Meinung

Mehr Klimaschutz, weniger Entwicklungshilfe?

18.06.2015, Entwicklungsfinanzierung

Peter Niggli, Alliance Sud-Geschäftsleiter, widerspricht Bafu-Direktor Bruno Oberle: Das Vorhaben, Entwicklungshilfe in Klimazahlungen umzupolen, widerspreche dem Gesetz.

Mehr Klimaschutz, weniger Entwicklungshilfe?

© Daniel Rihs/Alliance Sud

Der Klimawandel kommt teuer zu stehen. Wenn wir ihn nicht bremsen, nehmen Ernteausfälle, Überflutungen tiefgelegener Küstenregionen, Krankheiten, Massenwanderungen und bewaffnete Konflikte um Ressourcen zu. Ihn zu bremsen, kostet ebenfalls. Dazu müssen Energiegewinnungs-, Produktions- und Transportsysteme global auf erneuerbare Energien umgestellt werden – was unter dem Begriff Klimaschutz verstanden wird. Moderate Schätzungen gehen von jährlich 200 Mrd. Dollar aus, welche dafür ab 2020 in Schwellen- und Entwicklungsländern investiert werden müssten. Hinzu kommen 50 Mrd. jährlicher Investitionen, um sich an den Klimawandel anzupassen. Dazu gehören Küstenschutzsysteme gegen den Meeresspiegelanstieg, Veränderungen der Wasserläufe oder Umsiedlungen innerhalb betroffener Länder, um nur ein paar Punkte zu nennen.
Diese 250 Mrd. fallen in den Entwicklungsländern zusätzlich zu dem an, was der weitere Ausbau der Bildungs- und Gesundheitssysteme oder der Infrastruktur kostet. Die Industrieländer versprachen in Kopenhagen 2009, sich an den gesamten Klimakosten mit 100 Mrd. jährlich, also zu 40 Prozent, zu beteiligen. Und zwar zusätzlich zur Entwicklungshilfe von heute 135 Mrd. Unsere Länder könnten diese 100 Mrd. leicht und verursachergerecht generieren, wenn sie die heimischen Treibhausgasemissionen preislich mehr belasten, als sie es ohnehin tun müssen, wenn sie den eigenen Klimaschutz vorantreiben. Vom Willen, die dazu nötigen politischen und gesetzlichen Vorkehrungen zu treffen, ist in vielen Industrieländern, auch in der Schweiz, aber wenig zu spüren. Das zeigt exemplarisch das Interview mit Bruno Oberle, dem obersten Umweltschützer der Schweiz.
Oberle behauptet apodiktisch, es sei politisch schon entschieden, dass der Klimabeitrag der Schweiz aus dem Entwicklungsbudget finanziert werde. Da dieses auf 0,5 Prozent erhöht worden sei, handle es sich um «neues, zusätzliches» Geld. Das widerspricht den internationalen Vereinbarungen. Schon bisher nahmen die Schweiz und andere westliche Länder ihre homöopathisch dosierten Klimabeiträge aus dem Entwicklungsbudget. Ab 2020 geht es aber um mehrere hundert Mio. Franken jährlich zulasten der Entwicklungsaufgaben von Deza und Seco. Für Oberle ist das kein Problem. Die Prioritäten der Entwicklungshilfe seien ständigem Modewandel unterworfen. Habe man sich früher auf Gender oder Dezentralisierung konzentriert, müsse man sich nun eben auf Klima ausrichten. Das nütze den Armen auch. Klima kann man aber so wenig essen, wie man genug zu essen kriegt, wenn der Klimawandel völlig aus dem Ruder läuft. Ceterum censeo: Oberles Vorhaben widerspricht dem Entwicklungshilfegesetz.

Editorial zu GLOBAL+ Nr 58, Sommer 2015