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Arbeiten am digitalen Graben

11.12.2017, Handel und Investitionen

Auf leisen Sohlen kommt die Liberalisierung des grenzenlosen digitalen Handels. Nach offizieller Lesart geht es in Buenos Aires vorerst nur um harmlose technische Fragen. Doch die USA und ihre IT-Giganten stellen jetzt die Weichen zu ihren Gunsten.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

Arbeiten am digitalen Graben

E-Commerce wird auch in Schwellen- und Entwicklungsländern immer wichtiger. Bild: Im Hauptquartier von Mataharimall.com in Jakarta, Indonesien.
© Beawiharta / Reuters

Es ist das heisseste Eisen der 11. Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO), die vom 10. bis 13. Dezember in Buenos Aires stattfindet: Die Entfesselung des sogenannten E-Commerce. Seit anderthalb Jahren arbeiten namentlich die USA, die EU und Japan in sogenannten «Non Papers» daran. Es ist die Fortsetzung dessen, was die auf Eis gelegten Abkommen TISA bzw. TPP und TTIP‘[1] hätten bringen sollen: Die Sicherung der handelspolitischen Dominanz der Industrieländer im digitalen Zeitalter.

Indien, die Gruppe afrikanischer Staaten und die am wenigsten entwickelten Länder (LDC) verweigern bis jetzt jede Verhandlung zu diesem Thema, zumal der Doha-Zyklus immer noch nicht abgeschlossen werden konnte. Zur Erinnerung: Dort geht es darum, die internationalen Handelsregeln zugunsten der Länder des Südens gerechter auszugestalten. Und die Schweiz? Sie ist bereit, über den E-Commerce zu reden. Im WTO-Jargon heisst das, sie ist bereit, darüber zu verhandeln.

Vor der Konferenz liegen die Positionen der Staaten weit auseinander: die einen wollen über die Regulierung des elektronischen Handels reden, andere wollen nichts davon hören. Ein Kompromiss könnte ein von allen getragener Aufruf mit folgenden Inhalten sein:  

  • der elektronische Handel soll erleichtert werden,
  • der E-Commerce soll mit einem Abkommen zu Handelserleichterungen gefördert werden,
  • es braucht eine gemeinsame Haltung im Umgang mit elektronischen Unterschriften,
  • es braucht mehr Transparenz bei der Authentifizierung von Verträgen,
  • Entwicklung und Zusammenarbeit sollen gefördert werden.

Ein «Nicht-Papier» mit Zündstoff

Das «Non paper» der USA ist zwar nicht Gegenstand der Verhandlungen, aber es spricht Bände. Sein Ziel ist es, die bereits dominierende Rolle der US-Techgiganten (Amazon, Apple, Google, Facebook, Microsoft, etc.) weiter auszubauen. Es sieht namentlich vor,

  • dass auf deren digitalen Produkten (Musik, Video, Games und Software) keine Zölle mehr erhoben werden dürfen,
  • dass der grenzüberschreitende Datenverkehr erlaubt und die Verpflichtung aufgehoben werden soll, dass Staaten ihre Daten innerhalb ihrer Grenzen verwalten müssen. 

Daten gehören heute zu den wichtigsten Reichtümern der Staaten und werden nicht umsonst als «Rohstoff der digitalen Ökonomie» bezeichnet, denn die Kontrolle von Daten ist eine wichtige Einkommensquelle für jene, die sie sammeln und auswerten. Die Silicon Valley-Konzerne wollen – ohne dafür zu bezahlen – den weitgehenden Zugriff auf sensible persönliche Daten wie solche zur Gesundheit oder zu finanziellen Verhältnissen. Ginge es nach ihnen, so dürften auch Informationen zur nationalen Sicherheit, militärische und Geheimdienstinformationen ohne Einschränkung grenzüberschreitend verschoben werden. Klar, dass dies unvereinbar ist mit nationaler Souveränität und Sicherheit und dass der Schutz der Privatsphäre damit weiter ausgehöhlt würde.

Business Europe, die Lobby der europäischen Industrie, ist sich dessen bewusst. In einem Brief an die Europäische Kommission vom 30. Oktober 2017 wurden die US-Ansinnen im Hinblick auf die Ministerkonferenz in Buenos Aires unterstützt. Bedauert wird dagegen, dass es in diesen Fragen keine einheitliche Position innerhalb der EU gebe. Das habe auch zum Scheitern der TISA-Verhandlungen im Dezember 2016 geführt.

Nationale Niederlassungen…

Was würde es bedeuten, wenn die Verpflichtung aufgehoben würde, dass transnationale IT-Firmen in den Staaten, deren Daten sie verwalten, eine Niederlassung betreiben müssen? Wie sollen dann ihre Dienstleistungen reglementiert und besteuert werden? Im Streitfall müssten Staaten ihr Recht wohl vor einem US-Gericht oder im Land des EU-Sitzes erkämpfen, wo ihre Daten verarbeitet werden. Die nationalen Institutionen hätten das Nachsehen und die Konfliktlösung wäre ebenso langwierig wie kostspielig.

Wie der internationale Gewerkschaftsdachverband Uni Global Union richtig feststellt, könnte es dabei auch zu Lohndumping kommen, wie es die EU mit «entsandten Arbeitnehmern» erlebt hat: Bezahlt werden nur noch die Löhne, die im Herkunftsland des Providers üblich sind, nationale Arbeitsgesetze würden ausgehebelt. Der «Uberisierung» und Prekarisierung des Arbeitsmarkts würde weiter Vorschub geleistet: Nationale Firmen würden durch den Druck der IT-Giganten gezwungen, ihre Kosten bzw. die Löhne zu senken. National produzierte Medieninhalte von TV, Radio und Filmwirtschaft gerieten weiter unter Druck.

… und weitere Forderungen

Um den digitalen Graben nicht noch weiter anwachsen zu lassen, verlangen heute viele Staaten, dass ausländische Technologie-Investitionen an die Auflage gebunden bleiben, beim Aufbau nationaler Industrien zu helfen; etwa indem Ersatzteile lokal eingekauft werden müssen. Diese Regelungen sollen jetzt aufgehoben werden, selbst für die ärmsten Länder, die LDC.

Die kommerziellen Erfolgsfaktoren der IT-Giganten sind in den sogenannten Quellcodes eingeschrieben. Bis jetzt waren die IT-Konzerne verpflichtet, diese den nationalen Regulationsbehörden mitzuteilen. Würde dies – wie im «Non paper» skizziert – wegfallen, wäre das ein massiver Ausbau des Schutzes des geistigen Eigentums. Dieser ginge primär zulasten der LDC, würde aber für alle WTO-Mitgliedsländer Probleme in Bezug auf die nationale Sicherheit, den Schutz der Privatsphäre und den Technologietransfer mit sich bringen.

Multinationalen Unternehmen soll das Recht eingeräumt werden, jedes Gesetzesprojekt und jede nationale Reglementierung vorgängig zu kommentieren. Begründet wird dieses mit «Transparenz», damit es zu keinen Kohärenzproblemen in Sachen Regulierung käme. Ein zumindest sehr fragwürdiges Verständnis von Transparenz.

 

[1] das plurilaterale Dienstleistungsabkommen (Trade in Services Agreement), die transpazifische Partnerschaft (Trans-Pacific Partnership) und das Transatlantische Freihandelsabkommen (Transatlantic Trade and Investment Partnership)