Handel und Klima

Der CO2-Grenzausgleich darf arme Länder nicht benachteiligen

03.12.2024, Klimagerechtigkeit, Handel und Investitionen

Der Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) der Europäischen Union sieht vor, den Import der umweltschädlichsten Produkte zu besteuern. Obwohl die ärmsten Länder dadurch stark benachteiligt werden, ist für sie keine Ausnahme vorgesehen. Sollte die Schweiz das Abkommen eines Tages übernehmen, muss sie für eine Korrektur sorgen.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

Der CO2-Grenzausgleich darf arme Länder nicht benachteiligen

In Akokan, Niger, schloss eine der weltgrössten Uranerz-Minen. Doch noch sind weitere im krisenreichen Norden geplant und volkswirtschaftlich bedeutend. © Keystone / AFP / Olympia de Maismont

 

Die Europäische Union (EU) nimmt ihre Klimaverpflichtungen ernst. Im Jahr 2019 hat sie den European Green Deal ins Leben gerufen, der darauf abzielt, die CO2-Emissionen bis 2030 um 55% zu senken und bis 2050 CO2-neutral zu werden.

Das Programm umfasst mehrere interne und externe Massnahmen, zum Beispiel die Europäische Entwaldungsverordnung (EUDR, siehe global #94). Ein weiteres Schlüsselprojekt der europäischen Handelspolitik ist das CO2-Grenzausgleichssystem (CBAM, Carbon Border Adjustment Mechanism). Es zielt darauf ab, Importindustrien denselben Regeln zu unterwerfen wie umweltbelastende europäische Unternehmen, die an eine Emissionsobergrenze gebunden sind – wobei diese Grenze bisweilen nur dank CO2-Emissionshandel eingehalten wird. Das erklärte Ziel dieser Massnahmen ist es, Investitionen in saubere Energie in Europa attraktiver und billiger zu machen. «Der CBAM schafft Anreize für die globale Industrie, umweltfreundlichere Technologien einzuführen», sagt der EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni.

Carbon Leakage vermeiden

Der von Brüssel verabschiedete CBAM soll verhindern, dass die Produktion in Länder mit Kohlenstoffpreisen unter EU-Niveau (oder gar ohne solche Bepreisung) verlagert wird (Carbon Leakage). Auch soll dadurch vermieden werden, dass europäische Hersteller einem unfairen Wettbewerb ausgesetzt werden. Der Mechanismus sieht vor, die Einfuhr von besonders umweltschädlichen Produkten mit einer Abgabe zu belegen. Zunächst sind dies Eisen und Stahl, Zement, Düngemittel, Aluminium, Wasserstoff und Elektrizität.

In der EU seit dem 1. Oktober 2023 in Kraft, wird der CBAM gestaffelt umgesetzt. Für 2026 ist die vollständige Einführung geplant. Ab 2031 soll er dann auf alle importierten Produkte angewandt werden.

Kritik aus dem Globalen Süden

Doch welche Wirkung hat diese Massnahme? Die EU gibt sich optimistisch: Sie schätzt, dass dadurch im Vergleich zu 1990 ihre Emissionen bis 2030 um 13,8% und im Rest der Welt um 0,3% sinken werden.

Der Ansatz wird jedoch von den Ländern des Globalen Südens stark kritisiert. Sie beurteilen ihn als entwicklungshemmend. Andere monieren das Fehlen einer generellen Ausnahme, zumindest für die ärmsten Länder. Ausserdem hat die UN Trade and Development (ehemals UNCTAD) errechnet, dass die Auswirkungen auf das Klima minimal sein dürften: Der CBAM werde die globalen CO2-Emissionen nur um 0,1% senken, jene der EU gerade einmal um 0,9%. Er werde aber voraussichtlich das Einkommen der Industrieländer um 2,5 Mrd. USD erhöhen und jenes der Entwicklungsländer um 5,9 Mrd. USD reduzieren.

2022 forderten die Minister von Brasilien, Südafrika, Indien und China, auf diskriminierende Massnahmen wie einen CO2-Grenzausgleich zu verzichten.

Am stärksten betroffen von diesem Mechanismus sind mit Russland, der Türkei, China, Indien, Südafrika und den Vereinigten Arabischen Emiraten jene Schwellenländer, die am meisten Stahl und Aluminium nach Europa exportieren. Doch auch die am wenigsten entwickelten Länder (LDCs gemäss UN-Kategorisierung) wie Mosambik (Aluminium) und Niger (Uranerz) sind Leidtragende des Mechanismus. Die Wohlfahrtsverluste für Entwicklungsländer wie die Ukraine, Ägypten, Mosambik und die Türkei würden zwischen 1 und 5 Milliarden Euro betragen, was gemessen an ihrem Bruttoinlandprodukt (BIP) beträchtlich ist.

Eine Ausnahme für LDCs?

Werfen wir einen Blick nach Afrika, wo sich 33 der 46 LDCs befinden. Eine aktuelle Studie der London School of Economics kommt zum Schluss, dass das Bruttoinlandprodukt (BIP) Afrikas mit Anwendung des CBAM auf alle Importprodukte um 1,12% oder 25 Milliarden Euro sinken würde. Die Aluminiumausfuhren gingen um 13,9% zurück, die Eisen- und Stahlexporte um 8,2%, die Düngemittelausfuhren um 3,9% und die Zementausfuhren um 3,1%.

Also das Kind mit dem Bade ausschütten und den CBAM für entwicklungsfeindlich erklären? Das ist wahrscheinlich der falsche Ansatz. Die belgische NGO 11.11.11. schlägt vor, die am wenigsten entwickelten Länder zumindest vorerst nach den WTO-Regeln von diesem Mechanismus auszunehmen, beziehungsweise sie weniger stark zu besteuern als andere. Anlässlich der Diskussionen zum CBAM in Brüssel war diese Möglichkeit vom Parlament in Betracht gezogen worden. Sie wurde aber verworfen, da die EU es vorzog, höhere Einnahmen zu erzielen.

UN Trade and Development hingegen machte den Vorschlag, die Einnahmen aus dem Mechanismus an die LDCs weiterzugegeben, mit dem Zweck, deren Klimatransition zu finanzieren. Die erwarteten Einnahmen der EU belaufen sich auf 2,1 Milliarden Euro, die multilateral über den derzeit unterfinanzierten Grünen Klimafonds weitergeleitet werden könnten.

Vorerst kein CBAM für die Schweiz

In der Schweiz existiert derzeit nichts dergleichen. Heute sind Güter schweizerischen Ursprungs, die in die EU exportiert werden, aufgrund des Emissionshandelssystems (ETS) vom CBAM befreit und der Bundesrat verzichtet derzeit darauf, einen solchen Mechanismus für in die Schweiz importierte Produkte einzuführen. Dem ETS liegt die maximale Menge an Emissionen zugrunde, die den Industrien eines Wirtschaftszweigs zur Verfügung steht. Jedem Teilnehmer wird eine bestimmte Menge an Emissionsrechten zugeteilt. Bleiben seine Emissionen unter dieser Grenze, kann er seine Rechte verkaufen. Übersteigen sie diese Grenze, kann er welche erwerben.

Im März 2021 wurde jedoch im Nationalrat eine parlamentarische Initiative eingereicht, die von der Schweiz eine Anpassung der CO2-Gesetzgebung fordert. Darin soll ein CO2-Grenzausgleichsmechanismus aufgenommen und dabei die Entwicklung in der EU berücksichtigt werden. Derzeit wird diese parlamentarische Initiative noch in den Kommissionen diskutiert.

Der CBAM kann zwar eine wirksame Handelsmassnahme sein, um importierte CO2-Emissionen zu reduzieren. Sollte die Schweiz das System eines Tages einführen, muss sie jedoch darauf achten, dass sie die ärmsten Länder nicht bestraft. Sie muss ihnen Ausnahmen gewähren und einen erheblichen Teil der erzielten Einnahmen zurückerstatten, um ihnen bei der Energietransition zu helfen.

 

Die Treibhausgasemissionen, die durch die Produktion und den Transport von exportierten und importierten Waren und Dienstleistungen entstehen, machen 27% der weltweiten Treibhausgasemissionen aus. Gemäss der OECD stammen diese Emissionen aus sieben Wirtschaftszweigen: Bergbau und Energiegewinnung, Textilien und Leder, nichtmetallische Chemikalien und Bergbauerzeugnisse, Grundmetalle, elektronische und elektrische Erzeugnisse, Maschinen, Fahrzeuge und Halbleiter.

Es ist unbestritten, dass sowohl auf Seiten des Handels wie auch der Produktion Handlungsbedarf besteht – auf der Produktionsseite beispielsweise durch die Förderung grüner Technologien, Technologietransfer und Klimafinanzierung, auf der Handelsseite durch Massnahmen wie den CBAM. Dessen Einführung darf jedoch die LDCs nicht benachteiligen; diese müssen dabei unterstützt werden, die ökologische Transition zu stemmen und sich an neue Standards anzupassen.

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