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WTO: Die Schweiz kann aufatmen − für den Moment
29.11.2021, Handel und Investitionen
Obwohl die WTO-Ministerkonferenz auf unbestimmte Zeit vertagt wurde, ist die Schweiz mit ihrem Widerstand gegen die Aufhebung des Patentschutzes auf Covid-Impfstoffe zunehmend isoliert. Der WTO-Generalrat könnte und sollte rasch entscheiden.
Der Beschluss fiel am Freitag kurz vor Mitternacht: Die Welthandelsorganisation (WTO) sagte die für den 30. November bis 3. Dezember in Genf geplante Ministerkonferenz kurzfristig ab und verschob sie auf unbestimmte Zeit. Grund dafür sind die Flugeinschränkungen aus dem südlichen Afrika, die von der Schweiz und der Europäischen Union nach dem Auftreten der neuen Omicron-Variante des Coronavirus verhängt wurden. Es wäre undenkbar gewesen, ein derart wichtiges Treffen ohne die Teilnahme verschiedener MinisterInnen vor Ort abzuhalten; und von der ersten afrikanischen Generaldirektorin der Organisation, Ngozi Okonjo-Iweala, hätte man nichts anderes erwartet.
Zwar kann die Schweiz für den Moment aufatmen: Von allen Seiten wurde Druck auf sie ausgeübt, damit sie der von Indien und Südafrika geforderten vorübergehenden Aufhebung von Patenten und anderen Elementen des Schutzes geistigen Eigentums auf Impfstoffe, Medikamente und Antikörpertests endlich zustimmt (TRIPS-Ausnahmeregelung). Dieser Vorschlag wird von rund 100 Ländern und teilweise sogar von den USA unterstützt, die zumindest der Aufhebung des Schutzes des geistigen Eigentums bei Impfstoffen zugestimmt haben.
Die Schweiz ist neben der Europäischen Union und Grossbritannien eines der wenigen Länder, die sich weiterhin dagegen wehren. Doch das Europäische Parlament hat am 25. November eine Resolution zugunsten der Ausnahmeregelung verabschiedet, die die zukünftigen Entscheidungen der Europäischen Kommission beeinflussen könnte.
Der WTO-Generalrat soll entscheiden
Was wird jetzt passieren? Technisch gesehen ist für eine TRIPS-Ausnahmeregelung eine Ministerkonferenz gar nicht erforderlich: Sie kann vom Generalrat der WTO genehmigt werden, wie es in der Vergangenheit schon oft gemacht wurde. Der einzige Unterschied besteht darin, dass die Ministerkonferenz dem Thema mehr Sichtbarkeit verliehen hätte. In Genf und anderen Städten sind Demonstrationen geplant, NGOs wie Alliance Sud haben mobilisiert und die Medien auf der ganzen Welt interessieren sich für das Thema.
Die Konferenz wäre natürlich kein Spaziergang gewesen; niemand konnte den Ausgang vorhersehen, aber die Unnachgiebigkeit der Schweiz und einiger anderer Länder drohte sie zum Scheitern zu bringen, da in der WTO Entscheidungen im Konsens getroffen werden. Die Arbeit an der Ausnahmeregelung sollte daher im TRIPS-Ausschuss fortgesetzt werden, wo die Schweiz zunehmend isoliert ist: Innerhalb der Europäischen Union führte bisher Deutschland die Ablehnungsfront an, aber die neue Mitte-Links-Regierung könnte diese Position ändern.
Paradoxerweise hat die neue Omicron-Variante wieder einmal gezeigt, dass niemand vor dem Virus sicher sein kann, solange nicht die ganze Welt die Corona-Krise überwunden hat. Daher ist es dringender denn je, die Produktionskapazitäten für Impfstoffe, Tests und Medikamente in den Entwicklungsländern zu erhöhen. Dies geschieht auch durch die Aufhebung von Patenten und den Transfer von Technologie und Know-how durch die Pharmaunternehmen. Es bleibt zu hoffen, dass dies noch vor der nächsten Ministerkonferenz, deren neuer Termin noch nicht feststeht, geschieht. Andernfalls könnte es zu spät sein, um das Virus, das die Welt seit zwei Jahren im Griff hat, endlich einzudämmen.