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Bundesrat heftig zurückgepfiffen
25.03.2019, Internationale Zusammenarbeit
Die Rüstungsindustrie darf nicht mit erleichterten Exporten in Bürgerkriegsländer gestärkt werden. Waffenexporte und Entwicklung vertragen sich schlecht.
von Eva Schmassmann, ehemalige Fachverantwortliche «Politik der Entwicklungszusammenarbeit»
Als der Bundesrat Mitte Juni 2018 über seinen Beschluss informierte, die Ausfuhr von Kriegsmaterial in Bürgerkriegsländer zu erleichtern, fiel der Protest heftig aus. Die einseitige Berücksichtigung der Bedürfnisse der Rüstungsindustrie auf Kosten von Menschenleben in Konfliktgebieten löste bei Parteien und BürgerInnen Entsetzen aus. Wie kann die Schweiz Waffen in Bürgerkriegsländer liefern und gleichzeitig gute Dienste anbieten und auf ihrer humanitären Tradition bestehen? Im Nationalrat fand in der Herbstsession eine dringliche Debatte zum Thema statt, bereits stand die Absichtserklärung im Raum, es werde eine Volksinitiative lanciert, sollte der Bundesrat seinen Entscheid nicht rückgängig machen.
Die Ausfuhrkriterien für Waffenexporte waren bereits vor zehn Jahren auf der politischen Agenda. 2006 hatte die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) ihre Volksinitiative „Für ein Verbot von Kriegsmaterial-Export“ lanciert. Als Antwort darauf verschärfte der Bundesrat 2008 die Ausfuhrbedingungen. Die Kriegsmaterialverordnung wurde in mehreren zentralen Punkten ergänzt. So wurden Exporte verboten, wenn das Bestimmungsland in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt ist, die Menschenrechte systematisch und schwerwiegend verletzt oder zu den am wenigsten entwickelten Ländern zählt. Ebenso wurden Exporte ausgeschlossen, wenn ein hohes Risiko besteht, dass die Waffen gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt oder an einen unerwünschten Endempfänger weitergegeben werden. Die weiter gehende GSoA-Initiative wurde im Folgenden an der Urne abgelehnt.
Alleingänge der Regierung verunmöglichen
Im Nationalrat stiess insbesondere der Alleingang des Bundesrates sauer auf. Entsprechend wurde eine Motion der BDP angenommen, welche die Mitsprache des Parlaments verankern will. Sie fordert, die Bewilligungskriterien für Auslandgeschäfte aus der Verordnung zu streichen und in das Kriegsmaterialgesetz aufzunehmen. Damit würde die Verantwortung vom Bundesrat an das Parlament übergehen. Änderungen der Ausfuhrbestimmungen müssten den parlamentarischen Weg gehen und könnten via Referendumsoption auch den Schweizerinnen und Schweizern vorgelegt werden.
Aus entwicklungspolitischer Sicht sind verschiedene Aspekte des Themas relevant. Generell gilt, dass Frieden eine Grundvoraussetzung für Entwicklung ist. Der Einsatz der Entwicklungszusammenarbeit für friedliche, stabile Gesellschaften ist auch ein Einsatz für erfolgreiche soziale und wirtschaftliche Entwicklung. Die internationale Unterstützung für funktionierende Bildungs- und Gesundheitssysteme in den ärmsten Ländern darf dabei aber nicht Budgetmittel im Zielland freimachen, die für militärische Aufrüstung ausgegeben werden. Entsprechend war die Bestimmung in der Verordnung von 2008 ein wichtiger Hebel, um Rüstungsexporte in die am wenigsten entwickelten Länder zu untersagen und zu verhindern, dass staatliche Mittel für Rüstungskäufe ausgegeben wurden, sondern prioritär in Armutsbekämpfung und die Finanzierung von Gesundheit und Bildung flossen. Diese Bestimmung hatte der Bundesrat 2014 in einer ersten Lockerung der Kriegsmaterialverordnung abgeschwächt. Der Entwicklungsstand eines Landes sollte nur berücksichtigt werden, jedoch kein zwingendes Hindernis für die Exportbewilligung darstellen. Im Zusammenhang mit der sich verändernden Natur von Konflikten und zunehmender terroristischer Gefahren beispielsweise im Sahel hat die Frage nach staatlichen Ausgaben für nationale Sicherheitskräfte durchaus seine Berechtigung. Die Schweiz muss bei der Prüfung entsprechender Anfragen aber zwingend abklären, ob die Polizei oder andere sicherheitspolitischen Akteure im Bestimmungsland einer demokratischen Kontrolle unterstehen. Ist diese nicht gewährleistet, kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Waffen gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt werden.
In der Beurteilung des Kontextes hat die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) eine wichtige Rolle zu spielen. Sie ist in vielen der ärmsten Länder mit Programmen im Bereich der Regierungsführung aktiv und verfügt über die Möglichkeiten, um die Situation vor Ort treffend einschätzen zu können. Entsprechend ist es unerlässlich, die Deza in die Beurteilung von Exportgesuchen einzubeziehen. Sie kann mithelfen, den Grad der demokratischen Kontrolle der Sicherheitskräfte oder die Korruption in einem Land zu beurteilen. Korruption ist ein wesentlicher, aber nicht ausreichender Indikator zur Einschätzung, ob die Zusicherungen eines Käufers glaubhaft sind, die Waffen nicht weiter zu verkaufen.
Der Bundesrat hat am 31. Oktober seinen Verzicht auf die Lockerung der Kriegsmaterialverordnung bekannt gegeben. Doch der Stein ist ins Rollen gekommen und lässt sich nicht mehr stoppen. Eine breite Allianz gegen Waffenexporte in Bürgerkriegsländer hat in nur zwei Monaten bereits die nötigen 100‘000 Unterschiften für ihre Initiative gesammelt, zurzeit läuft deren Beglaubigung. Die sicherheitspolitische Kommission des Ständerats empfahl am 11. Februar ihrem Rat, auf eine Beratung der BDP-Motion zu verzichten und die Frage im Rahmen der Debatte zur Initiative zu führen. Am 11. März folgte der Ständerat der Argumentationslinie der Kommission. Die Debatte um Waffenexporte in Bürgerkriegsländer wird damit auf die lange Bank geschoben.
Korrekturinitiative
Nach Bekanntgabe des bundesrätlichen Entscheids, die Ausfuhrbestimmungen für Waffenexporte zu lockern, formierte sich rasch eine breite gegnerische Allianz. Von den Alliance Sud-Träger- und Partnerorganisationen sind Helvetas, HEKS, Swissaid und Terre des Hommes Schweiz Teil dieser Koalition. Die sogenannte Korrekturinitiative will Waffenexporte in Bürgerkriegsländer verbieten. Erklärtes Ziel ist nicht ein generelles Exportverbot, wie es die Initiative der GSoA 2006 verlangte, sondern eine Rückkehr zum Stand von vor 2014, als die Kriegsmaterialverordnung zuletzt gelockert wurde. 24 Stunden nach Bekanntgabe, dass die Lancierung einer Initiative geprüft werde, hatten bereits 25‘000 Menschen versprochen, je vier Unterschriften zu sammeln.
Zahlen und Fakten
- Für zivile Friedensförderung und Menschenrechte hat die Schweiz 2017 100 Millionen Franken ausgegeben. (Quelle: EDA)
- Die weltweiten Militärausgaben beliefen sich 2017 auf 1‘739 Milliarden US-Dollar. (Quelle: SIPRI)
- Zur Finanzierung der Ziele für nachhaltige Entwicklung (Agenda 2030) rechnet die UNO mit einem jährlichen Finanzbedarf von 5000 bis 7000 Milliarden US-Dollar.
Die Bedeutung von Kriegsmaterialexporten für den Werkplatz Schweiz ist bescheiden. Gesamthaft exportierte die Schweiz 2016 Güter im Umfang von fast 211 Milliarden Franken. Annähernd die Hälfte davon entfiel auf die Pharmaindustrie. Der Anteil der Rüstungsexporte machte nur knapp 0,17 Prozent des gesamten Aussenhandels aus.
Die Befürworter möglichst schrankenloser Waffenexporte behaupten, die Schweiz brauche eine Rüstungsindustrie für ihre eigene Sicherheit und nur ungehinderte Exporte garantierten deren Überleben.
Unter den grössten Abnehmern von Schweizer Rüstungsgütern fallen drei Länder auf, in denen entweder fundamentale Menschenrechte nicht garantiert sind und/oder die als akute Gefährdung für den Frieden in ihrer Region eingeschätzt werden müssen. Indien (Rang 3) kaufte 2016 für 35 Mio. Franken Schweizer Waffen, Pakistan (Rang 5) für 16 Mio. und Saudi-Arabien (Rang 10) für 12 Mio. Für den in dieser Grafik ausgewiesenen wachsenden Anteil an Waffenexporten nach Afrika ist primär Südafrika (Rang 2, 51 Mio.) verantwortlich.