Meinung

Arme Armee und fragile Fakten

03.10.2023, Internationale Zusammenarbeit

Hilft in fragilen Kontexten nur eine starke Armee? Solide Forschung zeigt, dass die Entwicklungszusammenarbeit auch in einem ausserordentlich schwierigen Umfeld eine wichtige Rolle spielen kann, schreibt Geschäftsleiter Andreas Missbach.

Andreas Missbach
Andreas Missbach

Geschäftsleiter

Arme Armee und fragile Fakten

© Ala Kheir

Die DEZA-Direktion lädt zur Pressenkonferenz an einen symbolkräftigen Ort. Hier legt sie minutiös dar, warum die Schweiz angesichts von Vielfachkrise und wachsender Armut dringend mehr für die internationale Zusammenarbeit ausgeben muss. Sie tut dies, obwohl der Bundesrat bereits einen Abbau für 2024 und darauffolgend real ein Nullwachstum für die IZA beschlossen hat.

Undenkbar in der Schweiz? Nein, denn genau das ist mit anderem Personal und in anderen Dimensionen im August geschehen. Armeechef Thomas Süssli hat eine Erhöhung des Militärbudgets auf 1% der Staatsausgaben bis 2030 gefordert. Dies obwohl der Bundesrat mit der Finanzplanung bereits beschlossen hatte, den vom Parlament gewünschten Zielwert erst 2035 erreichen zu wollen. «Befehlsverweigerung» nannte dies die NZZ, doch würde man sich so viel Chuzpe und Kampfgeist auch von der DEZA-Direktion wünschen.

Apropos Armeen, mit dem Putsch im Niger überschlugen sich die Kommentarspalten mit Texten, die «Afrika» als Kontinent der Umstürze und der gescheiterten Demokratien darstellten. Der senegalesische Entwicklungsökonom Ndongo Samba Sylla rückte dazu die Fakten auf dem X -beliebigen Kurznachrichtendienst etwas zurecht: Der Höhepunkt erfolgreicher Umstürze auf dem Kontinent lag zwischen 1970 und 1979 sowie zwischen 1990 und 1999 mit je 36 Putschen pro Dekade. Seither sind sie stark zurückgegangen. Die Mehrheit der Länder Afrikas hat seit 1990 nie einen gewaltsamen Umsturz erlebt, ein Drittel nie seit der Unabhängigkeit.

Für die kürzliche Häufung von Militärcoups in Ländern des Sahels (und nicht in ganz Afrika) lassen sich mit einer Ausnahme (Sudan) zwei gemeinsame Faktoren für erfolgreiche Staatstreiche ausmachen. Sie geschehen erstens in ehemaligen französischen Kolonien, die zweitens aus geopolitischen Gründen von ausländischer Militärpräsenz gezeichnet sind (im Fall von Gabun könnte man noch anfügen «oder von europäischen Ölkonzernen ausgebeutet werden»). Ndongo Samba Sylla spricht deshalb statt von Krise der Demokratie von einer «Krise des französischen Imperialismus».

Natürlich lassen Ereignisse wie in Niger auch die Diskussion über den Sinn der Entwicklungszusammenarbeit in fragilen Ländern aufblühen. Der Nutzen der IZA wird grundsätzlich in Frage gestellt, und zwar vor einem Putsch («die IZA hat den Ländern keine stabile Demokratie gebracht») als auch danach («was habt ihr dort noch verloren?»). Schwierige Fragen zweifellos, die Alliance Sud auch in der parlamentarischen Diskussion über die Botschaft für internationale Zusammenarbeit beschäftigen werden.

Aber auch hier gilt, Fakten bitte. Die hat Professor Christoph Zürcher von der Graduate School of Public and International Affairs der Universität Ottawa. Er hat eine systematische Überprüfung von 315 Einzelevaluierungen der internationalen Zusammenarbeit für Afghanistan, Mali und Südsudan von 2008 bis 2021 durchgeführt. Sie legt nahe, dass die internationale Zusammenarbeit im Kontext von militärischen Konflikten und geopolitischen Interessen Staaten nicht stabilisieren oder befrieden kann. Die Studie zeigt aber auch, dass Investitionen in Bildung, Gesundheit und ländliche Entwicklung, beispielsweise die Unterstützung landwirtschaftlicher Strukturen, erfolgreich sind und bei der lokalen Bevölkerung ankommen. Sein Fazit: «Projekte, die sich an den Menschen orientieren und nicht die grosse Transformation des Landes anstreben, wirken ».

Lesen Sie das grosse «global»-Interview mit Christoph Zürcher.