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Krieg in der Ukraine: Traktoren auf Abwegen

08.03.2022, Internationale Zusammenarbeit

Auch wenn wir immer noch schockiert auf den immer brutaler werdenden Krieg in der Ukraine starren, so zeichnen sich bereits die gravierenden Auswirkungen auf Entwicklungs- und Schwellenländer ab.

Andreas Missbach
Andreas Missbach

Geschäftsleiter

Krieg in der Ukraine: Traktoren auf Abwegen

Der ukrainische Landwirtschaftsminister Oleg Ustenko sagte in der Financial Times: «Unsere Traktoren sollten die Felder pflügen und die Welt ernähren, aber stattdessen verbringen zu viele von ihnen ihre Zeit damit, kaputtes und erbeutetes russisches Kriegsgerät abzuschleppen.»
© uschi dreiucker / pixelio.de

Grob gesagt, lässt sich der Süden einmal mehr zweiteilen: in Erdölexporteure und Nahrungsmittelimporteure. Entwicklungsländer, die Öl oder metallische Rohstoffe exportieren, profitieren von den explodierenden Preisen. Einige afrikanische Erdöl-Produzenten, die wegen Covid vor dem Staatsbankrott standen, können diesen eventuell jetzt noch abwenden.  

Steigende Ölpreise treffen natürlich auch viele Entwicklungsländer, die von Energieimporten abhängig sind, viel unmittelbarer und gravierender ist die Inflation jedoch bei den Nahrungsmitteln. Die Ukraine ist – oder eher war – der fünftgrösste Getreideexporteur, China etwa bezog 80 Prozent seiner Maisimporte aus dem Land. Jetzt und noch bis Ende April wäre die Aussaat fällig, doch die Felder werden bombardiert und wie der ukrainische Landwirtschaftsminister Oleg Ustenko in der “Financial Times” schrieb: «Unsere Traktoren sollten die Felder pflügen und die Welt ernähren, aber stattdessen verbringen zu viele von ihnen ihre Zeit damit, kaputtes und erbeutetes russisches Kriegsgerät abzuschleppen.»

Eines ist der Ausfall der ukrainischen Ernte, das andere ist die kommende weltweite Zunahme der landwirtschaftlichen Produktionskosten oder die Abnahme der Erträge, weil die Düngerpreise durch die Decke gehen. Russland ist weltweit der grösste Exporteur der Düngerkomponenten Stickstoff und Kali (dies zusammen mit Weissrussland) und der zweitgrösste Produzent von Phosphor. Stickstoff kann zwar grundsätzlich überall aus der Luft gewonnen werden, aber es braucht dazu grosse Mengen Erdgas. Bereits letztes Jahr ging wegen den damaligen Preissteigerungen beim Gas die Europäische Produktion von Stickstoffdünger um 40 Prozent zurück. Explodieren die Erdgaspreise, wird Stickstoffdünger unbezahlbar.  

Damit könnten selbst grosse Agrarproduzenten wie Brasilien, von den Preissteigerungen gar nicht profitieren, weil die Dollars, die sie durch ihre Exporte von Mais und Soja einnehmen, von den viel höheren Importkosten – Brasilien importiert Dünger hauptsächlich aus Russland – aufgefressen werden. Der Krieg in der Ukraine macht nicht nur die klimapolitische nötige Abkehr von fossilen Brennstoffen dringender denn je, sondern auch die ebenso klimapolitisch nötige Überwindung der industriellen Landwirtschaft.

Wegen den Auswirkungen der Pandemie gehen bereits 100 Millionen Menschen mehr hungrig zu Bett. Besonders explosiv ist die Situation im Nahen Osten und in Ägypten, deren Bevölkerung zu einem grossen Teil von Getreideimporten abhängt. Zur Erinnerung: Die spekulationsgetriebenen Getreide-Preissteigerungen nach Missernten in der Ukraine und in Russland 2011 waren ein Auslöser der Bürgerkriege in Libyen und Syrien. Kriege gebären Kriege.

Es braucht eine starke Zivilgesellschaft  

Der Krieg zeigt ganz unmittelbar wie wichtig die Zivilgesellschaft ist, um schnell Hilfe zu leisten und die grosse Hilfsbereitschaft der Bevölkerung in Europa in vernünftige Kanäle zu leiten. Die Mitglieder von Alliance Sud leisten in der Nothilfe in der Ukraine selbst und bei der Betreuung von Flüchtlingen in den Nachbarländern und in der Schweiz einen wichtigen Beitrag. Und Russland zeigt dramatisch, welche Konsequenzen es hat, wenn die Zivilgesellschaft über Jahre Schritt für Schritt zum Schweigen gebracht wird und zuletzt nur noch eine Handvoll Demonstrierende übrig bleiben, die im Gefängnis landen oder selber flüchten müssen.