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Meinung
Selektive Solidarität
03.12.2015, Entwicklungsfinanzierung
Zuerst Terror und aktuell die Klimakonferenz in Paris. Wie ernst ist es der Schweiz mit ihrer Solidarität mit der Welt? GLOBAL+-Editorial von Alliance Sud-Geschäftsleiter Mark Herkenrath.
von Mark Herkenrath, ehemaliger Geschäftsleiter Alliance Sud
Am Abend des 16. November wurde das Bundeshaus in die Farben der Trikolore getaucht. Ein schönes und wichtiges Zeichen der Solidarität mit den Opfern der Pariser Terroranschläge. Aber auch ein Mahnmal der selektiven Wahrnehmung. Wie wäre es, wenn sich Bundesrat und Parlament auch einmal mit Opfern jenseits unserer europäischen Nachbarländer solidarisch zeigten? Das Bundeshaus im Licht der Flagge Malis oder des Libanons? Oder jener Tuvalus, wo der Klimawandel schon jetzt verheerende Folgen zeigt. Wie ernst es der Schweiz mit ihrer Solidarität mit der Welt ist, steht aktuell an der Pariser Klimakonferenz auf dem Prüfstand.
Ein Indikator für die Haltung der Schweiz gegenüber den Benachteiligten dieser Welt ist die Höhe der öffentlichen Entwicklungshilfe. Seit ein paar Wochen ist auf der Website des Aussendepartements EDA nachzulesen, dass sie im Jahr 2014 die vom Parlament beschlossenen 0,5% des Bruttonationaleinkommens (BNE) erreicht hat – es waren sogar 0,51%. Grund zum Jubeln ist das indes nicht. Selbst das EDA zog es vor, das an sich erfreuliche Ergebnis für sich zu behalten und verzichtete vornehm auf eine Medienmitteilung.
Tatsache ist, dass es sich bei einem beträchtlichen Teil der schweizerischen Entwicklungsausgaben um Phantomhilfe handelt. 2014 wurden rund 17% des Aufwandes, den sich die Schweiz als bilaterale öffentliche Entwicklungszusammenarbeit anrechnen lässt, für Hilfe an Asylsuchende im Inland ausgegeben. In anderen Geberländern beträgt der Anteil des Entwicklungsbudgets, der für Asylsuchende im Inland benutzt wird, im Durchschnitt nur 4 bis 5%. Blieben die Asylausgaben, die den Entwicklungsländern so gut wie gar nichts nützen, von der Berechnung ausgeklammert, hätte sich öffentliche Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz 2014 auf gerade einmal 0,44% des Nationaleinkommens belaufen.
Das Schweigen des EDA hat noch einen zweiten Grund: Die Entwicklungsausgaben der Schweiz werden im Rahmen des Budgets 2016 und des Stabilisierungsprogramms 2017-19 bereits wieder massiv reduziert. Sie sollen über die nächsten Jahre hinweg nur noch 0,47% des BNE betragen, inklusive der Hilfe an Asylsuchende. Das widerspricht nicht nur dem Beschluss des Parlaments von 2008, die Schweiz müsse eine Entwicklungshilfequote von 0,5% des BNE erreichen, sondern auch dem langfristigen Interesse der Schweiz an einer stabilen und friedlichen Weltordnung. Bleibt die leise Hoffnung, dass das neugewählte Parlament am 0,5%-Auftrag festhält und sich der bundesrätlichen Bevormundung widersetzt.
Kaum helfen wird dabei allerdings, dass auch Norwegen, Schweden und Finnland in den kommenden Jahren einen wachsenden Teil ihres Entwicklungsbudgets für Inlandhilfe an Asylsuchende einsetzen wollen. Norwegen könnte zukünftig bis zu 21% seines Entwicklungsbudgets für die Betreuung von Asylsuchenden innerhalb der eigenen Landesgrenzen benutzen. Im Unterschied zur Schweiz setzt Norwegen aber nicht nur 0,5%, sondern mehr als 1% seines Nationaleinkommens für die Entwicklungszusammenarbeit ein. Norwegen, Schweden und Finnland könnten bis zur Hälfte ihrer Hilfe für Asylausgaben einsetzen und würden immer noch einen grösseren Teil ihrer Nationaleinkommen für langfristige Entwicklungszusammenarbeit ausgeben als die Schweiz in ihren besten Zeiten.
Dieser Text wurde in der Winterausgabe 2015/16 von GLOBAL+ publiziert.