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Konzernlobby spielt Steuerfranken-Versenkis
03.10.2022, Finanzen und Steuern
Was der Bundesrat und die Konzernlobbies als harmlose Förderung der Schweizer Schifffahrtsindustrie verkaufen, könnte zum grossen Steuerschlupfloch für die Schweizer Rohstoffkonzerne werden und die neue OECD-Mindeststeuer unterlaufen.
Aus der Perspektive der FreundInnnen der Schweizer Tiefsteuerpolitik kamen die RohstoffhändlerInnen in der Schweiz in den letzten Jahren etwas zu kurz. Im Rahmen der letzten Unternehmenssteuerreform von 2019 (Steuerreform und AHV-Finanzierung STAF) schuf der Bund die alten Steuerprivilegien für Holdings und gemischte Gesellschaften ab (Schweizer Firmen konnten damit im Ausland erwirtschaftete Gewinne zum Nulltarif versteuern), von denen die Rohstoffkonzerne in der Vergangenheit stark profitiert hatten. Während die bürgerliche Mehrheit in Bundesbern für Pharma- oder Konsumgüterkonzerne neue auf diese Branchen zugeschnittene Spezialrabatte als Ausgleich für die alten Privilegien schufen, ging die Rohstoffbranche leer aus.
Das soll nun nachgeholt werden: mit der sogenannten «Tonnage Tax». Zwar geht es dabei vordergründig nur um eine Steuererleichterung für Schweizer Reeder, doch zwischen diesen und den Rohstoffhändlern bestehen enge Verbindungen, wie auch der Bundesrat in der Botschaft zur Tonnage Tax festhält. Ausserdem gilt schon heute: Wenn ein Rohstoffhändler seiner konzerninternen Schifffahrtsgesellschaft überteuerte Frachttarife zugesteht − was in der Praxis nicht aufgedeckt werden kann −, können Gewinne in anderen Gesellschaften derselben Gruppe reduziert und damit Steuerzahlungen vermieden werden.
Wiedergeburt eines bereits abgeschriebenen Konzepts
Bei der letzten Unternehmenssteuerreform strich der Bundesrat die Steuer noch vom Menü, vor allem wegen verfassungsrechtlicher Bedenken. Mit der Tonnage Tax sollen Schiffe nicht mehr nach dem Gewinn besteuert werden, die ihre Betreiber mit ihnen erwirtschaften, sondern nach dem Frachtvolumen. Anschliessend soll der so ermittelte «Reingewinn» aus der Schifffahrt den übrigen Gewinnen aus anderen Tätigkeitsbereichen einer Firma angerechnet werden. Weil hier bestimmte Unternehmen grundsätzlich anders als gemäss der ordentlichen Gewinnsteuer besteuert werden sollen, zweifelte der Bundesrat damals an der Vereinbarkeit mit dem Verfassungsgrundsatz der Besteuerung nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und gab dazu zwei Rechtsgutachten in Auftrag.
Diese kamen 2015 zu gegenteiligen Schlüssen: Während Robert Danon aus Lausanne zu einer negativen Einschätzung kam, bestätigte Xavier Oberson aus Genf die Verfassungsmässigkeit. Beide Rechtsprofessoren verfügen übrigens auch über lukrative Mandate bei Wirtschaftskanzleien, die die Steuern für Unternehmen optimieren. Der entscheidende Unterschied zwischen den beiden Gutachten ist, dass Oberson die Seeschifffahrt im Gegensatz zu Danon als in der Schweiz in ihrer Existenz gefährdet beurteilt und somit gemäss Art. 103 BV die Einführung dieser Pauschalbesteuerung als strukturpolitische Massnahme gerechtfertigt sieht.
Das ist angesichts der enormen Bedeutung der Schifffahrt für die Weltwirtschaft und ihrer engen Verzahnung mit den Rohstoffhändlern – sie gehören zu den grössten und profitabelsten Unternehmen in der Schweiz – eine recht bizarre Aussage. Dem Bundesrat war die Sache damals zu heiss, heute hat er die Zweifel offenbar überwunden, ohne dass sich an der verfassungsrechtlichen Ausgangslage etwas geändert hätte.
Neben den Zweifeln an ihrer Verfassungsmässigkeit birgt die Gesetzesvorlage noch zwei weitere wesentliche Probleme:
- Das Besteuerungsniveau: Es würde sich im Vergleich mit den ordentlichen Gewinnsteuersätzen in allen Schweizer Kantonen stark reduzieren. Wie die Rechtsgelehrten Mark Pieth und Kathrin Betz in ihrem neuen Buch zur Reederei-Branche in der Schweiz zeigen, resultiert mit der Einführung der Tonnage Tax ein durchschnittlicher effektiver Gewinnsteuersatz von ca. 7%. Das liegt deutlich unter den 11%, die der Rohstoff-Hub Zug als steuergünstigster Kanton Glencore und anderen Konzernen gewährt. Der Bundesrat will ausserdem zusätzliche Steuerermässigungen erlauben, je umweltfreundlicher die Antriebssysteme der Schiffe sind. Wird die maximale Veranlagung von 20 Prozent gewährt, kann die durchschnittliche Besteuerung bis auf 5,6 Prozentpunkte sinken. Besonders stossend dabei ist, dass der Bundesrat die mit der Tonnage Tax besteuerten Gewinne aus der neuen OECD-Mindeststeuer ausnehmen will, die garantieren soll, dass multinationale Konzerne in der Schweiz mit mindestens 15% besteuert werden. Die Einführung einer Tonnage Tax unterläuft also die internationalen Bestrebungen, das «Race to the bottom» bei den Unternehmenssteuern auf einem ohnehin schon tiefen Punkt zu bremsen.
- Fehlende Umwelt- und Sozialstandards auf den Schiffen: Der Bundesrat und bis jetzt auch die Wirtschaftskommission des Nationalrates (letztere wird das Geschäft voraussichtlich erst Mitte November fertig beraten) wollen das neue Steuerprivileg nicht an ein sogenanntes Flaggenerfordernis knüpfen. Ein Flaggenerfordernis würde bedeuten, dass Schifffahrtsgesellschaften nur bei jenen Schiffen von der Tonnage Tax profitieren könnten, die unter Schweizer Flagge oder einer Flagge aus dem EWR-Raum (EU-Länder plus Island, Norwegen und Liechtenstein) fahren. Damit würde für die Reeder ein Anreiz geschaffen, ihre Schiffe nicht in sogenannte Billigflaggenländer auszulagern, die der Schifffahrtsindustrie als fast rechtsfreie Räume dienen, in denen sie kaum staatliche Vorgaben für ihr Geschäft erfüllen müssen. Bei Schiffen unter Schweizer Flagge könnte die Schweiz die Reeder entsprechend zu besseren Umwelt- und Arbeitsstandards verpflichten. Nach Einschätzung von Pieth/Betz hätte «die Tonnagesteuer, so problematisch sie sein mag, [..] immerhin indirekte Vorteile: Wer mindestens 60 Prozent der Flotte im EWRRaum oder in der Schweiz einflaggen müsste, würde unter Umständen den Regeln der EU gegen die wilde Verschrottung in Südasien unterworfen werden». Allerdings zeigt die Diskussion um Konzernverantwortung in der Schweiz auch, dass der Wille zu höheren Standards im Bereich von Wirtschaft und Menschenrechten bei der bürgerlichen Mehrheit in Bundesbern äusserst bescheiden ist.
Verfassungsrechtlich bedenklich, die OECD-Mindeststeuer unterlaufend und frei von Sozial- und Umweltstandards: In jener Version, wie die Tonnage Tax zurzeit in der Wirtschaftskommission des Nationalrates behandelt wird, würde ihre Einführung dem zweifelhaften Ruf der Schweiz als Steuerparadies für Konzerne alle Ehre machen. Profitieren würden davon zudem ausgerechnet jene Konzerne, denen Krieg und Energiekrise Rekordgewinne in die Kassen spülen: So machte Glencore aus dem zugerischen Baar – nach Vitol (sitzt auch in der Schweiz) die zweitgrösste Ölhändlerin der Welt – im ersten Halbjahr 22 einen Rekordgewinn von 12 Milliarden US-Dollar. Statt ausgerechnet diesen KriegsgewinnlerInnen zusätzliche Steuerdumpingmöglichkeiten zu verschaffen, sollten National- und Ständerat diese Kriegsgewinne mit einer Übergewinnsteuer abschöpfen und in die Bekämpfung der globalen Vielfachkrise stecken.