Kommentar

Tonnage Tax: Das rühmliche Ende einer unrühmlichen Geschichte?

21.02.2024, Finanzen und Steuern

Die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerats (WAK-S) empfahl ihrem Rat am 20. Februar, nicht auf die Vorlage zur Einführung einer «Tonnage Tax» einzutreten. Nun steht dieses Steuerdumpinginstrument für Schweizer Reedereikonzerne und Rohstoffhändler vor dem Ende. Die gesetzgeberische Odyssee, die diesem Entscheid voranging, wirft allerdings ein sehr schlechtes Licht auf das Eidgenössische Finanzdepartement – insbesondere auf die eidgenössische Steuerverwaltung.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

Tonnage Tax: Das rühmliche Ende einer unrühmlichen Geschichte?

© Keystone / Laif / Patricia Kühfuss

Die Tonnage Tax würde auf den ersten Blick vor allem Unternehmen der Hochseeschifffahrt stark privilegieren. Sie sorgte dafür, dass diese nicht wie alle anderen Unternehmen in der Schweiz der Gewinnsteuer unterliegen, sondern pauschal anhand der Ladekapazität ihrer Schiffe besteuert würden. Politisch als Förderinstrument für den Reedereistandort Schweiz deklariert, wäre die Tonnage Tax aber faktisch auch ein Steuerschlupfloch für Rohstoffhändler in der Schweiz, also für Konzerne, die in den letzten Jahren exorbitante Profite eingefahren haben. Wegen der Pandemie und den Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten sind die Preise für gewisse Rohstoffe und den Schiffstransport massiv gestiegen. Das hat den Rohstoffhändlern und Reedereien Rekordgewinne beschert. Anstatt diese angemessen zu besteuern, würde just denselben Konzernen mit der Tonnage Tax ein neues Steuergeschenk beschert. Denn diese sind gemäss Recherchen von Public Eye die eigentlichen Schifffahrtsunternehmen hierzulande: 2’200 Schiffe kontrollieren sie auf den Weltmeeren. Die klassischen Schweizer Reedereien kommen nur auf 1’400 Schiffe, der Bundesrat sprach bisher sogar nur von 900 Schiffen. Diese Zahl stammt vom Schweizer Reedereiverband. Deren unkritische Übernahme könnte den Fiskus bei einer Annahme der Tonnage Tax teuer zu stehen kommen – aus folgenden Gründen:

  • Ein Blick in jene Länder, die bereits eine Tonnage Tax kennen, zeigt, dass die damit begünstigten Unternehmen im globalen Durchschnitt von einem effektiven Steuersatz von lediglich 7% profitieren, wie die Jurist:innen Mark Pieth und Kathrin Betz in ihrem Buch «Seefahrtsnation Schweiz - vom Flaggenzwerg zum Reedereiriesen» gezeigt haben. Dass es noch tiefer geht, zeigt der Hamburger Reedereigigant Hapag-Lloyd, welcher dank Tonnage Tax im Jahr 2021 nur 0,65% Steuern zahlte. Selbst Klaus-Michael Kühne, der 30% an Hapag-Lloyd hält und Mehrheitsaktionär des Schwyzer Logistikunternehmens Kühne + Nagel ist, stimmte der Aussage zu, dass durch die Tonnage Tax «obszön wenig» Geld in die Steuerkasse fliesse.
  • Schweizer Rohstoffhändler wiederum könnten mit der neuen Steuer auch Gewinne aus dem Handel auf ihre Schiffe verschieben und die normale Gewinnsteuer umgehen. Entsprechend massiv wären die Verluste für den Schweizer Fiskus. Daran ändert auch die kürzlich angenommene OECD-Mindeststeuer von 15% nichts, denn davon ist die internationale Schifffahrt explizit ausgenommen.
  • Die Tonnage Tax widerspricht wohl der Bundesverfassung, weil sie das dort festgeschriebene Prinzip der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verletzt: Werden Frachtschiffbetreiber nach dem Umfang der Fracht ihrer Schiffe besteuert und nicht gemäss ihrer Profitabilität, ist dieses Prinzip ausser Kraft und würde die rechtliche Bevorzugung einer einzelnen Branche bedeuten. Das wäre in der Schweiz nur erlaubt, wenn es sich dabei um eine existentiell bedrohte Industrie handeln würde, was offensichtlich weder für die Schweizer Hochseeschifffahrt noch für den Rohstoffhandel gilt.

Zwielichtige Rolle des Finanzdepartements

Alliance Sud und Public Eye formulierten diese Kritikpunkte anlässlich von Anhörungen sowohl in der Wirtschaftskommission des National- wie auch des Ständerates. Während der Nationalrat der Vorlage im Dezember 2022 trotz sehr vieler Ungereimtheiten noch bedenkenlos zustimmte, nahm der Ständerat diese auf und verlangte von der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) bereits zweimal entsprechende Klärungen: Zum ersten Mal vor einem Jahr, zum zweiten Mal im letzten Oktober. Beide Male konnte die ESTV die offenen Fragen zur Abgrenzung des Rohstoffsektors von der Seefahrt, zu den fiskalischen Folgen der Einführung der Sondersteuer und ihrer Verfassungsmässigkeit in entsprechenden Berichten nicht ausreichend beantworten. Folgerichtig will die WAK-S nun also auf die Vorlage nicht eintreten.

Offen bleibt auch die viel grundsätzlichere und unangenehme Frage, weshalb das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) – zu dem die ESTV gehört – nicht fähig ist, zentrale Fragen zu einem Gesetzesprojekt zu klären, das es selbst aufgegleist hat. Eine mögliche Erklärung für dieses dilettantische Vorgehen einer in Steuerfragen eigentlich hochkompetenten Verwaltungsstelle lieferte kürzlich eine sehr verdienstvolle Recherche von reflekt.ch. Diese Plattform für investigativen Journalismus zeigte nämlich, dass die Vorlage überhaupt erst auf exzessives Drängen der «Mediterranean Shipping Company» (MSC), einer der weltweit grössten Reedereien mit Sitz in Genf, zustande kam. Nachdem sich der ehemalige SVP-Finanzminister Ueli Maurer als wohlwollender Pate für die Anliegen der Reederei entpuppte, die auch schon ins Zwielicht der internationalen Drogenmafia geriet, begann zwischen der ESTV und MSC eine intensive Zusammenarbeit. Dies zeigen E-Mails aus der Verwaltung, die Reflekt mit Hilfe des Öffentlichkeitsgesetzes erhalten hat. Statt im Interesse der Allgemeinheit dafür zu sorgen, dass hochprofitable Konzerne ihre (in der Schweiz sowieso schon sehr niedrigen) Steuern bezahlen und das Parlament in die Lage versetzt wird, informierte Entscheidungen in der Steuerpolitik zu treffen, betätigte sich die eidgenössische Steuerverwaltung also als Steueroptimierungs-Beraterin eines multinationalen Konzerns. Wenn das stimmt, ist das ein veritabler Skandal – unabhängig davon, ob die Tonnage Tax, so wie es die Wirtschaftskommission empfiehlt, versenkt wird. Ganz so weit ist es aber noch nicht: Beschliesst auch das Plenum des Ständerats in der kommenden Frühlingsession Nicht-Eintreten, müsste der Nationalrat danach nochmals über die Bücher.