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Deza-Direktor Manuel Sager im Interview

07.10.2015, Entwicklungsfinanzierung

«Zusätzliche Klimahilfe ohne neue Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit schränkt bisherige Aufgaben ein», sagt Deza-Direktor im GLOBAL+-Gespräch.

Deza-Direktor Manuel Sager im Interview

Deza-Direktor Manuel Sager
© Daniel Rihs / Alliance Sud

Mit seiner Aussage «Die Klimazahlungen werden aus Entwicklungsbudget bezahlt werden» provozierte Bruno Oberle, Direktor des Bundesamts für Umwelt in der letzten GLOBAL+-Ausgabe. Deza-Direktor Manuel Sager repliziert diplomatisch: Diesen Entscheid treffen Bundesrat und Parlament, nicht Amtsdirektoren.

GLOBAL+: Haben Sie noch Hoffnung, dass an der Klimakonferenz Anfang Dezember in Paris ein griffiges Abkommen herauskommt?
Manuel Sager: So wie es jetzt – aufgrund der zugesagten CO₂-Reduktionsverpflichtungen – aussieht, ist man noch ziemlich weit von einem verbindlichen Abkommen entfernt. Das ist aber oft so bei internationalen Verhandlungen: Erfolge müssen erdauert, erstritten werden. Und oft kommt eine Einigung erst an der Verhandlung selbst zustande. Sicher habe ich noch Hoffnung!  


Bundesrätin Leuthard will bis zu 20% der Reduktion der Schweizer Treibhausgasemissionen über Entwicklungsprojekte im Ausland erreichen. Man schielt also im federführenden Bundesamt für Umwelt (Bafu) ganz offen zur Deza hinüber…
Die schweizerische Entwicklungszusammenarbeit hat per Gesetz den Auftrag der Armutsbekämpfung. Wenn Mitigations- und Klimaanpassungsmassnahmen zur Armutsreduktion beitragen, sind sie durchaus auf der Linie dessen, was wir bereits machen.

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Aber Klimamassnahmen sind ja nie auch zu 100% Armutsbekämpfungsmassnahmen. Wenn man mit den Deza-Geldern plötzlich viel mehr Klimaprojekte machen muss, dann müssen zwingend andernorts Abstriche gemacht werden. Ist die Deza in diesem Punkt tatsächlich auf derselben Linie wie das Bafu?
Man wird projektbezogen schauen müssen, was der Anteil an konkreter Armutsbekämpfung ist. Und welche Massnahmen zur Verbesserung der Lebensbedingungen in armen Ländern tatsächlich mit den Folgen des Klimawandels zusammenhängen.

Werden Sie dafür kämpfen, dass die Armutsbekämpfung im Zentrum des Deza-Auftrags bleibt?
Die Armutsbekämpfung ist unser Auftrag, den wir vom Parlament haben. Wir setzen um, was uns das Parlament und der Bundesrat vorgeben. Und im Moment sehe ich keine Anzeichen, dass sich am Auftrag der Armutsbekämpfung irgendetwas ändern sollte – in gesetzlicher Hinsicht schon gar nicht.

Im GLOBAL+-Interview mit Bafu-Direktor Bruno Oberle (Nr. 58, Sommer 2015) entstand der Eindruck, dass gewisse politische Entscheide bereits getroffen wurden: Das Umweltproblem «Klimawandel» soll über die Deza-Finanzierung angegangen werden. Oder zugespitzt gesagt: das Bafu verhandelt auf internationaler Ebene und macht Zusagen; ausführen muss es dann aber die Deza.
Zwar ist es auch mein Verständnis, dass Klimamassnahmen in Verbindung mit Armutsbekämpfung bei der Deza bleiben. Wie hoch diese Beträge aber schliesslich sein werden, was als Armutsbekämpfung betrachtet werden kann und was eben ausserhalb unseres Mandates liegen würde, das muss man im Einzelfall prüfen. Hier können die Auffassungen natürlich auseinandergehen, ja! Aber letztlich bestimmt der Bundesrat das Verhandlungsmandat.

Fakt ist, dass es für den internationalen Klimaschutz mehr und zusätzliche Finanzmittel braucht. Ohne Erhöhung des Budgets wird das zwingend zu Abstrichen bei Aufgaben der Entwicklungszusammenarbeit führen. Da müsste sich die Deza doch stark machen für eine Aufstockung der Entwicklungsgelder auf zumindest den versprochenen 0.7%-Anteil am Bruttonationaleinkommen.
Gut, der Bundesrat hat das Uno-Ziel der 0.7% akzeptiert, allerdings ohne zeitlichen Horizont. Das Parlament wird letztlich entscheiden, wann dieses Ziel umgesetzt werden wird.

Die Industrieländer sind die Hauptverursacher des Klimawandels. Also müssten die Mittel zur Behebung des Problems doch bei den Verursachern mobilisiert werden, zum Beispiel via eine erhöhte CO2-Abgabe oder die Besteuerung des Flugverkehrs?
Die Frage, wie wir in der Schweiz zusätzliche Mittel generieren, erfordert eine breite gesellschaftspolitische Debatte. Wichtig wird jedoch vor allem die Zusammenarbeit mit dem Privatsektor sein. Wie in anderen Bereichen der internationalen Zusammenarbeit müssen öffentliche Mittel vor allem als Katalysator wirken, um in Partnerschaft mit dem Privatsektor innovative Technologien, den Wissenstransfer und Direktinvestitionen zu fördern. Es geht nicht einfach darum, [mit öffentlichen Mitteln] zum Beispiel höhere Dämme gegen Überschwemmungen zu bauen. Vielfach geht es auch um eine Verbesserung der Regierungsführung, Fragen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, welche Privatinvestitionen oder Technologietransfers ermöglichen.
Ich bin überzeugt, dass der grösste Teil der Klimafinanzierung über marktwirtschaftliche Instrumente kommen muss, weil – wie gesagt – die öffentlichen Gelder nie ausreichen werden, die 100 Milliarden Dollar zu mobilisieren oder wie viele es dann sein werden bis 2020.

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Kann man den privaten Sektor tatsächlich dazu bringen, in den ärmsten Ländern in Klimaschutzmassnahmen zu investieren?
Es gilt, positiv auf die Rahmenbedingungen einzuwirken. Dazu gehören der Kampf gegen die Korruption oder die Einrichtung besserer Steuersysteme, die es den Entwicklungsländern erlauben, sich selber besser zu finanzieren, um öffentliche Dienstleistungen und Güter bereitzustellen. Ich bin überzeugt, dass ohne starken Privatsektor keine wirtschaftliche Entwicklung möglich ist – das ist bei uns so, und auch in Entwicklungsländern. Darum ist es wichtig, in den Entwicklungsländern Arbeitsplätze zu schaffen. Das kann auf verschiedene Arten geschehen: Entweder indem man den lokalen Privatsektor stärkt – das machen wir ja auch – oder man fokussiert wie gesagt auf die Schaffung von Rahmenbedingungen, die ausländische Investitionen zulassen.
Wichtig ist, dass es zu einem inklusiven Wachstum kommt und nicht einfach eine Elite profitiert, oder dass Gewinne wieder ins Ausland abfliessen. Ich sehe es als Aufgabe der Deza, im Dialog in diesen Partnerschaften daraufhin zu wirken, dass die privaten Unternehmen ihre sozialen und Umweltverantwortungen wahrnehmen.

Ziel und Zweck von Privatunternehmen ist es, Gewinne zu erwirtschaften, und nicht die inklusive Entwicklung zu fördern. Kein Unternehmen wird freiwillig in die öffentliche Infrastruktur, zum Beispiel einen Damm gegen den ansteigenden Meeresspiegel, investieren.
Das ist sicher so. Ob ein Schutzdamm gebaut wird oder nicht, hängt davon ab, ob ein Staat die notwendigen Ressourcen dafür aufbringen kann. Ob es da nicht auch privat-öffentliche Partnerschaftsmodelle gibt, die erlauben, solche Projekte mit privaten Mitteln – mit einer gewinnorientierten Komponente – aufzubauen, das gilt es eben zu prüfen.

Der Bau von Lawinenverbauungen in der Schweiz ist ja auch kein «Business Case» mit «Return-on-Investment». Solche Investitionen muss der Staat machen. Wieso soll das in Entwicklungsländern anders sein?
Einverstanden, es wird weiterhin Aufgaben geben, z.B. im Gesundheits- oder Bildungsbereich, die staatliche Aufgaben sind; dort wird es schwierig sein, ein Businessmodell zu entwickeln. Andererseits,  je eher ein Staat fähig ist, Einkommen zu generieren – z.B. über die Besteuerung ausländischer Investitionen sowie eines starken inländischen Privatsektors – und sich so selber zu finanzieren, desto eher ist er in der Lage, Schutzdämme, Schulen, Krankenhäuser zu bauen.  Man kann zwar den Privatsektor nicht als Akteur der Entwicklungszusammenarbeit sehen. Das wäre falsch. Da würden wir ihm eine Rolle geben, die ihm nicht zukommt. Doch ich bin überzeugt, dass heute viele Unternehmer einsehen, dass sich die soziale und ökologische Verantwortung von Firmen und die Gewinnerzeugung nicht gegenseitig ausschliessen.

Aber es ist doch bedenklich, dass es kaum positive Beispiele gibt, wo solche öffentlich-privaten Partnerschaften tatsächlich auf längere Sicht Erfolg haben. Kommt dazu, dass sich beim Klimawandel der Finanzbedarf in ganz anderen  Grössenordnungen bewegt.
In der Tat ist es nicht die primäre Verantwortung des Privatsektors, den Klimawandel zu verhindern. Aber es liegt in seiner Verantwortung, seine Tätigkeit sozial und ökologisch nachhaltig zu gestalten. Das ist ein Unterschied!

Es bleiben also Fragezeichen, wie der Klimawandel und dessen Auswirkungen durch den Privatsektor behoben werden sollen. Vorbereitet werden solche Entscheide schon jetzt auf Ämterebene. Laut Bafu setzt die Schweiz zu 70% auf die Finanzierung durch private Unternehmen. Und bei den 30% öffentlicher Mittel schaut man aufs Deza-Budget. Und die Haltung des Bafu ist klar: Die Deza muss umdenken. Gehörten früher etwa auch Genderfragen zu den Prioritäten der Entwicklungszusammenarbeit, so muss es in Zukunft das Klima sein.
Letztlich werden die Entscheide nicht von Bundesämtern, sondern auf der Ebene Bundesrat und im Parlament getroffen.  Wobei die internationalen Rahmenvorgaben, wie die Uno-Ziele zur nachhaltigen Entwicklung (SDG), eine wichtige Rolle spielen. Dort ist das Klima eines unter 17 Zielen. Nochmals: Die Gewichtung bei der Umsetzung wird Gegenstand der politischen Debatte sein müssen.

Es ist ja genau an der Deza, die Schwerpunkte bei den Entwicklungsaufgaben zu setzen!
Genau, und unser gesetzliche Auftrag ist die Armutsbekämpfung. Für das gibt uns das Parlament alle vier Jahre unseren Rahmenkredit.

Ausser Deutschland, welches seine Klimagelder verdoppelt und die anrechenbaren öffentlichen Entwicklungsausgaben massiv aufstockt, folgt die Schweiz dem Trend der anderen Industrieländer: Klimafinanzforderungen werden ohne Aufstockung zunehmend und unter dem Deckmantel der Armutsbekämpfung mit Entwicklungsgeldern finanziert. Ist es nicht eine Zweckentfremdung, wenn Entwicklungsbudgets für die Klima-Schadensbehebung der Industrieländer eingesetzt werden?
Wenn für zusätzliche Aufgaben keine zusätzlichen Mittel zur Verfügung stehen, können Tätigkeiten der Entwicklungszusammenarbeit, die bisher für wichtig und wirksam betrachtet wurden, nicht mehr weitergeführt werden.

Angesichts der Flüchtlingskrise wäre jetzt doch der ideale Zeitpunkt, die Aufstockung unseres finanziellen Engagements in der Entwicklungszusammenarbeit auf den Tisch zu bringen!
Ich finde, es gibt nur gute Zeitpunkte, um über eine Erhöhung der Entwicklungsbudgets zu reden. Aber es stimmt: Der Ruf nach internationaler Zusammenarbeit wird durch die Flüchtlingsströme lauter.  Ich denke, die Schweiz und ihre Bevölkerung sind grosszügig. Vor allem was die Solidarität mit armen Menschen angeht.

Kommen wir abschliessend nochmals auf die Klimakonferenz in Paris zu sprechen: Wie aktiv wird die Deza in die Vorbereitung des Mandats für die Delegation einbezogen? Täuscht unser Eindruck oder wird die Deza in diesen Konsultation überfahren?
Ich bin jetzt seit zehn Monaten in meinem Amt, habe mich aber bis jetzt eigentlich noch nie überfahren gefühlt. Nein, ich glaube, das sind jeweils gute Diskussionen, in denen man versucht, einen Interessenausgleich zu finden. Das ist unser System in der Schweiz, auf allen Ebenen, und ich glaube das funktioniert gut.

Alliance Sud wird jedenfalls den Druck aufrechterhalten, dass die Gelder der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit für deren Kernaufgaben eingesetzt werden.
Die Zivilgesellschaft spielt mit ihrer Anwaltschaft für die Armutsbekämpfung in diesen ganzen Diskussionen eine wichtige Rolle. Das ist ganz klar!

Manuel Sager, danke für dieses Gespräch.

Das Gespräch führten Jürg Staudenmann, ehemaliger Fachverantwortlicher «Klima und Umwelt» und Daniel Hitzig, ehemaliger Medienverantwortlicher Alliance Sud.

Das Interview ist in der Herbstausgabe 2015 von GLOBAL+ erschienen.