Meinung

Sri Lankas «Kaiser ohne Kleider»

04.10.2022, Internationale Zusammenarbeit

Mitte Juli floh Präsident Gotabaya Rajapaksa wie ein gejagter Hund aus Sri Lanka, Anfang September ist er wieder zurückgekehrt. Über fast zwei Jahrzehnte haben er und seine Brüder die Geschicke im Land mit eiserner Faust bestimmt. Von Karin Wenger

Sri Lankas «Kaiser ohne Kleider»

Protestierende im Swimming Pool des Präsidentenpalastes in Colombo, nachdem sie diesen im Juli 2022 gestürmt hatten.
© KEYSTONE-SDA/EPA/CHAMILA KARUNARATHNE

Es sind Szenen der Wut und des Triumphs, die sich am 9. Juli 2022 in der Residenz von Sri Lankas Präsident Gotabaya Rajapaksa abspielen: Im Swimming Pool plantschen Menschen, andere tanzen auf dem Rasen vor der Villa oder machen Mittagsschlaf in Rajapaksas Himmelbett. Tausende sind in die Residenz eingedrungen und fordern lautstark den Rücktritt des Präsidenten. Ihn und seine Familie machen sie dafür verantwortlich, dass sich Sri Lanka in der schwersten Wirtschaftskrise seit der Unabhängigkeit von 1948 befindet.

Im Mai wurde das hochverschuldete Land erstmals zahlungsunfähig. Als Folge konnte die Regierung wichtige Importe wie Treibstoff, Medikamente und Kochgas nicht mehr bezahlen. Die Menschen mussten mit Holz kochen und sich stundenlang anstellen, um Treibstoff oder lebenswichtige Medikamente zu kaufen – falls sie welche fanden. Zehntausende strömten auf die Strasse, um gegen die Regierung zu protestieren und die Residenz von Gotabaya Rajapaksa zu stürmen. Der Präsident floh kurz darauf Hals über Kopf mit einer Armeemaschine auf die Malediven, dann nach Singapur, wo er seinen Rücktritt verkündete. Es war die Flucht eines Mannes und der Sturz einer Herrscherfamilie, die Sri Lanka für fast zwanzig Jahre wie ein Familienunternehmen regiert haben.

Kein Widerspruch geduldet

Die Arroganz der Rajapaksas erlebte ich 2010 am eigenen Leib. Damals war Gotabaya noch Verteidigungsminister mit Hang zu Wutausbrüchen und sein Bruder Mahinda seit 2005 Präsident, weitere Brüder besetzten wichtige Positionen in der Regierung. Mit grösster Brutalität hatten die Rajapaksas die Tamil Tigers im Mai 2009 vernichten lassen. Dabei töteten Regierungstruppen in den letzten Kriegsmonaten laut UNO schätzungsweise 40 000 tamilische ZivilistInnen. Die singhalesische Bevölkerungsmehrheit jedoch verehrte Präsident Mahinda und seinen Bruder Gotabaya weiterhin, schliesslich hatten sie den 26 Jahre dauernden Bürgerkrieg beendet, alles andere schien unwichtig.
Damals, im Januar 2010, war ich als Südasien-Korrespondentin von Radio SRF zu den Präsidentschaftswahlen nach Sri Lanka gereist.

Die Wiederwahl von Mahinda Rajapaksa stand so gut wie fest; trotzdem liess er alle, die ihn kritisierten, mundtot machen: Das Hotel, in dem sich sein politischer Herausforderer Sarath Fonseka befand, wurde mit Militär umstellt; kritische JournalistInnen verschwanden; Verteidigungsminister Gotabaya drohte, das Gebäude der Oppositionszeitung «Lanka» niederzubrennen. Als ich an einer Regierungspressekonferenz zwei kritische Fragen stellte, überreichte mir ein Hotelangestellter am gleichen Abend einen Brief der Regierung: Ich wurde des Landes verwiesen. Nur dank dem Druck internationaler Medien, die über die Ausweisung berichteten, machte die Regierung schliesslich eine Kehrtwende. Mahinda Rajapaksa höchstpersönlich lud mich zum Mittagessen ein.

So sass ich kurz nach den Wahlen mit dem wiedergewählten Präsidenten Mahinda Rajapaksa an einem langen, weiss gedeckten Tisch. Rajapaksa schlürfte seine Suppe und schmatzte seine Antworten ins Mikrophon. Fragen nach Menschenrechtsverbrechen seiner Regierung lachte er jovial weg und sagte stattdessen: «Ich will die Entwicklung meines Landes vorantreiben, das hat oberste Priorität. Ich habe alle Länder aufgefordert, in Sri Lanka zu investieren und ich will den Tourismus fördern.» Doch viele westliche Länder waren skeptisch und knüpften ihre Zusagen daran, dass die sri-lankische Regierung Menschenrechten endlich Achtung verschaffe. Solche Forderungen stellte China nicht und wurde so in den vergangenen Jahren zu einem der wichtigsten Kreditgeber des Landes. Mit chinesischen Krediten wurden teure Projekte finanziert, die dem Land wenig, dem Ego der Rajapaksas jedoch viel brachten.

Schlecht für Sri Lanka, gut für China

Mit einem chinesischen Darlehen von mehr als einer Milliarde US-Dollar liess die Regierung beispielsweise in Hambantota, der Heimatstadt der Rajapaksas im Süden des Landes, einen gigantischen Hochseehafen bauen. Westliche Mächte und Indien sorgten sich, dass China damit nicht nur seine wirtschaftliche, sondern auch seine militärische Macht im indischen Ozean ausbauen werde. Eine Sorge, die sich bewahrheitete: 2017 musste Sri Lanka den Hafen an China verpachten, weil die Regierung das milliardenschwere Darlehen nicht zurückzahlen konnte. Damals war Mahinda Rajapaksa bereits nicht mehr Präsident, er hatte die Wahlen 2015 verloren. Doch 2019 feierte die Rajapaksa-Familie ein politisches Comeback: Gotabaya wurde Präsident, sein Bruder Mahinda Premierminister. Im August, Wochen nachdem Gotabaya Rajakapsa aus dem Land geflohen war, legte die «Yuang Wang 5», ein militärisches Überwachungsschiff aus China, im Hafen Hambantota an. Für China hatte sich der Kredit ausgezahlt, für Sri Lanka nicht.

Die Entwicklung Sri Lankas, die Mahinda Rajapaksa bei unserem Mittagessen vor zwölf Jahren zu seiner höchsten Priorität erklärt hatte, erweist sich im Rückblick als Ausverkauf des Landes und Plünderungszug der Rajapaksa-Familie. Sie waren keine Herrscher für alle, sondern Kaiser ohne Kleider.

Karin%20Wenger.jpg

Karin Wenger war von 2009 bis 2016 Südasien-Korrespondentin von Radio SRF mit Sitz in Neu-Delhi und von 2016 bis 2022 Südostasien-Korrespondentin mit Sitz in Bangkok. Im Frühling hat sie drei Bücher über ihre Zeit in Asien veröffentlicht. In den kommenden Monaten schreibt sie für «global» Kommentare über vergessene Konflikte und Ereignisse im Globalen Süden. www.karinwenger.ch

Global Logo

global

Die Alliance Sud-Zeitschrift zu Nord/Süd-Fragen analysiert und kommentiert die Schweizer Aussen- und Entwicklungspolitik. «global» erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden.