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Abkommen mit Indien: Werden die versprochenen Investitionen nachhaltig sein?

12.03.2024, Handel und Investitionen

Das Freihandelsabkommen mit Indien, das am 10. März in Delhi unterzeichnet wurde, verspricht massive Investitionen in Indien und die Schaffung von einer Million Arbeitsplätzen. Aus entwicklungspolitischer Sicht handelt es sich um einen begrüssenswerten Schritt, doch die Nachhaltigkeit hätte stärker verankert werden müssen.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

Abkommen mit Indien: Werden die versprochenen Investitionen nachhaltig sein?

Die Maschinenindustrie freut sich über den zollfreien Handel. Fraglich ist, ob auch die Menschen davon profitieren werden.

© Keystone

Indien ist ein besonders herausfordernder Verhandlungspartner. Dies bekamen die Staaten der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) zu spüren, zumal sie bereits seit 2008 über ein Freihandelsabkommen mit Delhi verhandelten. Hauptstreitpunkt war die Stärkung der geistigen Eigentumsrechte an Arzneimitteln (im Fachjargon TRIPS+ genannt, da sie über das TRIPS-Abkommen der WTO hinausgeht). Diese wurde von der Schweiz nachdrücklich gefordert, von Indien, dem weltweit grössten Hersteller von Generika, jedoch abgelehnt.

Am 10. März verkündete die EFTA in Delhi die Unterzeichnung des Abkommens und landete damit einen Coup: Im Schlussspurt überholte sie die in endlose Verhandlungen verstrickte Europäische Union und andere Partner wie das Vereinigte Königreich. Die Botschaft kam nicht völlig überraschend, da Bundesrat Guy Parmelin den Abschluss der Verhandlungen bereits einige Wochen zuvor kommuniziert hatte; der Inhalt des Textes blieb jedoch noch unter Verschluss. Alliance Sud und andere NGOs befürchteten, Indien könnte dem Druck der Schweizer Pharmaindustrie nachgegeben haben; dies bezüglich problematischer Bestimmungen zur Datenexklusivität oder der Verlängerung der Patentlaufzeit, was die Herstellung und Markteinführung von Generika verzögert und verteuert hätte.

Der am Sonntag veröffentlichte Text zeigt jedoch, dass Indien, auch dank der Unterstützung der internationalen Zivilgesellschaft, in dieser Hinsicht nicht nachgelassen hat. Zumindest vorerst, denn die Parteien werden ein Jahr nach Inkrafttreten des Abkommens weiter über die Datenexklusivität diskutieren. Andere problematische Bestimmungen untergraben die im TRIPS-Übereinkommen der WTO enthaltenen Flexibilitäten, insbesondere die Möglichkeit, im Voraus Einsprache gegen die Erteilung eines Patents zu erheben.

100 Milliarden USD über 15 Jahre und 1 Million Arbeitsplätze

Der Text enthält noch eine weitere Überraschung: Die EFTA-Länder verpflichten sich, in den nächsten 15 Jahren 100 Milliarden USD in Indien zu investieren und 1 Million Arbeitsplätze zu schaffen. Mit anderen Worten: Delhi will nicht nur zollfrei Maschinen, Uhren und chemische sowie pharmazeutische Produkte importieren, sondern auch vor Ort Wertschöpfung schaffen.

Auch wenn es schwer vorstellbar ist, wie die Schweiz, Norwegen, Island und Liechtenstein ihre Industrie konkret dazu bringen können, in Indien zu investieren, ist diese Bestimmung – ein Novum in einem Schweizer Freihandelsabkommen – aus entwicklungspolitischer Sicht ein Schritt nach vorn.

Es ist auch vorgesehen, dass Investitionen insbesondere in Sektoren getätigt werden, die mit regionalen und internationalen Wertschöpfungsketten verbunden sind. Bei genauerem Hinsehen sind die Parteien jedoch nicht viele Risiken eingegangen: Der Technologietransfer, das alte und umstrittene Schlagwort der Nord-Süd-Beziehungen, wird nicht vorausgesetzt; der Text beschränkt sich darauf, von «technologischer Zusammenarbeit» zu sprechen.

Die Berufsausbildung wird ebenso gefördert wie die Partnerschaft zwischen Kompetenzzentren und Forschungsinstituten in hoch entwickelten Bereichen wie Geowissenschaften, Telemedizin, Biotechnologie, Digitaltechnologie, MINT-Disziplinen (Wissenschaft, Technologie, Ingenieurwesen und Mathematik), sowie erneuerbare Energien und saubere Technologien. Auch vorgesehen sind joint ventures zwischen Unternehmen aller Grössen, einschliesslich KMUs, was wiederum zu begrüssen ist, da Indien (und die Schweiz) viele davon zählt.

Keine Auflagen in Bezug auf Sozial- und Umweltstandards

Um die Umsetzung des Investitionskapitels zu begleiten, wird ein Unterausschuss eingesetzt. Aber dieses Kapitel unterliegt im Gegensatz zum Rest des Abkommens (mit Ausnahme des Kapitels über nachhaltige Entwicklung) nicht dem Streitbeilegungsmechanismus. Die Parteien ziehen es vor, Streitigkeiten durch Konsultationen beizulegen, wohl um sich einen gewissen Handlungsspielraum zu erhalten.

Die neuen Bestimmungen dürften die schweizerischen Hochschulen, Forschungszentren, Unternehmen und Start-ups erfreuen, doch aus entwicklungspolitischer Sicht ist das Fehlen verbindlicher Sozial- und Umweltstandards zu beklagen. Denn eine zentrale Frage bleibt offen: Wird ein Schweizer Unternehmen, das in Indien eine Zementfabrik oder eine Kohlemine eröffnen möchte, auch vom Unterausschuss für Investitionen begleitet, und werden dessen Investitionen auch zu den 100 Milliarden USD gezählt? Leider ist das zu befürchten. Bedauerlicherweise hat Indien nicht mehr Bedingungen gestellt, obwohl das Land sehr klare Vorstellungen davon hat, welche ausländischen Unternehmen sich in seinem Hoheitsgebiet ansiedeln sollen, und sich auch nicht an der von China in der WTO vorangetriebenen Initiative zur Erleichterung von Investitionen beteiligt.

Kapitel über nachhaltige Entwicklung nicht einklagbar

Dies gilt umso mehr, als das Kapitel über nachhaltige Entwicklung zwar verbindlich ist, aber nicht dem Streitbeilegungsmechanismus unterliegt. Die Einhaltung der Menschenrechte und die von den Parteien ratifizierten ILO-Kernarbeitsnormen werden zwar angemahnt, aber unterstrichen, dass die nationalen Gesetze gelten. So dürfen Gewerkschaftsrechte und Umweltstandards nicht «zu protektionistischen Zwecken» genutzt und die komparativen Vorteile beider Seiten müssen respektiert werden – im Fall Indiens bedeutet dies billige Arbeitskräfte, die nur einen relativen Schutz geniessen, und laxere Umweltstandards.

Obwohl dieses Freihandelsabkommen einen Schritt in die richtige Richtung darstellt, hätte es aus sozialer und ökologischer Sicht ambitionierter sein können anstatt sich auf Wünsche und gute Absichten zu beschränken. Alliance Sud bedauert zudem, dass vor Abschluss dieses Abkommens keine Ex-ante-Folgenabschätzung zur nachhaltigen Entwicklung durchgeführt worden ist.