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Die Alliance Sud-Zeitschrift zu Nord/Süd-Fragen analysiert und kommentiert die Schweizer Aussen- und Entwicklungspolitik. «global» erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden.
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27.03.2023, Entwicklungsfinanzierung
Die im September zur Verwaltung von 3,5 Milliarden USD der afghanischen Zentralbank gegründete Stiftung mit Sitz in Genf geht auf Nummer sicher – und bleibt untätig. Die Schweiz scheint sich der amerikanischen Position anzuschliessen.
Am 14. September kündigte das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) überraschend die Gründung einer Stiftung namens «Fund for Afghan People» in Genf an, die von den USA und der Schweiz unterstützt wird. Trotz des etwas irreführenden Namens handelt es sich um eine Stiftung nach Schweizer Recht zur Verwaltung von Auslandreserven der Zentralbank von Afghanistan (DAB) im Umfang von 3,5 Milliarden USD, die in den USA eingefroren waren. Als die Taliban im August 2021 Kabul zurückeroberten, blockierte Washington die 7 Milliarden USD der afghanischen Zentralbank, die in den USA gelagert sind. Grundlage dafür war ein vom Kongress verabschiedetes Gesetz, das das Einfrieren von Geldern von Staaten ermöglicht, die den Terrorismus unterstützen. Die Hälfte davon wird für die Familien der Opfer des 11. Septembers zurückgehalten; ob diese Summe tatsächlich freigegeben wird, ist unklar. Solange die Beteiligung der Taliban am Anschlag nicht bewiesen ist, dürfte das Geld nicht verfügbar sein.
Bleiben also noch die 3,5 Milliarden, die langfristig an die DAB zurückerstattet werden müssen. Derzeit liegen sie auf einem Konto der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich mit Sitz in Basel. Die Stiftung bzw. der «Afghan Fund» beabsichtigt, die Gelder häppchenweise zurückzugeben. Ihr Zweck ist nicht die Finanzierung humanitärer Hilfe, sondern die Stärkung der makroökonomischen Stabilität Afghanistans, das Drucken neuer Banknoten, das Begleichen von Zahlungsrückständen oder die Finanzierung von Stromimporten. All dies soll es dem Land ermöglichen, seinen Sitz in den internationalen Finanzinstitutionen zu halten und somit humanitäre Hilfe zu erhalten.
Der Stiftungsrat besteht aus vier Personen: auf Schweizer Seite Botschafterin Alexandra Baumann, Leiterin der Abteilung Wohlstand und Nachhaltigkeit des EDA; auf afghanischer Seite zwei Wirtschaftswissenschaftler, Anwar-ul-Haq Ahady, ehemaliger Leiter der DAB und ehemaliger Finanzminister, und Shah Merhabi, Professor am Montgomery College; auf amerikanischer Seite ein Vertreter des Finanzministeriums, Andrew Baukol. Die Entscheidungen werden einstimmig getroffen; wenn eines der vier Mitglieder sich gegen einen Vorschlag ausspricht, geschieht nichts.
Doch die Zeit vergeht und bisher hat Afghanistan noch keinen Cent gesehen. Der Stiftungsrat hielt seine erste Sitzung am 21. November in Genf ab, wo er beschloss, eine externe Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zu beauftragen und einen Exekutivsekretär einzustellen. Es wurden aber keine Auszahlungsbeschlüsse gefasst, und das ist in absehbarer Zeit auch nicht zu erwarten.
Dr. Merhabi, Professor für Wirtschaftswissenschaften, wird langsam ungeduldig. Er erklärte gegenüber der Online-Zeitung «In These Times», dass angesichts der katastrophalen Lage in Afghanistan dringend mindestens 100 Millionen US-Dollar pro Monat benötigt würden, um die Inflation einzudämmen, den Wechselkurs zu stabilisieren und die Importe zu bezahlen. Die USA verlangen jedoch äusserst strenge Garantien: Die DAB muss ihre Unabhängigkeit von politischen Instanzen nachweisen, angemessene Kontrollen gegen Geldwäscherei und Terrorismusbekämpfung durchsetzen und ein externes Audit durchführen.
Was ist die Haltung der Schweiz? Bei einem Treffen mit Alliance Sud im September hatte das EDA versichert, dass die Stiftung völlig transparent verwaltet werde. Vor kurzem bestätigte Alexandra Baumann, dass die Sitzungsprotokolle veröffentlicht werden sollen und dass eine Website im Aufbau sei.
In Bezug auf die Frage, ob der Fonds nicht damit beginnen sollte, das Geld zurückzuzahlen, schliesst sich die Botschafterin voll und ganz der offiziellen Position des Fonds an – und damit augenscheinlich jener der USA. «Der Stiftungsrat verfolgt den Stiftungszweck, der darin besteht, einen Teil der derzeit in den USA blockierten DAB-Gelder zu übernehmen, sie zu schützen, für die Zukunft zu bewahren und teilweise freizugeben. Das langfristige Ziel ist es, die nicht verwendeten Gelder an die DAB zu überweisen», so Baumann. Sie fügte hinzu, dass dies nur dann der Fall sein werde, wenn die DAB glaubhaft nachweisen könne, dass sie unabhängig sei und angemessene Kontrollen eingeführt habe. «Die Stiftung und ihr Stiftungsrat handeln unabhängig nach Schweizer Recht. Ich kann bestätigen, dass ich mich für die oben genannten Ziele einsetze», schloss Alexandra Baumann.
Dennoch beginnt das Thema, die Gemüter der Zivilgesellschaft zu erhitzen. Norah Niland, Vorsitzende des Afghanistan-Task-Teams von United Against Inhumanity (UAI), einer internationalen Bewegung von Persönlichkeiten, die sich gegen Kriegsgräuel einsetzen, sagt: «Es ist sehr beunruhigend, dass der Afghanistan-Fonds untätig bleibt und anscheinend auch nicht daran interessiert ist, die DAB zu rekapitalisieren. Die DAB muss in der Lage sein zu funktionieren, um Liquiditätsprobleme zu lösen und beim Wiederaufbau der zusammengebrochenen Wirtschaft und des Bankensystems zu helfen. Wir stimmen Dr. Mehrabi zu, dass ein relativ kleiner monatlicher Betrag von beispielsweise 150 Mio. USD kontrolliert freigegeben werden sollte, da die Bank Bedenken hinsichtlich der Bekämpfung der Geldwäscherei und der Terrorismusfinanzierung auszuräumen vermag.»
Die erfahrene humanitäre Helferin, die in Afghanistan gearbeitet hat, fügt hinzu, dass humanitäre Massnahmen, so wirksam sie auch sein mögen, kein Ersatz für eine funktionierende Wirtschaft sein können. Und dass die «unmoralische» Beschlagnahmung der afghanischen Auslandsreserven auch jene Afghanen und Afghaninnen kollektiv bestraft, die nicht für die Rückkehr der Taliban nach Kabul verantwortlich sind. «Die UAI zeigt sich sehr besorgt über die wachsende Armut, die Verschuldung, den Verlust von Lebensgrundlagen, den Hunger und den sehr harten Winter, die das Elend des afghanischen Volkes noch verschlimmern und es zu Anpassungsmassnahmen zwingen, die seine Lage weiter verschlechtern.»
Dieser Ansicht ist auch Unfreeze Afghanistan, eine internationale Kampagne von Frauen, die Präsident Joe Biden dazu auffordert, die in den USA blockierten afghanischen Gelder freizugeben. Für Alliance Sud ist der Versuch, zumindest einen Teil der Gelder «in Sicherheit» zu bringen, durchaus lobenswert. Allerdings nur dann, wenn sie im Interesse der afghanischen Bevölkerung verwendet werden können. Da die Bedingungen für eine Rückgabe jedoch fast unmöglich zu erfüllen sind – die DAB war nie unabhängig von der Staatsmacht, auch nicht vor der Übernahme durch die Taliban –, braucht es Flexibilität in den Verhandlungen mit der afghanischen Regierung. Alliance Sud fordert die Schweiz auf, sich mit der gebotenen Vorsicht für eine rasche Rückgabe von genügend Geld an Afghanistan einzusetzen, damit die Wirtschaft im Interesse der Bevölkerung wieder in Gang kommen kann.
Erhard Bauer reiste 14 Jahre lang mehrmals nach Afghanistan, unter anderem unter der ersten Taliban-Regierung. Heute vertritt er die Stiftung Terre des hommes vor Ort. Die Stiftung beschäftigt weiterhin Frauen im Gesundheits- und Bildungswesen und setzt sich dafür ein, alle ihre weiblichen Mitarbeitenden wieder einzustellen. – Interview von Isolda Agazzi
Die Regierung war bereits zusammengebrochen, bevor die USA das Land verliessen. Schon der Beginn ihrer Amtszeit im Jahr 2001 stand unter einem schlechten Stern, da grosse Teile der afghanischen Gesellschaft ausgeschlossen wurden – ein Fehler, der nie korrigiert wurde und auch heute noch kaum offen zugegeben wird. Es ist in Anbetracht der aktuell katastrophalen Situation offensichtlich, dass nach Schuldigen gesucht wird. Klar ist es einfach, mit dem Finger auf eine islamistische Bewegung zu zeigen, die die Macht übernommen hat. Allerdings war die allgemeine Lage schon vor August 2021 desaströs. Im Anschluss daran führten die Sanktionen des Westens und die Einstellung der internationalen Zahlungen an die Regierung zum Zusammenbruch des Finanzsystems und eines Grossteils der Regierungsdienste. Auch wir, die humanitären Organisationen, waren nicht mehr in der Lage, Geld zu überweisen, da Afghanistan vom Swift-System abgekoppelt wurde. Für Geldüberweisungen nutzen wir nun ein «inoffizielles» Bankensystem, mit dem Geld von einem Land in ein anderes transferiert werden kann.
Bereits vor dem Rückzug der USA kontrollierten die Taliban mehr als die Hälfte des Landes. Die als «Erfolg» verbuchte Bildung einer Zivilgesellschaft fand nur in einem Teil des Landes statt. Heute, mit dem Zusammenbruch der Wirtschaft, befinden sich Städte wie Kabul und Herat in der gleichen Situation wie ein Grossteil der Bevölkerung in den letzten 20 Jahren. Sämtliche Fortschritte zugunsten der Stadtbevölkerung und der Mittelschicht wurden auf einen Schlag zunichte gemacht.
Der Handlungsbedarf ist derart immens, dass wir selbst bei einer Aufstockung der humanitären Hilfe nur die dringendsten Bedürfnisse eines Teils der Bevölkerung befriedigen könnten. Afghanistan wird aus dieser massiven Wirtschaftskrise nicht allein durch humanitäre Hilfe herausfinden. Es braucht einen Prozess, in dem alle politischen Kräfte zusammenarbeiten. Ob uns diese Regierung passt oder nicht, ob wir sie als Staatsführung anerkennen oder nicht: Es muss eine Form des Dialogs geben, damit im Interesse der Bevölkerung ein Ausweg aus dieser Situation gefunden wird.
Was dieses Land am Leben erhalten hat ist, dass es noch einen Privatsektor, eine Landwirtschaft, eine wenig Produktion, Importe und Exporte gibt. Die Abschaltung des Bankensystems trifft nicht nur die Taliban, sondern die gesamte Bevölkerung. Die Sanktionen haben auch zu einer hohen Inflation geführt. Vieles wäre ohne sie einfacher. Nach dem Abzug der USA haben viele Menschen das Land verlassen. Die Taliban verfügen nicht über viel Fachwissen in den Bereichen Verwaltung und Management, und dieser «Brain Drain» beschleunigt den Zusammenbruch von Strukturen. Während der ersten Taliban-Regierung (1996– 2001) funktionierte vieles noch, da die Verwaltung grösstenteils mit den verbliebenen Beamten weiterarbeitete.
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