Welthandel

Grüner Kolonialismus oder Entwicklungschance?

21.06.2024, Handel und Investitionen

Mit einer Verordnung wird die Einfuhr jener sieben Produkte in die EU verboten, die den grössten Anteil an der globalen Abholzung haben. Es muss sichergestellt werden, dass den Kleinproduzent:innen des Globalen Südens keine Nachteile erwachsen.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

Grüner Kolonialismus oder Entwicklungschance?

Ein einziger grüner Baum in den Hügeln der verbrannten und abgeholzten Landschaft in der Nähe von Mae Chaem, Nordthailand. © Keystone / EPA / Barbara Walton

Die neue EU-Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten (EU Deforestation Regulation, EUDR) wird am 1. Januar 2025 vollständig in Kraft treten. Die sieben Rohstoffe, die den grössten Anteil an der weltweiten Abholzung haben – Kakao, Kaffee, Palmöl, Gummi, Soja, Holz, Rindfleisch – sowie daraus erzeugte Produkte wie Schokolade, Kaffeekapseln, Möbel, Papier oder Autoreifen – dürfen nur dann in die Europäische Union (EU) importiert werden, wenn nachgewiesen wird, dass sie von Anbauflächen stammen, die nach dem 1. Januar 2020 nicht abgeholzt wurden. Weiter muss belegt werden, dass die Rechte der Arbeitnehmer:innen, Antikorruptionsstandards und die Rechte indigener Gemeinschaften nicht verletzt wurden.

Je nachdem, wie hoch das Entwaldungsrisiko ist, werden die Produktionsländer in drei Kategorien eingeteilt und die Produktionsstandorte mit ausgeklügelten technologischen Mitteln wie Geolokalisierung überwacht. Die Verordnung ist Teil des europäischen «Green Deals», der auf einer unumstösslichen Feststellung basiert: Die EU-27 sind nach China die grössten Importeure von Produkten, die zur Entwaldung beitragen. Die Sorgfaltspflicht (also die Pflicht zu garantieren, dass nicht abgeholzt wurde) obliegt sämtlichen Akteuren der Wertschöpfungskette – Produzent:innen, Exporteuren und Importeuren, unabhängig von ihrer Grösse. Je nach Grösse werden jedoch mehr oder weniger strenge Auflagen zur Anwendung kommen.

Laut einer Studie von Krungsri Research View, einem Forschungsinstitut der fünftgrössten Bank Thailands, ist Deutschland von der EUDR am meisten betroffen – es exportiert vor allem Holz, Kautschuk, Rindfleisch und Kakao. Gleich danach folgt China mit seinem Holz- und Kautschuckexport. Unter den Ländern im Globalen Süden stark betroffen sind Brasilien (Kaffee, Soja, Palmöl), Indonesien (Palmöl), Malaysia (Palmöl), Argentinien (Soja, Palmöl, Rindfleisch), Vietnam (Kaffee) und die Elfenbeinküste (Kakao), Thailand (Kautschuk) sowie Guatemala (Palmöl und Kaffee).

Die NGO Fern (Forests and the European Union Resource Network) geht davon aus, dass auch Honduras, Ghana und Kamerun, die besonders von Exporten in die EU abhängig sind, von der Verordnung betroffen sein dürften.

Globaler Süden gegen die EUDR

Die Länder des Globalen Südens kritisieren die Initiative scharf; sie sehen darin versteckten Protektionismus und einen neuen grünen Kolonialismus. Im September 2023 schickten 17 Regierungschef:innen aus Lateinamerika, Afrika und Asien einen Brief an die jeweiligen Präsidierenden der Europäischen Kommission, des Europäischen Parlaments und des Ministerrats. Darin bedauerten sie den «one-size-fits-all»-Ansatz der EUDR und das mangelnde Verständnis für lokale Besonderheiten.

Tatsächlich werden es vor allem kleine Landwirtschafts- und Produktionsbetriebe schwer haben, der Verordnung zu entsprechen, auch wenn es – abgesehen von einigen Kaffee- und Kakao-Produzent:innen – vor allem die grossen Hersteller und Exporteure schaffen, ihre Produkte auf den europäischen Märkten zu platzieren.

Die negativen Auswirkungen dieser Initiative haben denn auch nicht lange auf sich warten lassen. Wie das International Institute for Environment and Development betont, sind die europäischen Importeure bereits dabei, von äthiopischem Kaffee auf Kaffee aus Brasilien umzusteigen, der sich leichter zurückverfolgen lässt.

In ihrem Handels- und Entwicklungsbericht von 2023 äusserte sich die UNO-Handels- und Entwicklungsorganisation (ehemals UNCTAD) besorgt über die Häufung unilateraler Initiativen wie EUDR und CBAM (die CO2-Ausgleichsabgabe, die von der EU auch auf hochgradig umweltschädliche Produkte wie Aluminium erhoben wird). Sie ist der Ansicht, dass diese Richtlinien gegen den im Pariser Klimaabkommen verankerten Grundsatz der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung verstossen.

Das Beispiel Thailand

Krungsri Research View hat sich besonders mit dem Fall Thailand befasst, der die Ambivalenz der EUDR aufzeigt. Die unter die EUDR fallenden Produkte machen zwar nur 8,3% der Exporte in die EU und 0,7% aller thailändischen Exporte aus, doch ihr Wert ist im Steigen begriffen.

Den Produzenten und Exporteuren von Kautschuk, Holz und Palmöl werden aufgrund der Anpassung an die neuen Vorschriften erhebliche Kosten entstehen; kleine Produzent:innen werden ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren und Thailand läuft Gefahr, aus den globalen Wertschöpfungsketten ausgeschlossen zu werden.

Wenn der Prozess jedoch angemessen begleitet wird, sowohl seitens der Regierung als auch durch die im Rahmen der EUDR vorgesehenen Unterstützungsmassnahmen, kann Thailand gegenüber seinen Konkurrent:innen an Wettbewerbsfähigkeit zulegen und gleichzeitig seine Wälder erhalten.

Auswirkungen auf die Schweiz

Was bedeutet das für die Schweiz? Sie ist indirekt von der neuen Bestimmung betroffen, da jeder Export der sieben genannten Produkte in die EU die Anforderungen der EUDR erfüllen muss. Weiter steht die Schweiz laut Krungsri, was die Auswirkungen betrifft, gar an 17. Stelle, wobei Kakao und insbesondere Kaffee betroffen sind.

Bisher hält der Bundesrat daran fest, das Schweizer Recht nicht an die EUDR anzupassen, solange eine gegenseitige Anerkennung mit der EU nicht möglich ist. Damit soll doppelter Aufwand für die Schweizer Unternehmen vermieden werden. Bis im Sommer soll eine Folgenabschätzung durchgeführt und dann eine Entscheidung getroffen werden.

Auch die Zivilgesellschaft setzt sich mit dem Thema auseinander. Alliance Sud beteiligt sich an einer Arbeitsgruppe, die analysiert, ob und wie die EUDR für die Schweiz angepasst werden könnte, ohne dass den Kleinproduzent:innen in den Ländern des Globalen Südens Nachteile erwachsen. Gegebenenfalls sind flankierende Massnahmen und Schulungen sowie eine Konsultation der lokalen Gemeinschaften notwendig. Es muss verhindert werden, dass der Kampf gegen den Klimawandel auf Kosten des Entwicklungspotenzials des Welthandels geht.

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Die Alliance Sud-Zeitschrift zu Nord/Süd-Fragen analysiert und kommentiert die Schweizer Aussen- und Entwicklungspolitik. «global» erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden.