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Die Schweiz im Zentrum der SDG-Finanz(ialis)ierung
09.12.2019, Entwicklungsfinanzierung
Laut UNO fehlen jährlich rund 2‘500 Milliarden Dollar, um die SDG bis 2030 zu erreichen. Um diese Gelder zu mobilisieren, braucht es den Privatsektor – so der aktuelle entwicklungspolitische Konsens. Der Finanzplatz Schweiz bringt sich in Stellung.
Im Oktober trafen sich in Genf während einer Woche hochrangige VertreterInnen der Schweizer Finanzbranche, von Pensionskassen, Vermögensverwaltungen sowie in der Schweiz ansässigen multinationalen Firmen, der Schweizer Regierung und der UNO. Ziel des Treffens unter dem wohlklingenden Titel Building Bridges: Einzelne Akteure möchten den Schweizer Finanzplatz als Zentrum der «nachhaltigen Finanzen (sustainable finance) positionieren.
Es ist unbestritten, dass die Welt nicht auf Kurs ist bei der Erreichung der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs), die von der Ausrottung der globalen Armut über die Reduktion der Ungleichheit bis zur Bekämpfung des globalen Biodiversitätsverlusts reichen; und dass dringend zusätzliche Gelder in Billionenhöhe nötig sind, um die Ziele der Agenda 2030 zu erfüllen. Ebenfalls unbestritten ist, dass in der Schweiz ansässige Banken, Pensionskassen und Vermögensverwaltungen unglaubliche Summen an Geld verwalten und durch ihre Investitionen einen enormen Einfluss haben auf die globalen Finanzflüsse haben. Die Frage drängt sich auf, ob diese Finanzflüsse nicht so gelenkt werden müssten, dass sie einen Beitrag zur Erreichung der SDGs leisten. Was sich theoretisch logisch und zielführend anhört, ist in der praktischen Umsetzung allerdings äusserst komplex. Oft hörte man während der Building Bridges-Woche in Genf: «Wir verwalten Unmengen von Geld und wir sind interessiert daran, in die Erreichung der SDGs zu investieren. Aaber wo sind die bankable projects (bankfähigen Projekte)?» Denn: Der Finanzsektor mag es nach wie vor am liebsten wenig riskant und (potentiell hoch) profitabel.
Fakt ist, dass die Nachfrage nach nachhaltigen Finanzvehikeln, die den Profit mit positiven sozialen und/oder Umweltauswirkungen vereinen sollen, stark gestiegen ist. Diese neue Art von Finanzinstrumenten gilt es jedoch kritisch zu durchleuchten. Philip Krueger, Professor am Geneva Finance Research Institute betonte, dass das Risiko des Greenwashing bzw. Rainbow-Washing enorm gross sei, da sich heutzutage fast jeder zu Nachhaltigkeit bekenne, es aber keine global anerkannten Standards gebe, die definierten, was eine nachhaltige Investition sei. So vermarkten sich UBS und CS heute zwar vollmundig als nachhaltig, ihre Taten sprechen aber eine andere Sprache: Die UBS investierte zwischen 2016 und 2018 rund 26 Mrd. US-Dollar in Unternehmen, die mit Öl, Gas und Kohle handeln, die Credit Suisse ist u.a. mit Krediten und Anleihen im Wert von 845 Mio. US-Dollar an Firmen beteiligt, die direkt von der Rodung und den Bränden im Amazonasgebiet profitieren.
Um die Armut, die Ungleichheit und die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen im Sinne der SDGs zu reduzieren, braucht es einen speziellen Fokus auf die ärmsten Bevölkerungsschichten («Leave no one behind»), sowie auf nachhaltige Produktions- und Konsumverhältnisse. Es braucht starke Zivilgesellschaften, gute und für alle zugängliche Bildungs- und Gesundheitssysteme, menschenwürdige, langfristige und angemessen entlöhnte Arbeitsplätze sowie klima- und umweltschonende Produktions- und Konsummuster. All dies verlangt nach einer stark am Gemeinwohl und an Langfristigkeit ausgerichteten Weltwirtschaft, was sich mit den heutigen Liquiditäts- und Profitvorstellungen der Finanzwirtschaft kaum vereinbaren lässt. UBS-CEO Sergio Ermotti sprach in Genf Klartext; finanzielle Rendite bleibe bei Investitionsentscheiden das Hauptkriterium, Desinvestitionsstrategien (z.B. dem Ausstieg aus Kohlekraftwerken) stehe die UBS kritisch gegenüber. Und Daniela Stoffel, die Staatssekretärin für internationale Finanzfragen erklärte, dass die Schweiz die Banken nicht per Regulierung zu mehr Nachhaltigkeit verpflichten werde, sondern nach wie vor auf deren eigene Expertise vertraue und auf einen engen Dialog setze.
Banken als Entwicklungshelfer?
Obwohl die wenigsten privaten Akteure über genügendes soziales oder ökologisches Know-How verfügen, versucht sich der Schweizer Finanzsektor also als effizienter Entwicklungshelfer neu zu positionieren. Unterstützt werden will er dabei von der Schweizer Regierung, die das Umfeld so geschäftsfreundlich wie möglich gestalten soll und durch einen Ausbau von blended finance Instrumenten in der Entwicklungszusammenarbeit die Risiken für Investoren minimieren soll. Davon zeugt ein sechsseitiger offener Brief, den fünfzig RepräsentantInnen des Schweizer Privat- und Finanzsektors an den Bundesrat, das Parlament und die Finanzmarktbehörde FINMA geschickt haben.
Was bedeutet das konkret? In Entwicklungsländern sollen Infrastruktur, Energie, Transport, Landwirtschaft, aber auch wichtige öffentliche Dienstleistungen, wie etwa gewisse Teile des Gesundheitswesens oder der Bildung, zunehmend von profitorientieren Unternehmen bereitgestellt und auf internationalen Finanzmärkten in Form komplexer Finanzprodukte gehandelt werden. Die betroffenen Länder werden damit immer stärker eingebunden in globalisierte Finanzmärkte, über die sie keine Kontrolle haben. Die Finanzialisierung von Entwicklung schreitet voran. Das widerspricht fundamental dem SDG-Prinzip niemanden zurückzulassen, denn die Ärmsten können eben gerade nicht für den Zugang zu Bildung und Gesundheit zahlen – der öffentliche Zugang für alle wiederum ist für Firmen und Investoren nicht rentabel.
Auch kritische Stimmen waren zu hören am Building Bridges Summit, wie etwa die von Peter Bakker, CEO des World Business Council for Sustainable Development: Das vorherrschende Profitdenken müsse einem Streben nach Sinnhaftigkeit weichen, wenn wir dem Klimawandel, der Zerstörung der Biodiversität und der wachsenden Ungleichheit ein Ende bereiten wollen. Dafür müsse Nachhaltigkeit ins Zentrum der Finanzbranche rücken. Um einen solchen tiefgreifenden Paradigmenwechsel zu erreichen, braucht es allerdings klare und universell anerkannte Kriterien, anhand derer die sozialen und ökologischen Auswirkungen von Firmentätigkeiten sowie deren Steuerpraktiken bewertet werden können. Eine ganz neue Form von Transparenz braucht es auch bei Banken, Pensionskassen, Rückversicherern, Vermögensverwaltern etc., die offenlegen müssen, nach welchen Kriterien sie handeln und investieren und welche sozialen und ökologischen Auswirkungen ihre Investitionen haben. Letztlich geht es um die Frage: Sind Firmen und Banken – aber auch AnlegerInnen – bereit, Sinnhaftigkeit und Nachhaltigkeit höher zu gewichten als Profit? Durch höhere Steuerzahlungen – wie etwa durch Finanztransaktionssteuern – könnten sie dazu beitragen die existierende Ungleichheit zu reduzieren und das nötige Geld zur Erreichung der SDGs zur Verfügung zu stellen? Entscheidend ist auch die Frage, ob der Finanzsektor fähig sein wird, sich selbst in diese Richtung zu bewegen oder ob es dafür nicht doch staatliche Richtlinien und Regulierungen braucht.
Auch am Ende der Building Bridges-Woche bleibt die Frage offen: Geht es dem Schweizer Finanzplatz tatsächlich um die Finanzierung der SDGs und den damit verbundenen nötigen Paradigmenwechsel – von kurzfristigem Profitstreben zu langfristiger nachhaltiger Entwicklung – oder versucht er nicht eher sich selbst eine Brücke in die Zukunft bauen, in dem er sich durch die vertiefte Einbettung armer Länder in internationale Finanzsysteme neue Profitquellen erschliesst?
Was bedeutet Finanzialisierung?
Gemäss dem Gabler Banklexikon ist Finanzialisierung (engl. financialisation) die tatsächliche oder empfundene Tendenz eines (kapitalistischen) Systems hin zu einer zunehmenden Bedeutung bzw. Dominanz des Finanzsektors gegenüber anderen Bereichen dieses Systems.
Die Finanzialisierung resultiert aus der Neigung kapitalistischer Systeme, sämtliche Güter, Waren, Dienstleistungen oder sonstige handelbare Werte in Finanzinstrumente oder Derivate von Finanzinstrumenten umzuwandeln, mit dem Ziel, ihren profitablen Handel zu erleichtern.