UNO-Steuerkonvention

Der Süden in der Offensive

13.06.2024, Finanzen und Steuern

Bei der UNO haben die Verhandlungen über die zukünftige Ausgestaltung der Rahmenkonvention für die internationale Zusammenarbeit in Steuersachen begonnen. Unser Experte für Steuerpolitik war dabei und von der Verhandlungsstärke der afrikanischen Länder beeindruckt.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

Der Süden in der Offensive

Delegierte an der Sitzung zur UNO-Steuerkonvention im Mai in New York. Die Speerspitze für mehr Steuergerechtigkeit durch eine Verlagerung von OECD zur UNO bildet u. a. Nigeria © UN Photo / Manuel Elías

Die UNO ist nicht die allerbeste PR-Agentur ihrer selbst, schon gar nicht, wenn es um Steuerpolitik geht. Und so bemerkte die Weltöffentlichkeit Ende April kaum, dass sich im Innern des UNO-Hauptquartiers am East River in New York Historisches abspielte: Zum ersten Mal in der Geschichte kamen dort die Regierungen der 196 UNO-Mitgliedsstaaten zusammen, um über die zukünftige Gestalt der UNO-Rahmenkonvention für Steuern zu verhandeln, deren Ausarbeitung die Generalversammlung im letzten Dezember beschlossen hatte. Wichtigste Treiberin des Prozesses ist die Gruppe der afrikanischen Staaten bei der UNO, die sogenannte «Afrika-Gruppe». Noch nie kamen die Länder des Globalen Südens (G77) mit ihren steuerpolitischen Anliegen in der UNO so weit wie im letzten halben Jahr.

Bis im August dieses Jahres geht es nun darum, das organisatorische und inhaltliche Gerüst der Steuerkonvention zu bauen, also die sogenannten «Terms of Reference» zu verhandeln. Segnet die Generalversammlung diese im September ab, kann danach die Konvention selbst mit ihren detaillierten Inhalten ausgearbeitet werden. Auf dieser Basis wiederum können dann rechtlich bindende Steuerreformen ausgearbeitet werden, die von den Mitgliedsstaaten umgesetzt werden müssten. Den Ländern des Globalen Südens und der globalen Steuergerechtigkeitsbewegung bietet sich also die einmalige Chance, die OECD-Vorherrschaft in der internationalen Steuerpolitik zu beenden und die UNO zur zentralen Akteurin zu machen und damit die organisatorischen Voraussetzungen für eine gerechtere multilaterale Steuerpolitik zu schaffen (siehe auch global #92).

Das Dilemma des Nordens

Ähnliche Versuche, die steuerpolitische Dominanz der reichen Staaten des Nordens zu beenden, gab es in den letzten 60 Jahren immer wieder. Die Aussichten sind heute vor allem aus zwei Gründen besser denn je:

  1. Die OECD hat mit ihren Reformen in der Besteuerung multinationaler Konzerne enttäuscht. Zu Beginn des Verhandlungsprozesses zu BEPS 2.0 (Base Erosion and Profit Shifting) im Januar 2019, aus dem im Herbst 2022 letztlich die Mindeststeuer resultierte, trat man noch mit dem Anspruch an, die Steuervermeidung multinationaler Konzerne im grenzüberschreitenden Handel zu unterbinden, Gewinnsteuereinnahmen gerechter über den Globus zu verteilen und den Steuerwettbewerb zwischen den Staaten hin zu immer tieferen Unternehmenssteuern zu stoppen. Mehr als diese Version der Mindeststeuer, deren Mehreinnahmen ausgerechnet in die bisherigen Tiefsteuergebiete für Konzerne des Nordens fliessen, und nicht dorthin, wo die entsprechenden Gewinne erarbeitet werden, kann die OECD nach fünf Jahren Verhandlungen nicht vorweisen. Im Globalen Süden ist die Frustration über dieses Ergebnis gross. Nun will man die Ungerechtigkeiten des gegenwärtigen internationalen Steuersystems auch über die Konzernbesteuerung hinaus im Rahmen der UNO lösen.
  2. Weltpolitische Entwicklungen der letzten Jahre und die damit verbundenen neuen Erfahrungen der Marginalisierung auf multilateraler Ebene einten die afrikanischen Staaten steuerpolitisch. Dazu gehören Diskriminierung beim Impfstoffzugang während der Corona-Pandemie, die Weigerung der nördlichen Gläubigerstaaten, griffige Massnahmen gegen die Staatsschuldenkrise im Globalen Süden zu ergreifen, oder die Untätigkeit der internationalen Gemeinschaft, wenn es darum ging, die durch den Ukraine-Krieg und die Sicherheitskrise für Frachtschiffe auf den Weltmeeren ausgelöste Nahrungsmittelkrise in vielen afrikanischen Staaten zu bekämpfen. Diese neue afrikanische Einigkeit verleiht den steuerpolitischen Interessen auf dem Kontinent in der UNO neues Gewicht, sie entfalten eine in der globalen Wirtschaftspolitik lange nicht mehr gesehene Kraft.

Im April traten die Vertreter:innen des Globalen Südens in den Verhandlungen denn auch entsprechend selbstbewusst auf und warfen ihre Forderungen konsequent und fundiert in die Runde. Sie decken folgende Teilbereiche der internationalen Steuerpolitik ab: verschiedene Aspekte der Unternehmensbesteuerung, die Bekämpfung unlauterer Finanzflüsse, die Besteuerung der digitalen Wirtschaft, Umwelt- und Klimasteuern, die Besteuerung hoher Vermögen, Fragen des Informationsaustausches und der Steuertransparenz sowie Steueranreize (Tax Incentives). Seit Anfang Juni liegt der erste schriftliche Entwurf für die grundsätzliche Verfasstheit der Konvention (Terms of Reference) vor. Er berücksichtigt die Forderungen der G77 in fast allen Punkten und ist die Grundlage für die nächste Verhandlungsrunde.

Schweiz schwimmt ambitionslos mit

Die Offensive des Südens bringt die OECD-Länder in eine knifflige Lage: Einerseits möchten sie so wenig Themen wie möglich in die UNO verlagern, die bisher im Rahmen der OECD und mit ihr verwandten Foren verhandelt wurden, weil sie selbst zu den Profiteuren der bisherigen Reformen gehören. Das gilt bekanntlich auch für die Schweiz. Mittlerweile schwimmt sie im UNO-Prozess relativ ambitionslos einfach mit den OECD-Ländern mit. Zu Beginn des Prozesses hat sich das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) noch erhofft, gar nicht erst an den Verhandlungen teilnehmen zu müssen, weil man den Prozess grundsätzlich für eine Farce hielt. Das war offensichtlich eine Fehleinschätzung. Wenn die OECD-Fraktion den UNO-Prozess durch ihr Festhalten an der OECD als massgebendes Forum für globale Steuerfragen aufzuhalten versucht, stösst sie die Länder des Südens auf multilateraler Ebene einmal mehr vor den Kopf. Angesichts der derzeitigen geopolitischen Grosskonflikte mit Russland und China kann sich das «der Westen» eigentlich nicht mehr leisten. Schliesslich hat niemand ein Interesse daran, dass mit Afrika der grösste Kontinent ins geopolitische Lager Russlands und Chinas wechselt.

So verstecken sich die OECD-Länder in den UNO-Steuerverhandlungen hinter ihrem vermeintlichen Allheilmittel namens «Capacity Building». Man sei gerne bereit, die Steuerbehörden im Globalen Süden mit mehr Know-how und Geld zu unterstützen, damit sie ihre Steuerflüchtigen zu fassen kriegen, heisst es. Darauf hatte Everlyn Muendo vom Tax Justice Network Africa (TJNA) im Konferenzraum 3 – im Gegensatz zur OECD sitzt die Zivilgesellschaft bei der UNO auch im Verhandlungsraum und kann dort das Wort ergreifen – eine treffende Antwort: «We cannot capacity build our way out of the imbalance of taxing rights between developed and developing countries and out of unfair international tax systems.»

Nicht mangelndes Know-how und fehlende technische Kapazitäten kosten den Globalen Süden Steuereinnahmen, sondern das internationale Steuersystem selbst und die unfaire Zuteilung von Besteuerungsrechten zwischen Nord und Süd, die diesem System eingeschrieben ist. Es ist nicht damit zu rechnen, dass sich die Afrika-Gruppe und ihre Verbündeten in absehbarer Zeit mit einem Verhandlungsergebnis zufriedengeben werden, dem nicht die Aussicht auf grundsätzliche Veränderungen des internationalen Steuersystems innewohnt. Im Juli und August steht in New York die nächste Verhandlungsrunde an.

 

 

Dominik Gross’ Beitrag zur Rolle des Schweizer Finanzplatzes bei der Steuerflucht von Vermögenden aus aller Welt Ende April während der Verhandlungen in New York:

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