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Die GipfeltouristInnen von Rom

03.11.2021, Finanzen und Steuern

Ohne Steuer- keine Klimagerechtigkeit: Die neue «globale» Mindeststeuer der OECD und der G20 verteilt Reichtum ganz in der Tradition der (post-)kolonialen Welt zu Gunsten des globalen Nordens und verschärft damit die globale Ungleichheit.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

Die GipfeltouristInnen von Rom

Das Brunnenwasser der Fontana di Trevi mit seinen zahlreichen Münzen.
© Wolfgang Dirscherl / pixelio.de

Am Ende warfen die Regierungschefs der G20-Länder ein paar Münzen in den Trevi-Brunnen in Rom; so wie es fast alle TouristInnen tun, wenn sie die Ewige Stadt besuchen. Und angesichts der klima-, steuer- und pandemiepolitischen Ergebnisse, die dieser Gipfel zeitigte, lag in diesem Augenblick der Eindruck nahe, dass auch die Mächtigsten der Welt im Grund nichts anderes sind als TouristInnen: Menschen ohne grossen Willen zur aktiven Mitgestaltung der Welt, aber sehr wohl mit dem Anspruch, dass diese Welt es mit einem gut meine, während man sich an ihr zu bereichern versucht. Also Münze in den Brunnen!

«Why don’t you come on back to the war, don’t be a tourist», heisst es in einem Song von Leonard Cohen. Der «Krieg» wäre im Fall des G20-Gipfels in Rom − von der Pandemie einmal abgesehen − der Kampf gegen die Klimakrise und das ungerechte globale Steuersystem für multinationale Konzerne gewesen. Unmittelbar vor der diese Woche angelaufenen Klimakonferenz in Glasgow (COP26) wäre der Gipfel eine ausgezeichnete Gelegenheit gewesen, dass auch die höchste politische Ebene beginnt, diese drei grossen weltpolitischen Herausforderungen der Gegenwart zusammen zu denken – weit gefehlt.

Nutzlose Konzernsteuerreform der OECD und der G20

Exemplarisch zeigt sich das bei der Konzernsteuerreform, die etwas über 120 Länder im Rahmen der OECD unter Ausschluss vieler afrikanischer Länder verhandelt haben und in Rom nun in den wesentlichsten Punkten auch von den G20-Ländern abgesegnet wurde: Was von US-Präsident Biden oder dem designierten deutschen Bundeskanzler Scholz als «historisches Abkommen» gefeiert wird und von vielen Medien auch in der Schweiz völlig unkritisch als «globale Steuerrevolution» weitertransportiert wird, ist bei Lichte besehen auch nicht mehr als ein von einer Münze ausgelöster Wellenschlag.

Darin geht es einerseits um die Umverteilung von Konzerngewinnen von den Sitzstaaten in die Marktländer der Konzerne (Säule 1) und andererseits um die Einführung einer effektiven Mindeststeuer für grosse multinationale Konzerne (Säule 2). «BEPS 2.0» (Base Erosion and Profit Shifting) ist aus entwicklungspolitischer Sicht hauptsächlich aus zwei Gründen mangelhaft. Erstens sind die gesamte Rohstoffindustrie und der Finanzsektor aus technischen Gründen von der ersten Säule ausgenommen. Länder im globalen Süden, die stark vom Rohstoffabbau abhängig sind, werden also keine zusätzlichen Rechte zur Besteuerung von Gewinnen der Rohstoffindustrie erhalten. Ausserdem wird mit der Säule 1 nur ein sehr kleiner Teil der Gewinne überhaupt umverteilt. Und das nur in Konzernen, die einen Jahresumsatz von 20 Milliarden Dollar und eine Gewinnquote von über 10 Prozent ausweisen. Global sind davon nur etwa 100 Konzerne betroffen, in der Schweiz mutmasslich nur die Giganten Novartis, Roche, Nestlé und Schindler. Von dieser Umverteilung profitieren werden hauptsächlich reiche Länder mit grossen Binnenmärkten wie die USA oder Deutschland. Zweitens ist der vorgesehene Mindeststeuersatz von 15 Prozent in der Säule 2 viel zu tief angesetzt und kann nur vom Land angewendet werden, in dem der jeweilige Konzern seinen Hauptsitz hat; und auch dort nur, wenn dieser Konzern einen Jahresumsatz von über 750 Millionen Euro ausweist.

Die Entwicklungsländer gehen leer aus

Ländern mit tiefen und mittleren Einkommen im unteren Bereich («lower middle income countries») entgehen gemäss einer Berechnung der Ökonomen Petr Janský und Miroslav Palanský (2019) durch Gewinnverschiebungen multinationaler Konzerne des globalen Nordens jährlich Steuereinnahmen in der Höhe von 30 Milliarden Dollar – ausnahmslos alle diese Länder befinden sich auf der Südhalbkugel. Diese für arme Länder exorbitante Summe ist auch klimapolitisch höchst relevant: Sie entspricht dem Sechsfachen dessen, was die internationale Staatengemeinschaft im Rahmen des «Green Climate Fund» (GCF) an finanziellen Ressourcen für die Anpassung an den Klimawandel in den Entwicklungsländern in den Jahren 2020-2023 versprochen hat (tatsächlich fliessen wird noch weniger). Dabei ist im GCF die Finanzierung von «Loss&Damage», also die Kompensation von dem, was die Klimakrise etwa durch Unwetter bereits in der Gegenwart an Schäden und Verlusten (zum Beispiel Land, Infrastruktur oder Biodiversität) verursacht, noch nicht einmal eingerechnet. Auch um diese Finanzierungslücke zu schliessen, ist die bessere Mobilisierung steuerlicher Einnahmen im Inland («domestic revenue mobilization») für Entwicklungsländer unentbehrlich.

Das internationale Steuersystem für multinationale Konzerne läuft diesem Ziel heute völlig entgegen. Daran wird sich auch mit der jüngsten Steuerreform nichts ändern. Das zeigen auch erst kürzlich wieder bekanntgewordene Steuervermeidungsfälle von Konzernen wie Socfin (Palmöl- und Kautschukhandel), Glencore (Öl, Kupfer, Kohle und andere Rohstoffe) und Nestlé (Nahrungsmittel), wobei das Tiefsteuergebiet Schweiz jeweils eine zentrale Rolle spielt. Während die im Oktober veröffentlichte Studie von Brot für alle, dem deutschen Netzwerk Steuergerechtigkeit und Alliance Sud zeigt, dass Socfin den grössten Teil seiner Gewinne im Schweizerischen Freiburg versteuert, obwohl die meiste Arbeit in diesem Konzern auf den Plantagen in Sierra Leone, Liberia oder Kambodscha verrichtet und damit dort auch die Wertschöpfung erzielt wird, zeigt das Beispiel Nestlé in Marokko, wie unverzichtbar eine starke nationale Steuerverwaltung ist: Auf Grund von unsauberen Verrechnungspreisberechnungen drohen dem Schweizer Traditionshaus Steuernachzahlungen in der rekordverdächtigen Höhe von 110 Millionen Dollar. Ohne Steuerbehörden, die dem Konzern ganz genau auf die Finger geschaut haben, wäre dies nicht möglich geworden – es sind aber genau diese Ressourcen, die vielen Entwicklungsländern fehlen.

Für die nächsten zwei Wochen bleibt zu hoffen, dass sich die zentralen AkteurInnen an der UNO-Klimakonferenz in Glasgow von den prominenten TouristInnen in Rom nicht allzu sehr beeinflussen lassen und handeln, statt «Sightseeing» zu betreiben. Die zentralen Forderungen aus einer globalpolitischen Perspektive liegen auf dem Verhandlungstisch: Die reichen Länder müssen wie schon vor zehn Jahren versprochen jährlich 100 Milliarden Dollar für den Kampf gegen die Klimakrise einsetzen und die armen Länder für die erlittenen Schäden («Loss&Damage») entschädigen.