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Alliance Sud zur «Zweiten Kohäsionsmilliarde»
07.02.2018, Entwicklungsfinanzierung
Alliance Sud sieht die Zahlung einer weiteren «Kohäsionsmilliarde» an ausgewählte EU-Staaten im Agenda 2030-Kontext. Sollte der Bundesrat das vorgesehene Geschäft weiterverfolgen, müsste er in seiner Botschaft für Kostenwahrheit sorgen.
Wortlaut der Alliance Sud-Vernehmlassung vom 1. Juli 2018 von Mark Herkenrath, ehemaliger Geschäftsleiter Alliance Sud
Zusammenfassung:
Mit dem vorgeschlagenen Beitrag an ausgewählte EU-Staaten – der sogenannten «zweiten Kohäsionsmilliarde» – kann die Schweiz im Prinzip einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung leisten. Die Staaten, die davon profitieren sollen, sind aber keine Entwicklungsländer. Die vorgesehene zweite Kohäsionsmilliarde ist deshalb kein Ersatz für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe, die benachteiligten Menschen ausserhalb der EU zugutekommen. Sie darf finanziell und in Sachen Personalaufwand nicht auf Kosten der bisherigen Entwicklungszusammenarbeit oder humanitären Hilfe der Schweiz gehen.
In den vorliegenden Vernehmlassungsunterlagen bleibt die Finanzierungsfrage leider weitgehend ungeklärt. Sollte der Bundesrat das vorgesehene Geschäft weiterverfolgen, müsste er in seiner Botschaft für Kostenwahrheit sorgen. Alliance Sud wird den vorgeschlagenen Beitrag an ausgewählte EU-Staaten erst unterstützen können, wenn gewährleistet ist, dass er zu keinerlei Einsparungen bei der Entwicklungszusammenarbeit oder der humanitären Hilfe führt, sondern im Gegenteil von einer deutlichen Aufstockung der Entwicklungsausgaben begleitet wird.
Generelle Einschätzung:
Mit dem vorgeschlagenen Geschäft will der Bundesrat in ausgewählten EU-Staaten einen weiteren Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung leisten. Dieses Anliegen ist grundsätzlich zu begrüssen. Es entspricht dem Sinn und Geist der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, die mit ihren 17 Zielen (SDGs: Sustainable Development Goals) die Welt bis 2030 auf einen sozial, ökologisch und wirtschaftlich nachhaltigen Kurs bringen soll.
Allerdings hat der Bundesrat auch deutlich gemacht, dass er die zweite Kohäsionsmilliarde in engem Zusammenhang mit «den Gesamtbeziehungen Schweiz-EU und namentlich … der Entwicklung im Bereich der Anerkennung der Äquivalenz der Schweizer Börse» sieht (Medienmitteilung zur Vernehmlassung). Es geht ihm also nur in zweiter Linie um die globale nachhaltige Entwicklung und in erster Linie um politische und wirtschaftliche Interessenwahrung.
Notabene handelt es sich bei den Empfängerstaaten des vorgesehenen Beitrags auch nicht um Entwicklungsländer. Nach den Kriterien der OECD wird die zweite Kohäsionsmilliarde deshalb ebenso wenig als Ausgabe für die Entwicklungshilfe (APD: aide publique au développement) gelten dürfen wie ihre Vorgängerin. Es ist deshalb unabdingbar, dass der vorgesehene Beitrag zu keinen Einsparungen bei der Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe führt. Die erfolgreiche Umsetzung der Agenda 2030 verlangt vielmehr nach einer deutlichen Erhöhung der Investitionen in die langfristige Entwicklungszusammenarbeit und die humanitäre Hilfe.
Die ungeklärte Kostenfrage:
Der Bundesrat betont im Vernehmlassungsbericht, die vorgeschlagene zweite Kohäsionsmilliarde werde «plafondserhöhend» — also zusätzlich zu den bereits geplanten Ausgaben — in den Finanzplan 2020-2022 eingestellt. Der Öffentlichkeit liegt jedoch bislang nur der Finanzplan 2019-2021 vor. Es bleibt darum offen, ob der vorgeschlagene Beitrag ab dem Jahr 2022 nicht doch stillschweigend durch Einsparungen bei anderen Ausgaben aufgefangen («kompensiert») werden soll. Um diese Frage zu klären, wird der Bundesrat gemeinsam mit der allfälligen Botschaft zur zweiten Kohäsionsmilliarde den Finanzplan 2020-2022 in zwei Varianten vorlegen müssen — einmal ohne und einmal mit Kohäsionsmilliarde. Der geforderte Finanzplan wird im Unterschied zu den bisherigen Versionen auch die Folgekosten der Steuervorlage 17 (SV17) berücksichtigen müssen.
So rechnet der Bundesrat im bereits veröffentlichten Finanzplan 2019-21 für die Jahre 2020 und 2021 mit Haushaltüberschüssen (siehe Bericht zum Voranschlag 2018 mit IAFP 2019-2021). In diesen beiden Jahren dürfte sich der Bund die vorgesehene Kohäsionsmilliarde also ohne Einsparungen in anderen Bereichen leisten können. Allerdings sind in dieser Planung die Folgekosten der SV17 ausdrücklich ausgeschlossen. Hierzu hält der Bundesrat folgendes fest: Würde die SV17 mit einberechnet, «wären die Ergebnisse im Finanzplan in etwa ausgeglichen. Damit wird deutlich, dass bis 2021 ohne Aufgabenverzichte und Einsparungen kein Spielraum für neue Ausgaben besteht.» Zumal die SV17 voraussichtlich nicht nur zustandekommen, sondern höhere Folgekosten als ursprünglich erwartet haben wird, stellt sich umso dringlicher die Frage, wie der Bundesrat die vorgesehene Kohäsionsmilliarde zu finanzieren gedenkt und in welchen Aufgabenbereichen allfällige finanzielle Kompensationsmassnahmen zu erwarten wären.
Strategische und thematische Ausrichtung des Rahmenkredits «Kohäsion»:
Die Aktivitäten, die aus dem vorgesehenen Rahmenkredit Kohäsion finanziert würden, sollen sich nach Angaben des Bundesrates in die eigenen strategischen Konzepte und Prioritäten der Partnerländer einfügen. Das ist sinnvoll. Allerdings sollten sich diese Aktivitäten nicht nur «unter anderem auch» (S. 9 des deutschsprachigen erläuternden Berichts), sondern insbesondere oder sogar ausschliesslich an den nationalen Umsetzungsprogrammen für die Agenda 2030 und ihre siebzehn SDGs ausrichten.
Im Sinne der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung ist festzuhalten, dass die fünf Ziele des vorgesehenen Rahmenkredits Kohäsion interdependent konzipiert und umgesetzt werden müssen. Namentlich die beiden Ziele «Umwelt und Klima schützen» sowie «Zivilgesellschaft und Transparenz fördern» müssen einerseits über eigenständige Aktivitäten umgesetzt werden, andererseits als Transversalziele aber auch in Massnahmen zur Umsetzung aller anderen Ziele (Wirtschaftsförderung, Integration und soziale Sicherheit) einfliessen.
Strategische und thematische Ausrichtung des Rahmenkredits «Migration»:
Aktivitäten, die aus dem Rahmenkredit Migration finanziert werden sollen, dürfen auf keinen Fall den notorisch repressiven Umgang gewisser EU-Staaten mit Migrantinnen und Migranten sowie Massnahmen der unfreiwilligen Rückschaffung unterstützen. Sie müssen sich stattdessen an den Rechten und Bedürfnissen dieser Menschen orientieren. Die im erläuternden Bericht erwähnten Massnahmen (juristische Unterstützung und Übersetzungsdienstleistungen für Asylsuchende, bedürfnisgerechte Infrastruktur insbesondere für unbegleitete Minderjährige, Massnahmen zur Unterstützung der freiwilligen Rückkehr und Reintegration im Herkunftsland) stehen zwar im Einklang mit diesem Grundsatz, werden aber nur als Möglichkeiten aufgeführt («könnte der Rahmenkredit Migration unter anderem … unterstützen»; S. 21). Der Bundesrat ist deshalb aufgefordert, in einer allfälligen Botschaft zum vorgesehenen Rahmenkredit im Klartext festzuhalten, für welche Massnahmen der Kredit tatsächlich eingesetzt werden darf und für welche Zwecke er nicht in Frage kommt. Auf «Carte blanche»-Formulierungen wie «unter anderem» ist zu verzichten.