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Wer soll bezahlen: die Alten oder die Investoren?

26.03.2018, Handel und Investitionen

Mit der im Dezember 2017 verabschiedeten Rentenreform will Argentinien 6 Milliarden US-Dollar einsparen. Seine Schulden bei ausländischen Investoren belaufen sich auf 8,65 Milliarden. Weitere 11 Milliarden müssen an Geierfonds bezahlt werden.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

Wer soll bezahlen: die Alten oder die Investoren?

Nach der Finanzkrise von 2001 privatisierte Argentinien wichtige Teile seiner Infrastruktur. Bild: Der Yacyreta-Damm, Misiones, Argentinien.
© Alfredo Caliz / Panos

Als am 19. Dezember in Buenos Aires neben Steinen auch Molotowcocktails flogen, antwortete die Polizei mit Wasserwerfern, Gummigeschossen und Tränengas. Demonstrationen und Streiks während eines Monats hatten Präsident Mauricio Macri nicht von seiner kontroversen Rentenreform abbringen können. Diese beinhaltet nicht nur die Erhöhung des Rentenalters, sie entkoppelt die Pensionen teilweise auch von der Inflation. Und dies, obwohl bei einer Jahresteuerung von 20% jetzt schon viele RentnerInnen finanziell kaum mehr über die Runden kommen und die Kaufkraft der Lohnabhängigen stetig erodiert; die offizielle Armutsrate liegt bei 28.6%. Der Machtkampf zwischen dem liberalen Präsidenten und den Linksperonisten bzw. den Gewerkschaften wird auf den Strassen von Buenos Aires mit einer Heftigkeit und Polizeirepression ausgetragen, wie sie das Land seit der Finanzkrise von 2001 nicht mehr erlebt hat.  

Es ist das erklärte Ziel der 2015 gewählten Regierung, das Budgetdefizit von 31 Milliarden US-Dollar im Jahr 2016 mit Sparanstrengungen um 6 Milliarden zu reduzieren. Aber ist der Angriff auf die Renten wirklich der beste Weg dazu? Um diese rhetorische Frage zu beantworten, lohnt es sich, diesen Betrag mit den astronomischen Summen zu vergleichen, die Argentinien ausländischen Investoren schuldet.

Finanzkrise, Ausnahmezustand und Klagelawine

Um die Ursachen der Krise von 2001 zu verstehen, die das Land in die Knie zwang, muss man in die frühen 1990er Jahre zurückblättern. Argentinien ächzte damals unter einer horrenden Schuldenlast. Um dieser zu begegnen privatisierte Argentinien zahlreiche öffentliche Unternehmen, überliess diese meist ausländischen Investoren und lockte diese mit rund fünfzig Investitionsschutzabkommen (ISA) ins Land. Die Strategie erlitt allerdings Schiffbruch, der Turnaround scheitert, im Dezember 2001 musste Argentinien den Staatsbankrott verkünden. Der neue Präsident Duhalde erklärte den Ausnahmezustand und hob die während über zehn Jahren gültige 1:1-Parität zwischen argentinischem Peso und US-Dollar auf; die argentinische Währung verlor sofort dramatisch an Wert, Importprodukte wurden unerschwinglich teurer. Duhalde fror die Preise ein und verpflichtete die ausländischen Investoren, in Peso abzurechnen. Diese bestanden jedoch auf dem Dollar bzw. auf jenem Peso-Kurs, zu dem sie ihre Investitionen getätigt hatten. Für die argentinische Kundschaft hätte das bei zahlreichen Dienstleistungen Preissteigerungen von 200, 300 oder gar 400 Prozent bedeutet, angesicht der extremen Inflation und explodierender Arbeitslosigkeit wäre das nicht tragbar gewesen.    

Um gegen die verfügten Massnahmen zu protestieren, strengten die ausländischen Investoren eine Rekordzahl von sechzig Investitionsschiedsverfahren – Investor-state dispute settlements (ISDS) –gegen den argentinischen Staat an. Das Besondere daran ist, das viele dieser Klagen sich auf Unternehmen des öffentlichen Diensts beziehen, darunter solche der Grundversorgung wie Wasser-, Elektrizitäts- und Gasversorgungwerke.