Friedenspolitik in Kolumbien

Der lange Weg zum «Paz Total»

21.06.2024, Internationale Zusammenarbeit

Vor zwei Jahren wurde in Kolumbien mit Gustavo Petro zum ersten Mal ein Präsident gewählt, der nicht den alten Eliten angehört. In einem Land, das immer noch in weiten Teilen von bewaffneten Gruppen dominiert ist, hat sich seine Regierung ein ambitioniertes Ziel gesetzt: «Paz total» — umfassender Frieden.

Andreas Missbach
Andreas Missbach

Geschäftsleiter

Der lange Weg zum «Paz Total»

Ein Kind läuft zwischen patrouillierenden kolumbianischen Soldaten an einem Kontrollpunkt an der kolumbianisch-venezolanischen Grenze in Cucuta vorbei. © Schneyder Mendoza / KEYSTONE / AFP

Ende März organisierte die Alliance-Sud-Mitgliedsorganisation Swissaid eine Reise für eine Parlamentarier:innen-Delegation aus vier Parteien, an der Alliance Sud teilnehmen konnte. Bei den vielen Treffen mit Schweizer NGOs, der kolumbianischen Zivilgesellschaft, Regierungsstellen und Angehörigen der Schweizer Botschaft war der Friedensprozess ein zentrales Thema.

Die Wahl von Gustavo Petro 2022 war ein historisches Ereignis. Zum ersten Mal kam in der längsten Demokratie Lateinamerikas ein Mann an die Spitze, der nicht wie alle seine Vorgänger aus den dominierenden Parteien der Elite und aus dem Kreis der 30 Familien kam, die Kolumbien kontrollierten. Der Ex-Guerillero, der in den 80er Jahren im Gefängnis sass und der von einem breiten Bündnis der Zivilgesellschaft gestützt wird, verfügt aber im Parlament über keine Mehrheit. Dass über drei Millionen Menschen aus Venezuela nach Kolumbien geflüchtet sind, macht die Aufgaben seiner Regierung auch nicht einfacher.

Die Niederlegung der Waffen reicht nicht

2016 erlebte Kolumbien ein anderes historisches Ereignis, als nach jahrelangen Verhandlungen mit der Guerilla der FARC-EP (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia – Ejécito del Pueblo) ein Friedensvertrag geschlossen wurde und 14'000 Kämpfer und Kämpferinnen (40% waren Frauen) ihre Waffen abgaben. Damit kam das Land aber nicht zur Ruhe; nicht nur hapert es mit der Umsetzung des Friedens mit der FARC-EP, weiterhin kontrollieren bewaffnete Gruppen weite Teile des Landes. Die von Petro ausgegebene und von Regierungsvertreter:innen und der Zivilgesellschaft mit Verve vertretene Losung «Paz Total» ist mehr als ambitioniert. Aber sie trifft den entscheidenden Punkt: Ohne einen Frieden, der auch die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des völlig vernachlässigten Hinterlandes umfasst, und ohne eine Zivilgesellschaft, die frei von Morddrohungen und Attentaten agieren kann, kann es keinen dauerhaften Frieden geben.

Leider geht es in vielen Gebieten in die falsche Richtung und die bewaffnete Gewalt nimmt wieder zu. Die Gründe dafür sind vielfältig: Der Staat konnte das Vakuum, das die FARC-EP bei der Demilitarisierung hinterliess, in vielen Gebieten nicht füllen. FARC-Abspaltungen und andere Gruppen übernahmen. Die Entwaffnung der Paramilitärs, die im Interesse der Grossgrundbesitzer und mit Unterstützung der Armee gegen die Guerillas und die Bevölkerung kämpften, fand nicht wirklich statt. Und natürlich die grösste Geissel Kolumbiens und seiner Nachbarländer: Kokain. Mexikanische Drogenkartelle kontrollieren inzwischen grosse Teile der «Supply Chain». Die Grenzen zwischen Paramilitärs und den Armeen der Kartelle sind ebenso fliessend wie diejenigen zu einigen Guerilla-Gruppen.

 

Ein Angehöriger eines Opfers des kolumbianischen Konflikts übergibt die Urne mit dessen sterblichen Überresten an einen Totengräber auf dem Friedhof in Dabeiba, Departement Antioquia.

Ein Angehöriger eines Opfers des kolumbianischen Konflikts übergibt die Urne mit dessen sterblichen Überresten an einen Totengräber auf dem Friedhof in Dabeiba, Departement Antioquia.
© Joaquin Sarmiento / KEYSTONE / AFP

 

Die Rolle der Schweiz

Friedensverhandlungen mit bewaffneten Gruppen sind ein wichtiger Teil der Paz-Total-Agenda. Die Schweiz ist seit 1998 in Kolumbien engagiert, zuletzt mit allen drei «Armen» der internationalen Zusammenarbeit: der DEZA, dem SECO und der Abteilung Frieden und Menschenrechte (AFM). Seit 2022 führt die Regierung Petro Verhandlungen mit der Rebellengruppe ELN (Ejército de Liberación Nacional) und seit 2023 mit dem EMC FARC-EP (Estado Mayor Central de las FARC-EP), einer Abspaltung der FARC, die beim Frieden von 2016 nicht mitgemacht hatte. Im Prozess mit der ELN ist die Schweiz Begleitstaat, bei der EMC FARC-EP Garantenstaat, jeweils zusammen mit anderen europäischen Ländern und wie der Name andeutet bei EMC FARC-EP intensiver.

In beiden Fällen ist die Schweiz bei den Verhandlungen präsent und berät die Verhandlungsparteien, nach Angaben der AFM «zu den Themen Prozessdesign, Waffenstillstand, partizipative Mechanismen, Kommunikation, Vergangenheitsarbeit sowie Schutz der Zivilbevölkerung». Wegen der harzigen Umsetzung des Friedensvertrags mit der FARC-EP, der über 500 einzelne Punkte enthielt, sollen diesmal Teilabkommen verhandelt werden, die separat umgesetzt werden können. Ebenso werden die Verhandlungen nicht zentral im Ausland geführt, sondern dezentral in den betroffenen Gebieten, was eine breitere Teilnahme erlaubt.

Eines der grössten Hindernisse bei den aktuellen Verhandlungen besteht gerade darin, dass der Friedensvertrag von 2016 nicht vollständig umgesetzt ist. Verständlicherweise schauen die Guerilleros am Verhandlungstisch darauf und wollen nicht am selben Ort landen. Am wenigsten umgesetzt sind die Massnahmen der Reformen im ländlichen Raum; hier sind nur 7 Prozent ganz und 18 Prozent teilweise verwirklicht. Dies zeigt, dass klassische Massnahmen der Entwicklungszusammenarbeit entscheidend sind, damit Friedensförderung Bestand hat.

Mit dem Rückzug der DEZA aus Lateinamerika wird das Engagement in Kolumbien geschwächt, auch wenn die Schweiz in der humanitären Hilfe und mit der AFM präsent bleibt. 2021 stand für die bilaterale Zusammenarbeit der DEZA noch mehr Geld zur Verfügung als für die Arbeit der AFM. Insgesamt ging die Unterstützung von 33 Mio. (2021) auf 20 Mio. Franken (2023) zurück, nur bei der AFM stieg der Betrag leicht an. Das SECO will sich bis 2028 ebenfalls ganz zurückziehen. Stattdessen soll Marokko neues Schwerpunktland werden. «Dies steht im Einklang mit der stärkeren geografischen Konzentration und ermöglicht gleichzeitig den Übergang zu anderen aussenwirtschaftspolitischen Instrumenten», heisst es dazu vielsagend im Entwurf der IZA-Strategie 2025 – 2028.

Es ist fraglich, ob die Schweiz auch mit weniger Mitteln – die Auswirkungen der geplanten weiteren Kürzungen wegen der Umlagerung von IZA-Geldern in die Ukraine sind nicht zu unterschätzen – weiterhin ihre wichtige Rolle spielen kann. Umso wichtiger sind die Projekte, die Swissaid und andere Schweizer NGOs zur Stärkung der Zivilgesellschaft und der ländlichen Entwicklung in Kolumbien durchführen.

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