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Nächster Halt: Marrakesch

09.03.2016, Klimagerechtigkeit

«Aktion und Umsetzung» lautet das Motto des ersten Klimagipfels nach Paris. Auf den diplomatischen Durchbruch folgt die Knochenarbeit an den Knackpunkten, die vertagt wurden. Auf der Tagesordnung: der Dauerbrenner «Klimafinanzierung».

Nächster Halt: Marrakesch

Das Pariser Klimaabkommen wird viel früher in Kraft treten als angenommen. Die notwendige Zahl von Ländern (55), die das Abkommen ratifiziert haben und damit die geforderten 55% der weltweiten CO₂-Emissionen abdecken, könnte bereits dieses Jahr erreicht werden. Nachdem die USA und China Anfangs September ihre Ratifikationsdokumente der Uno vorlegten, zogen kurz vor Reaktionsschluss noch Brasilien und Panama nach.

Auch die Weltwirtschaft scheint bereits auf Kurs: 120 globale Unternehmen, die zusammen ein Investitionsvolumen von 13‘000 Milliarden US-Dollar verwalten, appellierten anlässlich des G20-Gipfels in Hangzhou an die Staaten, das Pariser Abkommen noch dieses Jahr zu ratifizieren und verbindliche Vorgaben zu beschliessen, damit klimabedingte Finanzrisiken identifiziert und minimiert werden können.

Das vorzeitige Inkrafttreten des Abkommens löst derweilen Hektik in den Vorbereitungen zur ersten Klimakonferenz (COP22) seit Abschluss des neuen Klimaabkommens aus. Rechnete man in Paris mit Jahren zur Klärung der offen gelassenen Umsetzungsfragen, so steht der Klimagipfel vom 7. bis 18. November in Marrakesch nun schon im Zeichen von dessen Umsetzung. Laurence Tubiana (französische Klima-Sonderbotschafterin) und Hakima El Haité (marokkanische Umweltministerin) – die Vorsitzenden des vergangenen und des kommenden Klimagipfels – sollen als «High-level Champions» eine Situationsanalyse und konkrete Vorschläge vorlegen, wie die Umsetzung des Pariser Abkommens bereits vor 2020 in die Wege geleitet werden kann.  

Klimafinanzierung bleibt die Crux

Die OECD-Länder haben über die Sommermonate die Arbeit an einer «Roadmap» zur Klimafinanzierung aufgenommen. Sie wollen in Marrakesch darlegen, wie sie ihrer Verpflichtung gegenüber den ärmsten und exponiertesten Ländern nachkommen. Seit der COP16 in Cancun (2010) ist das Versprechen der reichen Länder auf dem Titsch, ab 2020 100 Milliarden Dollar pro Jahr zu mobilisieren. In Paris wurde es erneuert.

In einem ersten informellen Austausch dazu mit den Empfängerländern im Juni kam es – wenig überraschend – zum Beinahe-Eklat. Auslöser war die bereits letztes Jahr von den OECD-Staaten (nota bene unter dem Vorsitz der Schweiz und der USA) entwickelte Methodologie. Sie ist höchst kontrovers, denn sie sieht vor, dass nebst tatsächlichen auch rückzahlbare Darlehen und «virtuelle Finanzflüsse» mit an die 100 Milliarden Dollar pro Jahr angerechnet werden dürfen; darunter viele aus bestehenden Entwicklungsbudgets finanzierte Projekte, die nicht direkt auf Klimamassnahmen ausgelegt sind (siehe dazu auch Global+ Nr. 54, Sommer 2014).

Die Entwicklungsländer monierten zurecht, dass sich die wohlhabenden Länder noch immer auf buchhalterische Tricks statt – wie in der Klimakonvention vorgesehen – auf die Mobilisierung neuer, zweckdienlicher Gelder konzentrieren und forderten, den Begriff «Klimafinanzierung» endlich klar und unmissverständlich zu definieren. – Auch das internationale NGO-Netzwerk Climate Action Network (CAN), bei dem Alliance Sud aktiv mitarbeitet, legte der Uno Eckpunkte einer Methodologie vor, die der Klimakonvention gerecht wird. (siehe Kasten)

Und wo steht die Schweiz?

Die bundesrätliche Stellungnahme zum Auftakt der Vernehmlassung zur Klimapolitik nach 2020 − sie beinhaltet die CO2-Gesetzrevision und die Ratifikation des Pariser Abkommens − liest sich derweilen wie eine Broschüre aus dem Antiquariat. Die anvisierten Inland-Reduktionsziele von -30% (gegenüber Stand 1990) bis 2030 sind dieselben, die bereits vor Paris kommuniziert wurden. Sie liegen gegenüber der «Business-as-Usual»-Prognose gerade mal um läppische 4 Prozentpunkte höher. Dabei müssten sie gemäss den Zielen des Pariser Klimaabkommen rund doppelt so hoch sein. Sogar der Bundesrat gibt im erläuternden Text zu, dass damit das Pariser Abkommen nicht vollständig umsetzt wird. Er will die Schweiz auch lediglich «unter den ersten 60 Ländern», die das Pariser Abkommen ratifizieren, sehen. Ein bemerkenswerter Gegensatz zur Schweizer Position in Paris, wo sich die Schweiz unter den «hochambitionierten Ländern» eingereiht hatte. Die Schweiz läuft damit Gefahr, in Marokko den Vertragsstaaten von der Beobachterbank aus zusehen zu müssen, wie sie das Inkrafttreten des Klimaabkommens unter sich verhandeln.

Auf die Frage, wie die Schweiz ihre Klimafinanzierungsbeiträge – der Bundesrat rechnet inzwischen mit 450 bis 1‘100 Millionen Franken pro Jahr – mobilisieren will, geht die CO2-Gesetzesvorlage gar nicht erst ein.

Bleibt die Hoffnung, dass sich Bundesrätin Doris Leuthard bei ihrem Arbeitsbesuch Anfangs September in Schweden – spät aber dennoch – inspirieren liess: Schweden will bis 2030 komplett fossilfrei sein.