerung – die Analphabetenrate ist hier extrem hoch – bleiben Anstellungen im Minenumfeld schwierig.

Während die Webseite der Goldmine stolz darauf hinweist, dass die Mine innerhalb von nur 21 Monaten die Investitionen amortisieren konnte, hat sich das Leben der DorfbewohnerInnen nicht wie erhofft verbessert. Ausserdem droht durch die geplante Erweiterung der Mine die erneute Umsiedlung. Kein Wunder wächst mit diesen Enttäuschungen auch der Widerstand gegen den industriellen Goldabbau.

Die Verantwortung der Schweiz

Als weltweit grösste Drehscheibe und wichtigster Player in der Verarbeitung von Rohgold zu hochkarätigen Goldbarren trägt die Schweiz in diesem Geschäft eine spezielle Verantwortung. In den letzten Jahren wurden jeweils gut 90% allen in Burkina Faso abgebauten Goldes in die Schweiz exportiert und von den Goldraffinerien hierzulande verarbeitet.

Der Einsatz von Alliance Sud und über 100 weiteren Organisationen für die Konzernverantwortungsinitiative ist auch eine Unterstützung der burkinischen Zivilgesellschaft. Denn die Initiative fordert von Unternehmen mit Sitz in der Schweiz eine Sorgfaltsprüfung und damit den Respekt von Menschenrechten und Umweltstandards von Firmen im Ausland, die stark von ihnen abhängen oder faktisch kontrolliert werden.
Am 14. November hat der Bundesrat seinen mehrfach verzögerten Goldbericht veröffentlicht. Er räumt darin ein, dass menschenrechtswidrig produziertes Gold in die Schweiz gelangen kann. Die Massnahmen, wie das verhindert werden soll, werden von mehreren Schweizer NGOs in einer gemeinsamen Stellungnahme als ungenügend und untauglich bezeichnet.

 
Burkina Faso in Stichworten und Zahlen

Auf dem Index menschlicher Entwicklung der UNO liegt Burkina Faso auf dem 183. Platz von 189 bewerteten Staaten. Nur ein gutes Drittel der Bevölkerung kann lesen und schreiben, über 40% leben von weniger als 1.90 US-Dollar pro Tag und damit unter der Schwelle extremer Armut. Das Bruttoinlandprodukt beträgt knapp 12 Milliarden US-Dollar. Bei einer Bevölkerung von rund 20 Millionen bleiben pro Kopf 646 US-Dollar. Die Bevölkerung wächst jährlich um 3%, das Bevölkerungswachstum ist eines der höchsten weltweit. Bis 2050 wird mit einer Verdoppelung der Bevölkerung gerechnet.

Alliance Sud-Träger und -Partner in Burkina Faso

Fastenopfer legt den Fokus auf das Recht auf Nahrung, nchhaltige Landwirtschaft, den Zugang zu Land und Ressourcen, nachhaltigere Goldförderung sowie autonome und solidarische Spargruppen. Helvetas unterstützt die ländliche Bevölkerung in den Bereichen Raumerschliessung, setzt auf Berufsbildung und -eingliederung von Jugendlichen sowie Wasserversorgung und Hygiene. Solidar Suisse engagiert sich für faire Arbeit zugunsten der besonders benachteiligten Bevölkerung im ländlichen Raum und fördert die BürgerInnenbeteiligung im Demokratisierungs- und Entwicklungsprozess. Terre des Hommes Schweiz baut auf drei Pfeiler: Ausbildung und Berufsbildung junger Frauen, der Kampf gegen Kinderarbeit unter den Goldschürfern sowie die Stärkung der Ernährungssicherheit.

Die Zivilgesellschaft in der jungen Demokratie Burkina Fasos ist fragil, auch wenn sich die Möglichkeiten der Partizipation nach der Vertreibung des Langzeitmachthabers Blaise Campaoré 2014 stark verbessert haben.