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JA zur Konzernverantwortungsinitiative

04.04.2019, Internationale Zusammenarbeit,

Was passiert, wenn Multis aus der Schweiz im Süden Menschenrechtsverletzungen begehen und Umweltschäden anrichten? Oft gar nichts. Die Konzernverantwortungsinitiative will das ändern.

Laurent Matile
Laurent Matile

Experte für Unternehmen und Entwicklung

JA zur Konzernverantwortungsinitiative

Kein Land hat mehr multinationale Konzerne pro Kopf als die Schweiz. Verschiedene Unternehmen mit ihrem Sitz hierzulande sind wiederholt bei der Verletzung von Menschenrechten oder Umweltstandards in den Ländern des Südens ertappt worden. Glencore vertreibt Bauern mit Steinen, die um ihre Landrechte kämpfen, Lafarge Holcim schert sich nicht um Gewerkschaftsrechte, Schweizer Raffinerien schmelzen Gold, das aus höchst dubiosen Quellen stammt. Die Konzernzentralen in der Schweiz sind jedoch juristisch nicht haftbar für die Geschäftspraktiken ihrer Tochterfirmen oder anderer Firmen, die unter ihrer Kontrolle stehen.

Während sich die die Schweiz auf internationaler Ebene für die Weiterentwicklung der Menschenrechte und von Umweltstandards einsetzt, sträubt sie sich im eigenen Land gegen gesetzliche Massnahmen zur Regulierung von Unternehmen. Der Bundesrat setzt stattdessen auf freiwillige Initiativen der Unternehmen.

Vorgeschichte der Volksinitiative

Initiiert von einer Handvoll Organisationen – darunter Alliance Sud – und unterstützt von rund 50 Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften wurde im November 2011 die Kampagne «Recht ohne Grenzen» lanciert. Bis Mitte 2012 unterzeichneten 135‘000 Personen eine Petition, die von Bundesrat und Parlament verlangte, ein Gesetz auszuarbeiten, wonach Firmen, die ihren Sitz in der Schweiz haben, überall in der Welt die Menschenrechte und Umweltstandards respektieren müssen. Im Schweizerischen Recht sollte eine Sorgfaltsprüfungspflicht für Firmen in Bezug auf die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards eingeführt werden, und diese sollte auch für ihre weltweit operierenden Tochtergesellschaften gelten (Prävention). Andererseits sollten die Hürden abgebaut werden, die verhindern, dass Opfer in der Schweiz auf Schadenersatz klagen können (Wiedergutmachung).

Ruggie-Strategie für die Schweiz

Parallel zur Einreichung der Petition reichten fünf Abgeordnete parlamentarische Vorstösse ein, darunter im Juni 2012 ein Postulat (12.3503), das vom Bundesrat verlangt, eine Ruggie-Strategie für die Schweiz auszuarbeiten, das heisst einen nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der Uno-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte vorzulegen, wie sie der Uno-Menschenrechtsrat im Juni 2011 einstimmig angenommen hatte. Am 14. Dezember 2012 wurde das Postulat durch den Nationalrat knapp angenommen, die Veröffentlichung dieses Nationalen Aktionsplans für Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) verzögerte sich jedoch bis im Dezember 2016. Der NAP des Bundesrats schlug keine neuen, rechtlich  verbindlichen Massnahmen vor, stattdessen wiederholte er, dass es der Corporate Social Responsability (CSR) der Unternehmen obläge, für die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards zu sorgen.

Am 11. März 2015 hätte die Koalition «Recht ohne Grenzen» beinahe einen wichtigen Etappensieg errungen. Nach einer tumultuösen Debatte entschied der Nationalrat hauchdünn mit dem Stichentscheid des Präsidenten, eine Motion seiner aussenpolitischen Kommission zu unterstützen und einen Gesetzesentwurf zur Sorgfaltsprüfungspflicht zu verlangen. Nach einem Rückkommensantrag aus der CVP wurde ein zweites Mal abgestimmt. Verschiedene Abgeordnete änderten darauf ihre Meinung oder blieben der Abstimmung fern.

Lancierung einer Volksinitiative

Nach diesem Manöver des Nationalrats entschieden mehr als 60 NGO, die Konzernverantwortungsinitiative zu lancieren. Wie bei der Kampagne «Recht ohne Grenzen», wo Alliance Sud das Parlamentslobbying koordiniert hatte, spielte sie auch bei der Lancierung der Initiative eine zentrale Rolle. Ihr Geschäftsleiter ist Mitglied des Initiativkomitees sowie des leitenden Gremiums des neu gegründeten Vereins, der die Initiative koordiniert. Am 10. Oktober 2016 wurde die Volksinitiative für verantwortungsvolle Unternehmen zum Schutz von Mensch und Umwelt mit über 120‘000 gültigen Unterschriften eingereicht. Am 11. Januar 2017 empfiehlt der Bundesrat dem Parlament, die Volksinitiative ohne Gegenvorschlag abzulehnen. In seiner Botschaft zur Initiative vom 15. September 2017 erkannte der Bundesrat zwar die Anliegen der InitiantInnen als berechtigt, begründete seine Ablehnung aber damit, dass die Initiative bei den Haftungsregeln viel zu weit ginge.

Nationalrat will Gegenvorschlag, Ständerat legt sich quer

Anders als die Regierung sprachen sich die Rechtskommissionen des Ständerats (am 14. November 2017) und des Nationalrats (20. April 2018) deutlich für die Erarbeitung eines Gegenvorschlags aus. Der Nationalrat folgte seiner Kommission am 14. Juni 2018 und verabschiedete einen Gesetzesentwurf als indirekten Gegenvorschlag zur Initiative. Das Initiativkomitee stellte darauf in Aussicht, es ziehe das Volksbegehren zurück, wenn der Vorschlag im Ständerat nicht verwässert würde. Ohne den Umweg über eine Verfassungsänderung per Volksinitiative könnten gesetzliche Regelungen viel schneller in Kraft treten, was im Interesse der Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen sei.

Mit einer 22:20-Mehrheit entschied der Ständerat weder auf den Gegenvorschlag der Grossen Kammer einzugehen noch auf den verwässerten Gegenvorschlag der eigenen vorberatenden Kommissionin. Das harte Lobbying von econoomiesuisse und Swissholdings hatte seine Wirkung nicht verfehlt.

Am 13. Juni 2019 bekräftigte der Nationalrat mit 109 zu 69 Stimmen (7 Enthaltungen), dass er einen indirekten Gegenvorschlag zur Initiative will. Bevor das Geschäft erneut im Ständerat diskutiert wurde, kam der Bundesrat Mitte August auf seine Position zurück, die Initiative ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung zu empfehlen. Justizministerin Karin Keller-Sutter schlug vor, dass sich die Schweiz mit einer Berichtspflicht für Unternehmen begnügen soll. Unter dem Vorwand, diesen Vorschlag des Bundesrats noch prüfen zu wollen, vertagte der Ständerat am 26. September 2019 seinen Entscheid über den indirekten Vorschlag des Nationalrats.

Am 18. Dezember 2019 hat der Ständerat mit klarer Mehrheit entschieden, dass er dem Alibi-Vorschlag des Bundesrats den Vorzug gilt. Damit steht praktisch fest, dass es voraussichtlich im Herbst 2020 zur Volksabstimmung kommen wird. 

Rund 120 NGOs aus allen Bereichen der Zivilgesellschaft (Menschenrechts-, Naturschutz-, Konsumenten- und Entwicklungsorganisationen, kirchliche Kreise und Gewerkschaften) werden das Volksbegehren der Initiative zusammen mit einem Wirtschaftskomitee aus über 160 Unternehmer/innen und über 120 Politiker/innen aus BDP, CVP, EVP, GLP, FDP und SVP im «Bürgerlichen Komitee für Konzernverantwortung» unterstützen. 300 Lokalkomitees mit Tausenden Freiwilligen werden helfen, die Anliegen der Initiative in die Bevölkerung zu tragen.
In einer unabhängigen Umfragen werden der Initiative an der Urne gute Chancen eingeräumt, eine Mehrheit der Schweizer Stimmberechtigten hinter sich zu vereinen.

Langwieriger Prozess

Der Kampf um eine gesetzliche Regelung der Unternehmensverantwortung hat zu einer Reihe von politischen Vorstössen und Berichten geführt, die wichtigsten sind hier aufgelistet.

  • Am 13. März 2013 überwies der Nationalrat ein Postulat (Po. 12.3980), das vom Bundesrat einen «rechtsvergleichenden Bericht zur Sorgfaltsprüfung bezüglich Menschenrechten und Umwelt im Zusammenhang mit den Auslandaktivitäten von Schweizer Konzernen» verlangte. Die Sorgfaltsprüfungspflicht steht im Zentrum der Uno-Leitprinzipien. Sie sieht vor, dass Unternehmen Menschenrechtsrisiken identifizieren, Massnahmen dagegen ergreifen sowie transparent darüber Bericht erstatten.
  • Der rechtsvergleichende Bericht wurde am 28. Mai 2014 veröffentlicht. Der Bundesrat anerkennt darin, dass es Handlungsbedarf gibt und die gesetzliche Verankerung einer Sorgfaltsprüfungsflicht vorstellbar sei. Auch anerkennt er, dass die Schweiz für «die Einhaltung der Menschenrechte und den Umweltschutz, namentlich auch in Ländern mit ungenügender Rechtsstaatlichkeit, eine grosse Verantwortung trage.»
  • Als Folge des rechtsvergleichenden Berichts verabschiedete die aussenpolitische Kommission des Nationalrats am 2. September 2014 eine Motion (14.3671), welche einen Gesetzesentwurf zur Sorgfaltsprüfungspflicht verlangt. Im Nationalrat wurde diese Motion in einer denkwürdigen Debatte abgelehnt, worauf die Volksinitiative lanciert wurde (siehe oben).
  • In Bezug auf die Wiedergutmachungs-Achse der Petition «Recht ohne Grenzen» stimmte der Ständerat am 26. November 2014 einem Postulat (14.3663) zu, das einen vergleichenden Bericht verlangt über den Zugang zu Wiedergutmachung für Opfer von Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen. Der Bundesrat wurde beauftragt, zu analysieren, wie dem dritten Pfeiler der Uno-Leitprinzipien (das Recht auf Wiedergutmachung) in der Schweizer Gesetzgebung Rechnung getragen werden könnte.
  • Am 14. September 2018 legte der Bundesrat seinen Bericht zur Wiedergutmachung vor. Für die Petitionäre fiel er enttäuschend aus. Der Bundesrat stellt eine unbestimmte Weiterentwicklung des Nationalen Kontaktpunkts (NKP) zur Umsetzung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen als universelle Patentlösung dar. Alliance Sud und andere NGO hatten die ungenügende Ausstattung des Schweizer NKP bereits bei früherer Gelegenheit kritisiert («Wenn Dialog an Grenzen stösst»).
  • Am 14. Dezember 2018 legte der Bundesrat dar, wie die Schweiz den Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte umsetzt. Obwohl selbst eine vom Bundesrat in Auftrag gegebene Studie zum Schluss kommt, dass die seit Dezember 2016 durch den Bund eingeleiteten Massnahmen zur Umsetzung des NAP die Unternehmen nicht oder nur ungenügend erreicht habe, blieb der Bundesrat bei seiner Haltung, dass Menschenrechte und Umweltstandards auf freiwilliger Basis einzuhalten seien.