Artikel teilen
Artikel
Spuckt Indien der Schweiz in die OECD-Suppe?
23.06.2016, Finanzen und Steuern
Hunderte von Anfragen auf Steueramtshilfe aus Indien sind in der Schweiz pendent. Kommt die Schweiz wieder auf eine schwarze Liste? Und was genau war Thema beim Blitzbesuch von Premier Modi?
Heute Morgen empfing Bundespräsident Johann Schneider-Ammann den indischen Premierminister Narendra Modi in Genf zu einem offiziellen Kurzbesuch. Der Wirtschaftsminister soll dabei mit Modi gemäss Mitteilung seines Departementes vor allem über das geplante Freihandelsabkommen zwischen den EFTA-Staaten und Indien gesprochen haben. Weiter soll es auch um finanzpolitische Fragen gegangen sein. Vor allem diese sind im schweizerisch-indischen Verhältnis zurzeit von einiger Brisanz. Indische Medien spekulierten in den letzten Tagen darüber, dass die indische Regierung kurz vor dem Abschluss eines Abkommens zur Aktivierung des automatischen Informationsaustausches über Bankkundendaten (AIA) zwischen den Steuerbehörden der beiden Länder stehen soll. Indien hätte daran ein sehr grosses Interesse, da indische StaatsbürgerInnen gemäss der Schweizerischen Bankiervereinigung bis zu zwei Milliarden Franken auf Schweizer Banken parkiert haben sollen. Davon konnten die indischen Behörden über Steueramnestien bisher erst 500 Millionen nach Indien zurückführen.
In zwei Wochen wird der Schweizer Staatsekretär für internationale Finanzfragen Jacques de Watteville in Indien erwartet. Unter Druck dürfte der Staatssekretär dabei vor allem wegen hunderter hängiger indischer Steueramtshilfegesuchen stehen, welche die Schweizer Steuerverwaltung seit einiger Zeit unbeantwortet lässt. Sie stammen aus den «Swiss Leaks» der Genfer Filiale der britischen HSBC-Bank, die der französische Whistleblower und ehemalige HSBC-Mitarbeiter Hervé Falciani 2015 leakte. Falciani wurde vom Schweizer Bundesstrafgericht mittlerweile wegen Wirtschaftsspionage zu einer fünfjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Die mutmasslichen indischen SteuerhinterzieherInnen mit Konten bei der HSBC kommen dagegen bis jetzt ungeschoren davon.
Die Schweizer Steuerverwaltung darf die indischen Amtshilfeanfragen allerdings bis auf weiteres gar nicht beantworten, da sich der Bundesrat seit dem letzten Herbst weigert, den Entwurf für eine entsprechende Gesetzesänderung zur Ausweitung der Steueramtshilfe auf gestohlene Daten dem Parlament vorzulegen. Bis dieses die Gesetzesänderung abgesegnet hat, bleiben der Steuerverwaltung die Hände gebunden. Der Bundesrat nimmt damit nicht nur ein gestörtes Verhältnis zum wichtigen Handelspartner Indien in Kauf, er setzt auch erneut die internationale Reputation des Schweizer Finanzplatzes aufs Spiel: Denn die Ausweitung der Steueramtshilfe auf geleakte Daten wie den HSBC-Files ist im Sinn des neuen OECD-Standards in der internationalen Steueramtshilfe. Wer die damit verbundenen Kriterien im zweiten Teil des Länderexamens des Global Forums für Steuertransparenz der OECD nicht erfüllt, läuft Gefahr im Examen durchzufallen. Die erste Phase des Länderexamens hat die Schweiz bestanden, zurzeit erstellt das Forum den zweiten Bericht über die Schweiz. Indien könnte gemeinsam mit einem weiteren Mitglied des Forums (etwa Argentinien oder Nigeria) verhindern, dass die Schweiz besteht. Fällt die Schweiz durch, kann sie erneut auf schwarzen Listen der OECD oder der G20-Länder landen.
Dem Vernehmen nach übt Indien im Global Forum tatsächlich massiven Druck auf die Schweiz aus. Soll der Besuch von Staatssekretär de Watteville in New Delhi also ein Erfolg werden, wäre der Bundesrat gut beraten, die Ausweitung der Steueramtshilfe auf gestohlene Daten nun endlich ins Parlament zu schicken.