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«Klimazahlungen aus Entwicklungshilfe finanzieren»
18.06.2015, Klimagerechtigkeit
Bafu-Direktor Oberle geht im GLOBAL+-Gespräch in die Offensive: Die Deza werde umdenken müssen. Statt auf Gender oder Gouvernanz zu setzen, soll die Schweizer EZA auf Klima umgepolt werden.
GLOBAL+: Was braucht es, damit der Klimagipfel in Paris in sechs Monaten nicht krachend scheitert wie jener in Kopenhagen (2009)?
Bruno Oberle: Wir erwarten nicht, dass in Paris alle anstehenden Probleme gelöst werden. Wir müssen aber vermeiden, allzu hohe Erwartungen zu wecken, um Enttäuschungen vorzubeugen. Ich fand das Ergebnis von Kopenhagen allerdings gar nicht so schlecht. Immerhin haben wir 100 Milliarden US-Dollar Klimafinanzierung pro Jahr für arme Entwicklungsländer ab 2020 beschlossen; und wir hatten die Staatsoberhäupter versammelt, also das Thema dort platziert, wo es hingehörte.
Paris soll nun konkretisieren, was man sich in Durban (2011) vorgenommen hat: Die Aufteilung der Welt zu überwinden in eine Hälfte, die reich und schuldig ist und liefern muss. Und eine andere, die arm und unschuldig ist und abwarten darf.
Ein zentraler erster Pfeiler dazu sind die INDC, die Intended Nationally Determined Contributions. Mit diesen kann jedes Land selber sagen, wieviel zu reduzieren es bereit ist. Ein wichtiger zweiter Pfeiler sind die Regeln: MRV steht für Measurable, Reportable, Verifyable, das heisst, die Ziele sind zwar nicht verpflichtend, müssen aber überprüfbar sein. Diese neu vereinbarten Zielvorgaben und prozeduralen Regeln erlauben es reichen Staaten wie den USA und gewissen Entwicklungsländern, an Bord zu kommen und jenes Tempo anzuschlagen, das sie selbst für angebracht halten.
Ein wichtiger dritter Pfeiler ist die Finanzierung, die in Kopenhagen beschlossen wurde. Dazu dienen verschiedene Quellen, der Green Climate Fund ist eines der Instrumente. Frankreich hat jetzt noch einen vierten Pfeiler definiert, und den finde ich klug: Nach dem Motto «Lasst tausend Blumen spriessen» will man schauen, was der private Sektor, was alternative Initiativen ausrichten können.
Klimakonferenzen setzen den Konsens aller Länder voraus, weshalb man sich nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigt.
Über die einzelnen Staaten hinaus sind aber viele andere Player aktiv. Die Welt besteht nicht bloss aus einer Anzahl Regierungen. Man hat immer gewusst, dass der US-Senat die Kyoto-Verpflichtung nie ratifizieren wird. Hingegen sind US-Bundesstaaten so gross wie europäische Länder und eine Vielzahl privater Akteure aktiv geworden. Generell gibt es überall lahme Enten und Pioniere. Die Pioniere handeln aus Überzeugung, weil sie wissen, dass es sie in der künftigen Welt konkurrenzfähiger macht.
Im Zuge der Klimakonferenz in Paris öffnet man jetzt quasi ein grosses Buch, in das jedes Land sein Reduktionsziel eintragen kann. Darin kann man später nachschauen und die Länder auf ihrem Wort behaften.
Aber dabei gerät doch das Ziel aus den Augen, dass der globale Temperartur-Anstieg 2 Grad Celsius nicht übersteigen darf?
Das ist natürlich das alles überstrahlende Ziel, das stellt niemand in Abrede. Aber das Klima ist nur ein Element in einer viel breiteren Agenda, in deren Richtung wir uns entwickeln sollten. Nämlich die der Sustainable Development Goals (SDG). Das ist «The World We Want» bzw. «The World We Need».
Wenn wir Sie richtig verstehen, schwingt eine gewisse Desillusionierung über die Regierungsebene mit: Die Einigung auf ein griffiges Abkommen mit ausreichenden reduktions- und eben auch finanziellen Zielvorgaben halten Sie für eine überzogene Erwartung.
Wenn Sie es so formulieren, machen Sie wieder nichts anderes, als die Enttäuschung vorweg zu nehmen. Was ich sage ist: Um Resultate zu erzielen, brauchen wir die Mitwirkung von ganz vielen. Mit dem erwähnten Buch geben Staatsvertreter und führende Vertreter des privaten Sektors die allgemeine Richtung an und signalisieren, dass die Fragestellung relevant ist. Die Problemstellung, also das 2-Grad-Ziel, ist bekannt. Aber Merkel, Putin, Modi und Obama werden das Problem nicht alleine lösen. Sie werden quasi der Welt verkünden: «Dies ist ein wichtiges Thema, dieses Ziel müssen wir anstreben, es geht in diese Richtung». Und dann werden sie, aber auch andere, ihre Beiträge liefern.
Es könnten sich ja auch einzelne Länder oder Gruppen quasi als «fortschrittliche Klima-Clubs» in dieses Buch eintragen und signalisieren: «Selbst wenn Ihr noch nicht so weit seid, wir schreiten voran».
Es können sich schon Koalitionen von Willigen bilden, aber wichtig bleibt, dass diese eine gewisse Durchschlagskraft haben. Wenn sich Vanuatu, Tonga und die Schweiz zusammenschliessen, dann werden sie die Welt nicht ändern. Man weiss, welches die grossen CO₂-Emittenten sind. Wenn die nicht ein Teil dieser Initiativen sind, dann könnte es bei schönen Worten bleiben.
Verglichen mit unseren europäischen Nachbarn sind die Ziele der Schweiz weit weniger ambitiös. Würden wir uns mit Deutschland oder anderen grösseren Akteuren zusammentun, könnten wir auch als kleines Land viel mehr erreichen.
Die inländischen Pro-Kopf Emissionen der Schweiz sind knapp die Hälfte geringer als jene Deutschlands. Die zwei Länder sind sich sehr ähnlich – doch wir emittieren nur gut halb so viel wie sie. Jetzt kann man uns nacheifern, oder auch nicht. Ein Element, das hilft, Probleme zu lösen, sind Technologien; die Schweiz entwickelt und exportiert solche. China etwa produziert massenhaft Sonnenkollektoren, zu denen die Schweizer Wirtschaft massgebliche Technologie geliefert hat.
Ihr Vergleich mit Deutschland unterschlägt allerdings, dass die Schweiz durch ihren viel höheren Konsum von importierten Gütern pro Kopf nochmals so viele Emissionen im Ausland erzeugt wie im Inland.
Kyoto und UNFCCC (UN-Klimarahmenkonvention) sehen vor, dass die Rechnung nur die nationalen Emissionen erfassen. Würden alle Emissionen erfasst, für die wir verantwortlich sind, dann müsste der Staat ein Steuerungsinstrument besitzen, also Importe mit viel grauer Energie verbieten können. Damit würde man aber gegen Handelsabkommen verstossen.
Wie dem auch sei, Ende Mai ist Deutschland der «Carbon Pricing Leadership Coalition» beigetreten. Das gibt der ursprünglich schweizerischen Idee eines globalen CO2-Preises wieder Aufwind: Wäre die Zeit nicht reif für die Schweiz, den Vorschlag erneut aufzutischen?
In letzter Zeit gibt es ermutigende Signale. Es spricht nach wie vor sehr viel für einen globalen CO₂-Preis, weil das ein ordnungspolitisch sauberes Instrument und eine ideale Quelle für notwendige globale Investitionen wäre. Unser Vorschlag ging aber davon aus, dass alle Emissionen in allen Ländern einer Abgabe unterworfen wären. Um den Entwicklungsländern entgegenzukommen, hatten wir einen unterschiedlichen Abgabesatz für reiche und weniger reiche Länder vorgesehen. Zudem schlugen wir vor, dass die Erträge aus der Abgabe von Entwicklungsländern in nationalen Fonds verwaltet und für lokale Klimamassnahmen verwendet werden sollten.
Kommen wir zur internationalen Klimafinanzierung: Die 100 Mrd. Dollar sind zwar versprochen, aber es gibt keinen Fahrplan, wie wir bis 2020 dorthin kommen sollen. Deutschland hat vor kurzem angekündigt, ab 2020 jährlich 4 Mrd. Euro an öffentlichen Geldern bereit zu stellen. Auf die Schweiz umgerechnet, würde das 750 bis 800 Mio. CHF pro Jahr entsprechen. Ist die Schweiz bereit, Deutschland zu folgen? Das würde den Entwicklungsländern Mut machen, sich ebenfalls zu ambitiösen Reduktionsmassnahmen zu verpflichten.
Differenzieren wir: «Die Entwicklungsländer» gibt es nicht. Es besteht absolut kein Zweifel, nirgendwo, dass die LDC, die Least Developed Countries, unterstützt werden müssen und dass sie, zumindest heute, so gut wie nichts beitragen zur Klimaerwärmung. Das gilt aber nicht zwingend für alle G77-Staaten. Grosse, aufstrebende Industrieländer wie China, Brasilien oder Südafrika sind nicht mehr im selben Ausmass auf ökonomische Hilfe angewiesen. Es wird im Gegenteil darüber diskutiert werden, inwiefern sich diese Länder künftig an der Klimafinanzierung beteiligen.
Klar, wir sprechen von den ärmeren Entwicklungsländern. Aber gerade von diesen wird erwartet, dass sie das zustande bringen, was wir nicht schafften: Sich zu entwickeln, ohne auf diesem Weg massiv mehr Klimagase zu emittieren.
Um die Menschheit auf diesem Planeten nachhaltig und würdig zu organisieren, braucht es ausserordentlich grosse Finanzmittel. Heute ist dies dringender denn je, weil wir alle die negativen Folgen des Klimawandels zu spüren beginnen. Eine Verzögerung der nötigen Investitionen würde uns enorm viel Geld kosten, ganz abgesehen von Menschenleben. In einer solchen Situation sind die öffentlichen Finanzen schlicht und einfach überfordert.
Das Problem ist nicht die Höhe der benötigten Finanzen. Es werden sowieso Aber-Milliarden in Infrastrukturen, Transport- und Produktionssysteme investiert. Es geht doch darum, sie in die richtige, treibhausgasarme Richtung zu lenken. Und um solche notwendigen Anreize zu schaffen, braucht es öffentliche Gelder.
Ja, es sind sehr hohe Beträge im Klimabereich, aber auch in anderen Bereichen der Nachhaltigkeit. Und nein, es braucht nicht nur öffentliche Gelder. Sie werden ein Teil der Lösung sein, aber auch private Investoren müssen davon überzeugt werden, sich in diesen Bereich zu engagieren. Investoren, private und öffentliche, verlangen aber klar strukturierte Projekte, eine vertrauenserweckende Gouvernanz und eine Rendite.
Das ist ja der Punkt: Um private Investoren «zu überzeugen», sind öffentlich finanzierte Marktsteuerungsmassnahmen notwendig. Das macht der Privatsektor nicht alleine. Aber solche dürfen und können nicht aus dem Entwicklungshilfe-Budget finanziert werden, weil dies auch dem Entwicklungshilfegesetz widerspricht…
Zurück zur Frage der 100 Mrd. Dollar für die Klimafinanzierung. Unsere Position unterscheidet sich von jener Deutschlands. Deutschland übernimmt 10% der 100 Milliarden, und zwar zu 40% mit öffentlichen, zu 60% mit privaten Geldern. Die Schweiz macht bei der Bestimmung des eigenen Anteils an den 100 Milliarden eine Mischrechnung zwischen der Höhe des Bruttosozialprodukts und unserem inländischen Anteil an den Emissionen. Das entspricht der schweizerischen Gesetzgebung und ergibt einen Beitrag von grob geschätzt einer halben Milliarde. Davon sind ein Drittel öffentliche, zwei Drittel private Gelder.
Versprochen wurden die 100 Mrd. Dollar aber als zusätzliche Gelder zur bestehenden Entwicklungshilfe.
Die öffentlichen Mittel sind, wie in Kopenhagen beschlossen, neu und zusätzlich, und zwar im Rahmen der Aufstockung des ODA-Rahmenkredites (ODA = Official Development Assistance) auf 0.5% des BSP. Sie sind in der Finanzplanung entsprechend vorgesehen.
Das war bis jetzt vielleicht so. Und wenn auf die international vereinbarten 0.7% des BNE für ODA aufgestockt würde, könnte man diese Argumentation sogar weiterziehen. Aber weil die schweizerische ODA auf 0.5% plafoniert ist, ginge die Finanzierung der internationalen Klimabeiträge ab 2020, wie Sie sie skizzieren, auf Kosten von Nahrung, Bildung Gesundheit oder anderer klassischer Entwicklungsprojekte.
Ja, das kann sein. Doch was heisst denn «klassische Entwicklungshilfe»? Die Prioritäten der ODA werden sowieso in Zyklen immer wieder neu gesetzt: Es war schon Gender, oder auch Dezentralisierung oder Demokratieförderung. Im Moment ist das Klima im Fokus. Und es wurde entschieden, dass die Klimafinanzierung im Rahmen der ODA stattzufinden hat. Im Übrigen ist dies voll und ganz im Interesse der Ärmsten, denn sie werden von den Folgen des Klimawandels am härtesten getroffen.
Wir sind gespannt zu erfahren, was die Deza von Ihrer Interpretation hält, was ODA ist und was daraus bezahlt wird.
Die Entwicklungsleute sind eine Community, die lernen wird, mit diesen neuen Aufgaben umzugehen. Sie müssen, weil das die Verpflichtungen sind, weil das die Richtung ist, die die Politik vorgibt. Das ist eine vernünftige Politik und wieso sollte sich diese Community auf die Länge dagegen sperren, ein Instrument einer guten Entwicklung zu sein?
Bruno Oberle, danke für dieses Gespräch.