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Glencore klagt wegen Cerrejón-Mine gegen Kolumbien

22.03.2022, Handel und Investitionen

Kaum ist die Ankündigung verhallt, aus den fossilen Energien aussteigen zu wollen, ist Glencore zum alleinigen Eigentümer des grössten Kohletagebaus in Lateinamerika geworden. Er zieht sogar gegen den kolumbianischen Staat vor Gericht.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

Glencore klagt wegen Cerrejón-Mine gegen Kolumbien

Der Arroyo Bruno, ein Nebenarm eines sehr wichtigen Flusses in La Guajira, wurde zur Intensivierung der Kohleförderung im Steinbruch La Puente umgeleitet.
© Colectivo de Abogados José Alvear Restrepo (CAJAR)

Am 11. Januar gab Glencore, der weltweit grösste Exporteur von Kraftwerkskohle, den Kauf der Anteile von BHP und Anglo American an «Carbones del Cerrejón» bekannt, dem grössten Kohletagebau Lateinamerikas und einem der grössten der Welt. Der Rohstoffmulti aus der Schweiz machte ein Schnäppchen: Dank der gestiegenen Nachfrage und dem entsprechend hohen Kohlepreis wurde Glencore für nur 101 Millionen USD zum alleinigen Eigentümer von Carbones del Cerrejón. Die beiden anderen Unternehmen verkauften ihre Anteile auf Druck ihres Aktionariats, das sie dazu drängte, zur Bekämpfung der Klimakrise aus der umweltschädlichsten fossilen Energie auszusteigen. Glencore hingegen hat diesbezüglich keinerlei Skrupel, obwohl das Unternehmen sich verpflichtet hat, seinen Gesamtfussabdruck bis 2026 um 15%, bis 2035 um 50% und bis 2050 auf einen Betrieb mit Nullemissionen zu reduzieren.

«Die Cerrejón-Kohlemine ist schon seit so vielen Jahren in Betrieb – der Abbau begann 1985 –, dass der Machtmissbrauch und die Asymmetrie zwischen den Eigentümern, den Gemeinschaften und dem Staat umfassend dokumentiert sind. Insbesondere wurden schwere Menschenrechtsverletzungen an afro-indigenen Gemeinschaften begangen, allen voran den Wayúu», erklärt Rosa María Mateus von CAJAR, einem kolumbianischen Anwaltskollektiv, das sich seit vierzig Jahren für die Menschenrechte einsetzt.  

«Carbones del Cerrejón wurde bereits in mehr als sieben Gerichtsverfahren verurteilt», fährt sie fort. «Die Sanktionen wurden jedoch nie vollstreckt, da das Unternehmen von der extremen Armut in diesen Gemeinschaften profitiert. La Guajira, wo sich die Mine befindet, ist das zweitkorrupteste Departament Kolumbiens. Die Kinder verhungern und verdursten; das Unternehmen nutzt die Situation aus und offeriert Entschädigungszahlungen, die in den Augen der Gemeinschaften ein Hohn sind. Wir müssen das Wirtschaftsmodell ändern und aus der Kohle aussteigen, um die Klimakrise zu bewältigen, unter der die Menschen in La Guajira am meisten leiden.»

Umleitung des Arroyo Bruno vom Verfassungsgericht als unzulässig erklärt

Eines der erwähnten Urteile betrifft den Arroyo Bruno, einen Nebenarm eines sehr wichtigen Flusses in La Guajira, der zur Intensivierung der Kohleförderung im Steinbruch La Puente umgeleitet wurde. Dieser Fluss ist von tropischem Trockenwald umgeben, einem stark bedrohten Ökosystem. 2017 entschied das kolumbianische Verfassungsgericht, dass bei der Genehmigung des intensivierten Kohleabbaus gewichtige soziale und ökologische Auswirkungen auf die Rechte der lokalen Gemeinschaften nicht berücksichtigt worden waren. Eine wesentliche Rolle spielte dabei, dass die unter akutem Wassermangel leidende Region besonders für den Klimawandel anfällig ist.

Das Gericht ordnete das Einstellen der Arbeiten und eine neue Folgenabschätzung an, damit die Vereinbarkeit des intensivierten Tagebaus mit dem Schutz der Rechte der Gemeinschaften beurteilt werden kann. Als Vergeltungsmassnahme verklagte Glencore Kolumbien vor dem ICSID, dem Schiedsgericht der Weltbank, und berief sich dabei auf die Nichteinhaltung des Investitionsschutzabkommens zwischen Kolumbien und der Schweiz. In seiner Klage macht der multinationale Konzern geltend, dass die Entscheidung des kolumbianischen Gerichts über den Flusslauf des Arroyo Bruno, die eine Ausweitung des Bergbaus verhinderte, eine «unvernünftige, inkohärente und diskriminierende Massnahme» sei. Bisher wurde eine Schiedsperson ernannt; mehr ist jedoch heute noch nicht bekannt, auch nicht bezüglich der von Glencore geforderten Entschädigungszahlung.

«Es ist unverschämt, dass sie für den Schaden, den sie selbst verursacht haben, entschädigt werden wollen», empört sich Rosa María Mateus. «Der Konzern behauptet, eine umweltfreundliche Politik zu verfolgen und Bäume zu pflanzen; wie wir feststellen mussten, ist das alles gelogen. Es hält sich nicht an die Umweltstandards und schafft es nicht einmal, auch nur ein Mindestmass der verursachten Schäden zu beheben. Wir konnten die Verschmutzung von Wasser und Luft und die negativen Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung nachweisen. Das sind sehr schwerwiegende Verstösse, zumal in Europa von Dekarbonisierung gesprochen wird und davon, die Kohle im Boden zu lassen.»

Mögliche Einsetzung eines Amicus Curiae

Was kann CAJAR also tun? Rosa María Mateus gibt zu, dass die Handlungsmöglichkeiten begrenzt sind. Die einzige Option nennt sich Amicus Curiae und ist eine schriftliche Eingabe, die der Stimme der Gemeinschaften Gehör verschaffen kann; allerdings muss sie vom Gericht genehmigt werden. Laut Mateus bietet das Gericht jedoch keine Garantien für die Opfer, da es sich um eine Art Privatjustiz handle, die zum Schutz grosser Unternehmen geschaffen wurde.  

«Wir werden es dennoch versuchen und haben gerade damit begonnen, die Argumente der Gemeinschaften zu sammeln. Anschliessend wollen wir das Amicus Curiae an befreundete Organisationen wie Alliance Sud weiterleiten, damit diese uns helfen, die Situation publik zu machen. Unternehmen haben eine grosse Medienmacht; es sind ihre eigenen Wahrheiten, die veröffentlicht werden, nicht die Tragödien der Opfer. Glencore hat in Kolumbien im grossen Stil Rohstoffe abgebaut, obwohl die Wirtschaft des Landes sehr schwach ist. Das Unternehmen stellt eine Bedrohung für die Souveränität des Staates und vor allem für die Gerichte dar, deren Zuständigkeit es anzweifelt und damit koloniale Praktiken wiederaufleben lässt.»

Dritte Klage von Glencore gegen Kolumbien
Kolumbien ist laut der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) mit einer Flut von 17 Klagen konfrontiert, wobei die letzte Klage von Glencore nicht einmal mitgezählt ist. Der Schweizer Konzern hatte 2016 erstmals einen Vertrag über die Kohlemine Prodeco angefochten und erhielt 19 Millionen USD an Entschädigungszahlungen.  

Solche Klagen werden von einem Gericht beurteilt, das aus drei Schiedspersonen besteht, wovon eine vom ausländischen multinationalen Unternehmen, eine vom angeklagten Land und die dritte von beiden Parteien ernannt werden. Die Gerichte können Amicus Curiae zulassen, d.h. meist schriftliche Eingaben, die in der Regel die Ansichten der betroffenen Gemeinschaften darlegen und von NGOs eingereicht werden. Bisher wurden 85 Amicus-Curiae-Anträge eingereicht, von denen 56 zugelassen wurden. Das Investitionsschutzabkommen mit Kolumbien, auf das sich die Klage von Glencore stützt, sieht die Möglichkeit eines Amicus Curiae nicht vor. Das Abkommen wird neu verhandelt und Alliance Sud fordert, die Möglichkeit des Amicus Curiae ins neue Abkommen aufzunehmen, obwohl dies für das hängige Verfahren keine Relevanz hat.

Anwältin Rosa María Mateus wird Ende April / Anfangs Mai in der Schweiz sein, um über diesen Fall zu berichten.

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© Rosa María Mateus
«Die Kinder verhungern und verdursten; das Unternehmen nutzt die Situation aus und offeriert Entschädigungszahlungen, die in den Augen der Gemeinschaften ein Hohn sind. Wir müssen das Wirtschaftsmodell ändern und aus der Kohle aussteigen, um die Klimakrise zu bewältigen, unter der die Menschen in La Guajira am meisten leiden.»