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TISA: Die Verhandlungen stecken fest

05.12.2016, Handel und Investitionen

Die Obama-Administration setzte noch einmal Druck auf, doch die Vertragspartner wollen nichts überstürzen. Selbst wenn die Verhandlungen 2017 fortgesetzt werden sollten, bleibt vieles problematisch, namentlich die Liberalisierung des Service public.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

TISA: Die Verhandlungen stecken fest

Wie problematisch die Privatisierung öffentlicher Dienste ist, zeigt das Beispiel von Accra, der Hauptstadt von Ghana. Bild: Ein Mitarbeiter von Safe Water Network (SWN) liefert in einem Quartier der oberen Mittelklasse sauberes Trinkwasser. In ärmeren Bezirken kann sich die Bevölkerung dies nicht leisten.
© Nyani Quarmyne /Panos

Das Trade in Services Agreement (TISA) – seit 2012 ausserhalb der Welthandelsorganisation (WTO) von 23 Mitgliedern vorangetrieben – sollte noch vor Ende des Jahres unter Dach und Fach gebracht werden. Am 5./6. Dezember war dafür eine Ministerkonferenz in Genf anberaumt. Diese wurde kurzfristig annulliert. Wie es mit TISA weitergeht, bleibt vorläufig in der Schwebe. Zu gross und zahlreich waren die Differenzen, namentlich bei der Liberalisierung der öffentlichen Dienstleistungen und dem Datenschutz.

Am 7. Oktober enthüllte Wikileaks, dass die Europäische Union (EU) von den beteiligten Entwicklungsländer1 verlangt hat, dass sie ihre Service public-Angebote einfrieren sollen, ohne später darauf zurückkommen zu können. Das betrifft etwa die Telekommunikation in Costa Rica, Mexiko und Pakistan, Umweltdienstleistungen in Costa Rica, Panama und Peru, den Energie- und Bergbausektor in Mexiko und Pakistan oder das Verbot, lokales Personal bei der Rekrutierung zu bevorzugen in Mauritius. Das ist umso befremdlicher, als die EU behauptet, sie wolle ihren eigenen Service public nicht liberalisieren. Denn das hiesse, dass deren Service public ausländischer Konkurrenz gegenüber geöffnet und letztlich privatisiert werden würde. Kommt dazu, dass viele Länder ihren Service public quersubventionieren um so sicherzustellen, dass die Grundversorgung auch in abgelegenen, «unrentablen» Gebieten gewährt bleibt. Akzeptierten die Entwicklungsländer die Begehren der EU, so wären sie wegen der Sperrklinkenklausel (ratchet clause) fortan ausländischen Anbietern von Dienstleistungen ausgeliefert: Sie könnten Privatisierungen – wenn diese nicht die gewünschten Resultate bringen –   nicht mehr rückgängig machen. Die EU geht aber noch weiter: Sie verlangt von den an TISA beteiligten Entwicklungsländern die Marktöffnung im Detailhandel, im Flugverkehr und Seetransport.

Schweiz will Umwelt- und Informatikdienstleistungen liberalisieren

Und die Schweiz? Sie hat unter Druck der EU in ihrem dritten überarbeiteten Angebot vom 21. Oktober ihren Widerstand in Bezug auf kommunale und kantonale Umweltdienstleistungen und Umweltverträglichkeitsprüfungen aufgegeben. All dies wird der Sperrklinkenklausel unterworfen. 

Dabei hat die Schweiz, wie übrigens auch die EU, immer versichert, TISA werde nicht zu einer Privatisierung des Service public führen. Das neue Schweizer Angebot bedeutet aber nichts anderes, als dass Gemeinden und Kantone in Fragen von Abfall- und Abwasserentsorgung bei zukünftigen Investitionen liberalisieren muss und – wegen der Sperrklinkenklausel – nicht mehr darauf zurückkommen kann. Umweltverträglichkeitsprüfungen müssten neu nicht mehr zwingend an Schweizer Büros vergeben werden.

Der Anhang über Ursprung und Herkunft von Dienstleistungen («Localisation») verbietet eine Reihe von Massnahmen. So darf zum Beispiel ein Land (wie etwa die Schweiz) nicht mehr vorschreiben, wo ein Dienstleistender seinen Wohnsitz hat, dass seine Arbeit mit einer Anwesenheit hierzulande verbunden sein und auf hiesige Befindlichkeiten Rücksicht nehmen muss. Dabei wäre es sinnvoll, solcherlei regulieren zu können, etwa wenn es um KonsumentInnen-, Unternehmens- oder Umweltschutz geht. Aber auch im Hinblick auf die nationale Sicherheit.

In ihrem neuen Angebot hat die Schweiz, auch hier auf Druck der EU, einer vollständigen Liberalisierung von Informationstechnologie-Dienstleistungen zugestimmt – eine Premiere in einem Schweizer Freihandelsabkommen. Sie hat nicht einmal Systeme zur Abwehr von Cyberkriminalität ausgeschlossen, obwohl solche zur nationalen Verteidigung gehören und dieser Passus unbestreitbar ein Gefährdung der eigenen Sicherheit darstellen könnte.   

Geht es darum, die Begehren anderer Staaten zu anerkennen, zeigt sich die EU dagegen sehr zurückhaltend. So hat sie sich gegen die von den USA vorgebrachten «neuen Dienstleistungen» verwahrt, das sind solche, die erst entwickelt werden und darum wenig oder gar nicht reguliert sind. Sollte TISA in Kraft treten und ein teilnehmendes Land hat es versäumt, eine Dienstleistung explizit vom Geltungsbereich auszunehmen – im Fall der Schweiz zum Beispiel etwa Airbnb oder Angebote rund um den Einsatz von Drohnen – so kann es später nicht mehr darauf zurückkommen.

Drohende Liberalisierung von Post, SBB, Swisscom und SRG

Auch wenn die Schweiz in ihrem Angebot klargemacht hat, dass staatsnahe oder Regiebetriebe von der Liberalisierung ausgeschlossen sein sollen, so versteckt sich in den Anhängen des TISA-Vertrags die Gefahr, dass auch die heutige Aufstellung der Post, der SBB, der Swisscom und der SRG keineswegs in Stein gemeisselt ist. Denn auch diese Betriebe sollen den Regeln des Marktes unterworfen werden. Wer sagt, das sei doch heute bereits der Fall – die jüngsten Ankündigungen der Post belegen dies – muss zur Kenntnis nehmen, dass mit TISA dieser Prozess irreversibel wird. Sollte der Bund eines Tages beschliessen, den Service public wieder stärker öffentlich zu steuern, könnte er dies nicht mehr tun.

Andere Anhänge sind genauso beunruhigend. Erwähnt sei jener über die Transparenz, der multinationalen Unternehmen die rechtliche Grundlage gibt, sich über Lobbying in nationale Gesetzgebungsprozesse einzumischen. Entschlösse sich die Schweiz zum Beispiel, genetisch veränderte Organismen definitiv zu verbieten, so hätte Monsanto eine solide Rechtsgrundlage, um dagegen vorzugehen. Sähe der Multi seine Rechte verletzt, könnte er sein Herkunftsland überzeugen, juristisch gegen die Schweiz vorzugehen.

Auch hier liesse sich einwenden, multinationale Firmen seien mit Lobbyisten doch bereits heute in der Schweizer Politik aktiv. Das stimmt zwar, doch TISA gäbe ihnen das Recht, sich auf allen Ebenen des Gesetzgebungs-Prozesses einzumischen, ebenso auf kommunaler wie auf Bundesebene.

EU stellt sich quer gegen freien Datentransfer

Schliesslich ist auch der Anhang über den elektronischen Handel, der den grenzüberschreitenden Transfer persönlicher Daten betrifft, sehr problematisch. Unsere Daten – ob sie Bankgeschäfte, Gesundheit oder Konsumgewohnheiten betreffen – müssten nicht mehr zwingend auf in der Schweiz befindlichen Servern verwaltet werden. Sie könnten von multinationalen Firmen nach deren Gutdünken verwendet und gehandelt werden. Das widerspricht den aktuellen Erfordernissen des Schweizer Daten- bzw. Persönlichkeitsschutzes. Hier legt sich auch die EU vehement quer gegen die Ansprüche der USA. Die Frage ist, wie lange noch?

Kurz, wird TISA unterzeichnet, werden Dienstleistungen im grossen Stil auf den Markt geworfen. Ein spezielles Augenmerk muss dabei auf private Bildungseinrichtungen gerichtet werden. Werden diese ohne Einschränkungen zu Marktbedingungen in Drittländern zugelassen, so werden sich über kurz oder lang Bildungssysteme mit zwei Geschwindigkeiten etablieren. Private Schulen werden zugunsten von öffentlichen ausgebaut werden, die besten Lehrkräfte würden dorthin gehen, wo die Kinder der Bessergestellten ausgebildet werden, die sich das finanziell leisten können. Es gilt sich sehr ernsthaft zu überlegen, ob das ein zukunftsfähiges Modell ist.

1 Chile, Costa Rica, Hong Kong, Mauritius, Kolumbien, Mexiko, Pakistan, Panama, Peru