Machtwechsel in Bangladesch

Stell Dir vor, es ist Revolution und keiner schaut hin

03.10.2024, Internationale Zusammenarbeit

Genau dies geschieht seit Juli und es betrifft nicht irgendein Land, sondern das Land mit der achtgrössten Bevölkerung der Welt. Der erfolgreiche Aufstand der Jugendlichen in Bangladesch und die Vertreibung der Autokratin Sheikh Hasina nach Indien fand – von wenigen Ausnahmen abgesehen – in den hiesigen Medien nicht statt.

Andreas Missbach
Andreas Missbach

Geschäftsleiter

Stell Dir vor, es ist Revolution und keiner schaut hin

Siegesfeier aber auch den Toten gedenken und erkämpften Wandel verteidigen: Zum Einmonatigen des Machtwechsels versammeln sich im September wieder Tausende in Dhaka.
© AP Photo/Rajib Dhar

Dabei lohnt es sich gerade in den aktuellen Debatten über die Entwicklungszusammenarbeit, das Schwerpunktland der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) genauer anzuschauen. Bangladesch hat vor allem seit der Jahrtausendwende ein beeindruckendes Wirtschaftswachstum erlebt. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf hat sich mehr als versechsfacht und das Land hat sowohl Indien als auch Pakistan überholt. Die Anzahl Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze (2.15$ pro Tag) lebt, ist von einem Drittel im Jahr 2000 auf 5,8% (2023) gesunken.

Dabei hatte Bangladesch einen denkbar schlechten Start. Geboren aus den Trümmern des britischen Empires, bildete «Ostpakistan» zusammen mit dem heutigen Pakistan ein von Indien getrenntes Land. In den ersten Jahren nach der Unabhängigkeit 1971 litt das Land unter den Folgen des Bürgerkriegs und einer dramatischen Hungersnot. Der Aufstieg vom «hoffnungslosen Fall» (Henry Kissinger) und fragilen Staat zum «Bengal Tiger» wird gerne als Paradebeispiel für die Chancen der Weltmarktintegration präsentiert. Oder für das auch im Bundeshaus beliebte Mantra «Nur-ausländische-Investitionen-bringen-Wachstum-und-Entwicklung». Tatsächlich machen Textilien 85% der Exporte Bangladeschs aus und die Textilindustrie beschäftigt vier Millionen Menschen, vor allem Frauen. Dies allerdings zu Löhnen, die – erst recht bei der gegenwärtigen Inflation – nicht zum Leben ausreichen. Und die ausländischen Investitionen bringen nur ein Zehntel der Devisen, die die Migrantinnen und Migranten in ihr Heimatland überweisen.

Textilexporte und Weltmarkt sind wichtig, doch bestenfalls die halbe Miete. Denn Bangladesch ist auch eine Erfolgsgeschichte von lokalen NGOs. Mehr als drei Viertel des Gesundheitspersonals auf Gemeindeebene werden nicht von der Regierung, sondern von NGOs gestellt. Die grösste davon erreicht 110 Millionen Menschen mit Informationen und Basisdiensten. Der überwiegende Teil der neuen Malaria- und Tuberkulosefälle wird von ihr im Frühstadium diagnostiziert. «In keinem anderen Entwicklungsland haben einheimische Entwicklungsorganisationen, die zur Unterstützung der Armen gegründet wurden, eine derartige Wirkung», so der Entwicklungsökonom Stefan Dercon in seiner umfassenden Analyse «Gambling on development: Why some countries win and others lose». Und Bangladesch ist auch eine Erfolgsgeschichte der Entwicklungszusammenarbeit, etwa des UNO-Entwicklungsprogramms UNDP, das «ein Angebot darstellt, um den eigenen Entwicklungsweg zu begleiten», so dessen Leiter Achim Steiner im grossen Interview in diesem «global».

Die Zeit drängt, denn die Lieferketten in der Textilindustrie brechen leicht; gleich zu Beginn der Studentenunruhen wurden schon Aufträge nach Kambodscha und in andere Länder verlegt. Doch die starke Zivilgesellschaft und die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft lassen hoffen, dass das Land die Krise übersteht.

 

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Die Alliance Sud-Zeitschrift zu Nord/Süd-Fragen analysiert und kommentiert die Schweizer Aussen- und Entwicklungspolitik. «global» erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden.