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Die Alliance Sud-Zeitschrift zu Nord/Süd-Fragen analysiert und kommentiert die Schweizer Aussen- und Entwicklungspolitik. «global» erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden.
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21.03.2022, Internationale Zusammenarbeit
Seit Januar ist Andreas Missbach neuer Geschäftsleiter von Alliance Sud. Der Sozialwissenschaftler und passionierte Bergwanderer hat keine Berührungsängste mit dem Markt und freut sich über Angriffe politischer Gegner.
Abgesehen von einem Blumenstrauss war Andreas Missbach an seinem ersten Arbeitstag am 3. Januar ganz allein im Büro, da die neuen KollegInnen von Alliance Sud noch in den Weihnachtsferien weilten oder pandemiebedingt im Homeoffice arbeiteten. Die Räumlichkeiten kannte er aber dank seiner früheren Tätigkeit bei Public Eye; dies erleichterte den einsamen Start. Zum Zeitpunkt dieses Interviews − welches Anfang Februar und somit drei Wochen vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine stattfand − sind in seinem Büro bereits kleine, aber feine Unterschiede erkennbar, die seinen Tatendrang verdeutlichen: Schwarz-Weiss-Bilder des brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado hängen an der Wand sowie eine feierliche Urkunde der autonomen Regierung von Achacachi, die er kürzlich in Bolivien besucht hat.
Interview von Marco Fähndrich und Kathrin Spichiger
Andreas, Du hast 20 Jahre bei Public Eye in Zürich gearbeitet, nun bist Du in Bern bei Alliance Sud: Was verbindet und unterscheidet diese zwei entwicklungspolitischen Organisationen?
Bei Public Eye habe ich seit jeher sehr eng mit den KollegInnen von Alliance Sud zusammengearbeitet, vor allem bei Themen wie Finanzen und Steuern. Die Politik der Entwicklungszusammenarbeit wird hingegen von Public Eye nicht mehr bearbeitet, da ist Alliance Sud mit ihren Mitgliedern seit 50 Jahren das unbestrittene Kompetenzzentrum der Schweizer Zivilgesellschaft.
Wo möchtest Du in Zukunft bei Alliance Sud Schwerpunkte setzen?
Bei der Politikkohärenz und ihren zentralen Schnittstellen: Zum Beispiel zwischen Handel und Klimapolitik, wo über eine Grenzausgleichssteuer diskutiert wird; zwischen Klimapolitik und Finanzen, wo der Privatsektor als Vehikel der Schweizer Klimafinanzierung präsentiert wird; zwischen Finanzen und internationaler Zusammenarbeit, wo Partnerschaften mit Unternehmen als der neue goldene Weg betrachtet werden, auch wenn sich dabei manchmal nur einige eine goldene Nase verdienen.
Die «NZZ am Sonntag» zitierte Dich im Jahr 2009 mit dem Satz, Du seist «ein grosser Fan von Unternehmertum und von Markt. Unternehmen, vor allem kleine und mittlere, schaffen Arbeitsplätze, was Entwicklungshilfe selten leistet». Ist das als Unterstützung für den neuen, wirtschaftsnahen Kurs von Aussenminister Ignazio Cassis zu verstehen?
Dieses Zitat habe ich wohl nicht ganz aufmerksam gegengelesen! Das war jetzt eine Antwort im Stil von Boris Johnson (lacht). In diesem Interview ging es ums WEF: Ich betonte darin, dass die Wirtschaft sehr viel mehr umfasst als die multinationalen Konzerne in Davos und auch von kleinen Unternehmen, Kooperativen und Gewerkschaften geprägt wird. Und Fan bin ich tatsächlich von dem «Markt», wo sich Produzierende vom Land mit Konsumierenden in der Stadt treffen. Sei es auf dem Bundesplatz, dem Zürcher Helvetiaplatz oder in El Alto in Bolivien.
Gerade die Pandemie hat aber auch die Realwirtschaft im globalen Süden besonders hart getroffen…
Die Coronakrise zeigte deutlich, dass man nicht alle Eier in denselben Korb legen sollte, weil der Privatsektor auf Unterstützung des Staates angewiesen ist und die Zivilgesellschaft wichtige Aufgaben übernimmt, sobald der Markt versagt. Die lokalen Partner der Mitglieder von Alliance Sud konnten rasch Hilfe leisten, als auch die Menschen mit Arbeitsplatz plötzlich kein Einkommen mehr hatten.
Du hast vor rund 20 Jahren Deine Dissertation über die Klimaverhandlungen in den Vereinten Nationen geschrieben und dabei den Konflikt zwischen Nord und Süd thematisiert. Was hat sich seitdem verändert?
Neu ist vor allem, dass China heute eine Grossmacht ist und am meisten Treibhausgase ausstösst. Es ist aber erschreckend, wie wenig sich in all diesen Jahren verändert hat. Die wichtigsten Konfliktlinien sind immer noch die gleichen: Es wird weiterhin gestritten, wie die «gemeinsame, aber unterschiedliche Verantwortung» der Klimarahmenkonvention umgesetzt werden soll, insbesondere welche Rolle der Technologietransfer spielt und wie die Klimafinanzierung Verursachern und Opfern Rechnung trägt.
Eine Antwort liefert die Agenda 2030, welche die gemeinsamen Ziele aller UNO-Mitgliedstaaten definiert. Diese nimmt aber in der Schweiz nicht wirklich Fahrt auf: Die Bevölkerung kennt sie nicht und die Bundesverwaltung verwaltet sie nur. Wo siehst Du das grösste Problem bei der Umsetzung der Ziele für nachhaltige Entwicklung?
Die Agenda 2030 ist extrem ambitioniert: Es ist wie das Konzentrat aller guten Ideen, die im UNO-System in den letzten 50 Jahren festgehalten und nie umgesetzt wurden. Dabei enthält sie natürlich auch die faulen Kompromisse, so werden beispielsweise die weltwirtschaftlichen Machtstrukturen und die ambivalente Rolle des Privatsektors nicht thematisiert. Das Problem besteht darin, dass sich nun jeder herauspicken kann, was er will. Leider ist die Agenda 2030 aber kein «Menu à la carte»: Wir stehen als Weltgemeinschaft vor grossen Herausforderungen und wir müssen die umfassende Transformation der Weltwirtschaft in sehr kurzer Zeit erreichen.
Wo hat die Schweiz denn den grössten Hebel, um international etwas zu bewirken?
Es gibt nicht die eine Massnahme, die alles verändern könnte, aber wenn ich wählen muss, dann dies: Der ehemalige südafrikanische Finanzminister Trevor Manuel sagte einmal: «Development is a 3 letter word and it spells T – A – X». Mit einer fairen Steuerpolitik könnte die Schweiz vermutlich am meisten dazu beitragen, dass der globale Süden die Ressourcen für seine eigene Entwicklung generieren kann. Sie muss aufhören, den Konzernen zu erlauben, ihre weltweiten Gewinne hier einzusammeln.
Was ist Deine Einschätzung zu den wiederkehrenden bürgerlichen Angriffen auf NGOs in der Schweiz? Werden diese nach der Ablehnung der Motion Noser und dem Rückzug der Motion Portmann im Parlament endlich ad acta gelegt?
Das ist schwer vorauszusagen, aber mich jedenfalls hat es gefreut, dass wir angegriffen wurden, denn es zeigt, dass wir als politische Kraft ernst genommen werden, was wir ja mit dem Volksmehr zur Konzernverantwortungsinitiative unter Beweis stellten. Wir müssen uns jedenfalls auch in Zukunft nicht einschüchtern lassen: Es braucht in der Politik und in der Wirtschaft ein starkes Gegengewicht durch die Zivilgesellschaft…
... welche aber immer wieder ignoriert wird, wie bei der mangelnden Transparenz von Schweizer Banken und Rohstoffhändlern in ihren Kreditbeziehungen mit Staaten des Südens. Woraus schöpfst Du Hoffnung und Motivation für Deine Arbeit?
Meine Politisierung begann vor über 35 Jahren mit der lateinamerikanischen Schuldenkrise und natürlich ist es frustrierend, dass wir jetzt vor der nächsten Schuldenkrise stehen und immer noch keine Mechanismen gefunden haben, damit nicht wieder die Bevölkerung den Preis bezahlen muss. Resignation ist aber einfach zu langweilig.
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