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«Es braucht von allen Seiten mehr Transparenz»

10.12.2018, Internationale Zusammenarbeit

Interview mit Napina Odette Toe, Projektverantwortliche bei ORCADE (Organisation pour le renforcement des capacités de développement), Nichtregierungsorganisation aus Ouagadougou, Burkina Faso.

«Es braucht von allen Seiten mehr Transparenz»
Napina Odette Toe, Projektverantwortliche bei ORCADE (Organisation pour le renforcement des capacités de développement), Ouagadougou, Burkina Faso
© Eva Schmassmann

Interview von Eva Schmassmann, ehemalige Fachverantwortliche «Politik der Entwicklungszusammenarbeit»

Im Jahr 2015 verabschiedete das Parlament von Burkina Faso ein neues Bergbaugesetz, das den Goldabbau im Land regelt. Welche Bedeutung hat dieses neue Gesetz?

Das neue Bergbaugesetz ist ein grosser Fortschritt in unserem Kampf zum Wohle der lokalen Gemeinschaften. Das Gesetz soll das Engagement der industriellen Minenbetreiber in den Bereichen Ausbildung und Anstellung der lokalen Bevölkerung verstärken. Auch sollen die Bergwerke mehr auf lokal produzierte Konsumgüter zurückgreifen. Und es sieht Massnahmen vor, wie Gemeinschaften entschädigt werden, die direkt von Bergbauaktivitäten betroffen sind. Aber unser grösster Kampf betraf die Finanzierung des Minenfonds für lokale Entwicklung (fonds minier de développement local). Nach dem Gesetz  muss heute jedes Bergbauunternehmen mit 1% seines Umsatzes zur Entwicklung der lokalen Bevölkerung beitragen. Dieses Geld soll zur Finanzierung von Infrastrukturprojekten nach lokalen Entwicklungsplänen verwendet werden, die in einem partizipativen Prozess von Behörden und Zivilgesellschaft erstellt werden. Dieser Bergbaufonds kann damit direkt zum Wohle der lokalen Gemeinschaften und ihrer Entwicklung beitragen.

Wo steht die Umsetzung drei Jahre nach der Verabschiedung des Gesetzes?

Wir sind sehr enttäuscht, denn der Staat setzt das Gesetz zu wenig konsequent um. Nur sieben Verordnungen und zwei Ausführungserlasse wurden seither verabschiedet. Es gibt keinen Plan zur Weiterbildung burkinischer Führungskräfte, um die schrittweise Ablösung der ausländischen Arbeitskräfte zu fördern. Die Frage der Entschädigung ist nach wie vor ungeklärt. Und wir müssen weiter dafür kämpfen, dass die Minenunternehmen tatsächlich 1% ihres Umsatzes in den Minenfonds einzahlen.
Für die Minen - und auch für die lokalen Gemeinschaften! - ist das ein erheblicher Geldbetrag. Auch nach der Verabschiedung des neuen Gesetzes versuchen die Bergbauunternehmen, die entsprechenden Bestimmungen neu zu verhandeln. Zuerst boten sie 0,5% des Umsatzes an, dann wollten sie ihre Corporate Social Responsibility (CSR)-Aktivitäten anrechnen lassen. Die Zivilgesellschaft muss daher weiterhin für die Umsetzung des Kodex kämpfen. Für uns ist die Finanzierung des Entwicklungsfonds eine Priorität: Denn bei der Verwaltung des Fonds sitzt die Zivilgesellschaft mit am Tisch; die aus dem Fonds finanzierten Projekte werden auf lokaler Ebene definiert und priorisiert. Für die Umsetzung von CSR-Aktivitäten dagegen sind wir auf den Goodwill der Minengesellschaften angewiesen.
All dies hat zu einer grossen Enttäuschung bei den betroffenen Menschen geführt. Zu viele Versprechungen wurden nicht eingehalten. Die öffentliche Meinung in diesen Dörfern ist sich am Verändern: Man bedauert die Anwesenheit der Goldminen, der Glanz ist erloschen.

Wie sieht ORCADE diese Entwicklung?

Für ORCADE ist der Goldabbau in Burkina Faso eine Tatsache. Wir können nicht dagegen ankämpfen. Aber zumindest können wir dafür kämpfen, dass die Gewinnung unter Bedingungen erfolgt, die der lokalen Bevölkerung zugutekommen und dass die Menschenrechte eingehalten und der Schutz der Umwelt ernst genommen wird.
Bergbauunternehmen neigen dazu, vertriebene lokale Bevölkerungsgruppen finanziell entschädigen zu wollen. Aber jede Entschädigung in Cash ist eines Tages aufgebraucht. Der eigentliche Kampf besteht daher darin, die Lebensgrundlagen zu erhalten, also den vertriebenen Männern und Frauen andere Felder zu geben, damit sie auch auf lange Sicht die Grundlagen für ein autonomes Leben behalten. Wenn schon Geld gegeben wird, dann brauchte es zumindest auch eine Schulung darin, wie das Geld eingesetzt und verwaltet werden soll. Aber das ist eine schwierige Aufgabe.
Im Rückblick stellen wir fest, dass Burkina Faso nicht auf den Goldabbau vorbereitet war. Jeder betrachtete ihn als Chance und verschloss die Augen vor den negativen Folgen. Die zuständigen Behörden haben Verträge ohne eine angemessene Risikoanalyse unterzeichnet. Heute erkennen sie, dass es schwierig ist, sie zu ändern. Die Minengesellschaften haben die Arbeit aus ihrer Sicht dagegen gut gemacht, die Verträge haben oft eine Laufzeit von zehn fünfzehn Jahren. Es ist unmöglich, einige Passagen vor Ablauf dieser Frist zu überarbeiten.

Was ist mit den Kleinschürfern? Bietet das neue Bergbaugesetz eine Lösung für Probleme in diesem Bereich?

Der Kleinbergbau ist ebenfalls Gegenstand des neuen Gesetzes. Aber auch hier fehlt der politische Wille, es umzusetzen. So wurde beispielsweise eine Nationale Agentur für die Verwaltung des Kleinbergbaus und des teilmechanisierten Bergbaus geschaffen. Die zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel reichen jedoch bei Weitem nicht. Die Goldgräber selbst werden nicht in die Arbeit der Agentur einbezogen, ebenso wenig wie die Zivilgesellschaft. Aber die Zivilgesellschaft wird sich auf jeden Fall aufdrängen und Teil dieser Prozesse werden.

Wo liegen die grössten Hindernisse, damit das neue Bergbaugesetz sein Potential entfalten kann?

Der Hauptzweck eines Bergbauunternehmens ist es, Gewinne zu erzielen. Ohne ausreichende staatliche Kontrolle hat es weitgehend freie Hand zu tun, wie es ihm beliebt. Daher ist es unerlässlich, die staatliche Kontrolle über den Bergbau in Burkina Faso zu stärken. Um dies voranzutreiben, muss sich die Zivilgesellschaft vernetzen. Zusammen mit der internationalen NGO «Publish what you pay» haben wir bereits für mehr Transparenz im Bergbausektor sorgen können, das ist die Voraussetzung dafür, dass Unternehmen und Staat ihre Verantwortung wahrnehmen.


ORCADE ist ein 2001 gegründeter Verein nach burkinischem Recht. Im Jahr 2006 erhielt er offiziell den NGO-Status. Ziel von ORCADE ist es, die organisatorischen und technischen Kapazitäten von lokalen Gemeinschaften zu stärken, damit diese ihre Interessen selber besser vertreten können. Arme und Benachteiligte sollen Instrumente und Techniken kennenlernen, um die staatliche Entwicklungspolitik so zu beeinflussen, damit sich ihre Lebensbedingungen verbessern und sie von deren wirtschaftlichen Auswirkungen effektiv profitieren. ORCADE ist der strategische Partner von Fastenopfer in Burkina Faso, um Bergbauunternehmen und die Regierung in Sachen Menschenrechte zu beeinflussen. www.orcade.org