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Fossile Brennstoffe im Boden lassen!
06.04.2015, Klimagerechtigkeit
Sinnvoller als um den CO₂-Ausstoss in den einzelnen Ländern zu feilschen, wäre es, die fossilen Energiereserven gar nicht erst zu fördern. Vielleicht gibt eine Studie von «Nature» den Anstoss dazu.
Der letzte Uno-Sachstandsbericht hält fest: Aus der Verbrennung fossiler Energien dürfen in Zukunft höchstens noch etwa 1‘000 Gigatonnen CO₂ emittiert werden, wenn die globale Klimaerwärmung 1.5 bis maximal 2° Celsius nicht überschreiten soll. Auf dem Niveau des derzeitigen Verbrauchs an Öl, Erdgas und Kohle werden die kumulierten Emissionen diesen Wert jedoch bereits in 25 bis 30 Jahren überschreiten.
Eine kürzlich in «Nature» veröffentlichte Studie beleuchtet diese Problematik. Damit die zukünftig in die Atmosphäre emittierte Menge an fossilem CO₂ die Gesamtmenge von 1‘100 Gigatonnen nicht überschreitet, müssten von den heute erschliessbaren Weltreserven ein Drittel der Öl-, die Hälfte aller Gas- und über 80% der globalen Kohlevorkommen unangetastet im Boden bleiben.
Das heisst nichts anderes, als dass die klassische Frage nach der Endlichkeit der fossilen Energieressourcen eigentlich die falsche ist. Das wahre Problem ist, dass ein Grossteil der fossilen Ressourcen in Zukunft gar nicht mehr genutzt werden darf. Denn bei vollständiger Verbrennung der bereits erschlossenen fossilen Energiereserven entstünden CO2-Emissionen, welche die maximal tolerierbare CO₂-Menge um ein Dreifaches übersteigen würden. Nimmt man die erst vermuteten fossilen Ressourcen der Erde dazu, so würde dies zu einer geschätzten Gesamt-Emission von 11‘000 Gigatonnen CO2 führen.
Die De-Investition ins Öl hat begonnen
Beschlösse die Weltgemeinschaft, dass der Grossteil der globalen fossilen Ressourcen im Boden bleiben sollen, so verlören diese an Wert. Bereits heute stellen die gestiegenen Produktionskosten für die Erschliessung und Förderung von Öl-, Erdgas- und Kohlereserven, aber auch die kontinuierlich sinkenden Kosten für erneuerbare Energien die Rentabilität der Fossilindustrie in Frage. Der Ölpreiszerfall der letzten Monate, auch wenn unterschiedlichste Gründe dafür geltend gemacht werden, zeigt exemplarisch, welche Auswirkungen der Ölpreis auf Investitionen und die Weltwirtschaft hat. Bleibt der Ölpreis unterhalb von 60 US-Dollar pro Fass, so wurden gemäss Schätzungen von «Carbon Tracker» bereits Förder-Investitionen im Wert von 10 Mrd. US-Dollar in den Sand gesetzt. Die Energie- und Finanzindustrie hat reagiert und bereits bewilligte Förderprojekte im Umfang von schätzungsweise 75 Mrd. US-Dollar wieder sistiert. Der deutsche Energieriese E-On verkündete Ende 2014, sein fossiles Portfolio abzustossen. Auch die Rockefeller Foundation hat verlauten lassen, in Zukunft nur noch in Kohlenstoff-freie Projekte zu investieren. Und Warren Buffet, dessen Entscheide in der Finanzwelt als wegweisende Orakel gelten, verkaufte unlängst mehrere Millionen Aktien von Exxon-Mobil und anderen Ölfirmen.
Trotz der alarmierenden Befunde der Klimaforschung treiben die meisten Länder die schnelle und vollständige Erschliessung ihrer nationalen Vorkommen weiterhin voran, auch mit Unterstützung öffentlicher Gelder. Dabei stellt der absehbare Wertzerfall der fossilen Ressourcen staatliche Förderprogramme grundsätzlich in Frage. Die Ver(sch)wendung weiterer öffentlicher Gelder für Energien der Vergangenheit ist entsprechend politisch unverantwortlich. Dennoch besteht die Gefahr, dass Staaten, die über fossile Bodenschätze verfügen, die weitere Förderung – quasi im Endspurt um den letzten, noch verfügbaren «Atmosphärenplatz» – gar zu beschleunigen versuchen. Und Entwicklungsländer argumentieren, dass sie auf ihre fossilen Ressourcen angewiesen sind um das vorrangige Ziel – die Bekämpfung der Armut – zu erreichen. Da heute die technischen Möglichkeiten für eine klimaneutrale Energie-Versorgung existieren und diese auch finanzierbar wären, ist dieses Argument aber nicht stichhaltig.
Es bleibt darum die Frage, unter welchen Voraussetzungen «aufholende Volkswirtschaften» auf relativ einfach zugängliche fossile Energievorräte und die damit verbundene (wenn auch schrumpfende) Wertschöpfung verzichten würden. Dass eine internationale «Verteilung von Förderrechten» über den Weg der Klimaverhandlungen erzielt, geschweige denn durchgesetzt werden könnte, ist unrealistisch. Der vielversprechendste Weg wäre die rasche Bereitstellung ausreichender technologischer und finanzieller Mittel durch die wohlhabenden Länder, die über die klassische Entwicklungshilfe hinausgeht.
Klimafinanzierung neu denken
Die «Nature»-Studie unterstreicht damit die Bedeutung der internationalen Klimafinanzierung. Die reichen Länder haben im Zuge ihrer Industrialisierung bereits über 2‘000 Gigatonnen CO₂ emittiert und tragen damit die Hauptverantwortung für den Klimawandel. Sie haben denn auch den Entwicklungsländern ab 2020 Finanzhilfen von 100 Mrd. US-Dollar versprochen, allerdings ohne konkrete Verpflichtungen und einem Plan, wie diese zusätzlichen Gelder mobilisiert werden sollen. Dies auch darum, weil auch Schwellenländer Zugang zu diesen Hilfsleistungen verlangen. Weil gerade dort der Verbrauch fossiler Energien und die damit zusammenhängenden Treibhausgas-Emissionen rasant ansteigen, müsste das Konzept der Klimafinanzierung womöglich überdacht werden. Denn bereits liegen erste Entschädigungs-Forderungen für den (zukünftigen) Verzicht auf fossile Energien auf dem Tisch. Mit Bezug auf Artikel 8(h) im Entwurf des Uno-Klimaschutzabkommens, das sich auf die «nationalen Besonderheiten von Staaten, deren Wirtschaft stark von Einnahmen aus Produktion, Verarbeitung und Export fossiler Brennstoffe abhängen» bezieht, verweisen beispielsweise Golfstaaten auf die schrumpfenden globalen Märkte als Folge von Mitigations-Massnahmen. Erinnert sei auch an Ecuador, das (vergeblich) auf Kompensation für den Verzicht auf Ölförderung in einem Naturschutzgebiet gepocht hatte.
Es ist absehbar, dass solche oder ähnliche Forderungen im Zuge des knapper werdenden «Atmosphären-Budgets» in Zukunft lauter werden. Der Wandel des Weltmarkts für fossile Energieträger ist im Gang, was dieser alles nach sich zieht, ist aber weitgehend offen. Zwar muss der Anspruch bestehen bleiben, die Klimafinanzierung auf die Unterstützung der ärmsten und verwundbarsten Staaten auszurichten. Zusätzlich muss aber auch diese Frage in Zentrum rücken: Wie sollen Länder entschädigt werden, die – gleich wie der Norden – ihre Entwicklung (noch) einseitig auf nicht erneuerbare Ressourcen ausgerichtet haben?