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13. WTO-Minister:innenkonferenz: Die Fata Morgana der Entwicklungspolitik
23.02.2024, Handel und Investitionen
Die dreizehnte Minister:innenkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO) findet vom 26. – 29. Februar in Abu Dhabi statt. Investitionen, Klima, elektronische Übertragungen: Die Herausforderungen widerspiegeln einen immer gewichtigeren Nord-Süd-Graben – aber sie offenbaren auch Bruchstellen innerhalb des Globalen Südens.
23 Jahre nach der Konferenz von Doha und der dortigen Lancierung der Entwicklungsagenda (sog. Doha-Runde) kehrt die Welthandelsorganisation (WTO) in die Golfstaaten zurück. Genauer gesagt nach Abu Dhabi, Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate, wo während der letzten Februarwoche die dreizehnte Minister:innenkonferenz stattfinden wird.
Die Doha-Entwicklungsagenda wurde unmittelbar nach dem Schock der Terroranschläge vom 11. September verabschiedet, um die internationalen Handelsregeln zugunsten der Entwicklungsländer ausgewogener zu gestalten. Heute ist die Agenda bloss noch eine ferne Fata Morgana. Denn Fakt ist: Von den 100 ursprünglichen Vorschlägen sind lediglich zehn übriggeblieben, deren Substanz zudem immer mehr ausgehöhlt wurde.
Keine multilateralen Abkommen seit 2013 abgeschlossen
Es gilt anzuerkennen, dass sich die Welt in zwei Jahrzehnten tiefgreifend verändert hat. Indien, Südafrika, China und andere grosse Länder, die noch immer von ihrem Status als «Entwicklungsland» profitieren, lassen sich ihren jeweiligen Willen nicht mehr von den «entwickelten Ländern» (so die offizielle Bezeichnung) diktieren. Letztere sind insbesondere die Vereinigten Staaten, die Europäische Union und die Schweiz.
Infolgedessen gelangt die WTO – die mit dem in Abu Dhabi geplanten Beitritt Osttimors und der Komoren 166 Mitglieder zählen wird – bei keinem Thema zu einer Übereinkunft. In einer Organisation, in der Entscheide nach Konsensprinzip getroffen werden – sprich kein Mitglied darf sich dagegenstellen – ist es ein unmögliches Unterfangen geworden, sich zu verständigen. So kam es zu keinem multilateralen Abkommen seit der Revision des Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen an der Minister:innenkonferenz von Bali im Jahr 2013. Ausserdem bilden die Entwicklungsländer längst keinen homogenen Block mehr.
Plurilaterale Initiative zu Investitionen
Um dieses Hindernis zu umgehen, setzen bestimmte Länder, insbesondere die «entwickelten» Länder, in allerlei Bereichen vermehrt auf plurilaterale (also mehrere Länder umfassende) Initiativen. Das Investment Facilitation-Abkommen für Entwicklung, dessen Verhandlungen beim Minister:innentreffen von Buenos Aires im Jahr 2017 begannen, ist das am weitesten fortgeschrittene und könnte in Abu Dhabi verabschiedet werden. Lanciert von China mit der Unterstützung von 70 Ländern (darunter die Schweiz), umfasst es mittlerweile 110 Länder, darunter viele Entwicklungsländer.
Der traditionelle Graben zwischen Nord und Süd lässt sich hier aber nicht erkennen, ausser dass Indien und Südafrika die Initiative ablehnen. Dies taten sie bereits bei anderen plurilateralen Abkommen, weil sie befürchten, das multilaterale Prinzip werde weiter geschwächt.
Die Sorge der Zivilgesellschaft besteht darin, dass sich die Länder gezwungen sehen, ihre Türen für ausländische Investitionen zu öffnen, ohne sie kontrollieren oder einem entwicklungsdienlichen Rahmen unterstellen zu können. Das würde multinationalen Konzernen noch mehr Rechte einräumen. Zudem stellt sich die Frage, was mit einem Abkommen geschehen würde, das nicht von allen Mitgliedern ausgehandelt wurde.
Befürworter solch plurilateraler Ansätze argumentieren, dass bei Übernahme durch die WTO nur diejenigen Mitglieder, welche ein Abkommen ausgehandelt haben, an dessen Verpflichtungen gebunden wären. Die anderen würden lediglich von dessen Vorteilen profitieren.
Klima: Indien und Südafrika sperren sich gegen einseitige Massnahmen
Im Westen formiert sich bereits Widerstand gegen Indien, das sich traditionell als Fürsprecherin der Entwicklungsländer präsentiert. Gemeinsam mit seinem altbewährten Verbündeten Südafrika führt es den Aufstand gegen einseitige Umweltschutzmassnahmen an. Indien betrachtet diese als verschleierten Protektionismus und damit als Widerspruch zu den WTO-Prinzipien.
Besonders im Visier hat Indien den CBAM (Carbon Border Adjustment Mechanism), eine von der EU eingeführte CO2-Grenzausgleichssteuer auf den Import von Produkten mit hohem Schadstoffausstoss, wie beispielsweise Aluminium aus Mosambik. Die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD), die dieses Jahr ihr 60-jähriges Bestehen feiert, hat errechnet, dass die Auswirkungen auf das Klima minimal seien: Die Steuer würde die globalen CO2-Emissionen nur um 0,1 % senken. Das Einkommen der Industrieländer würde aber um 2,5 Mrd. US-Dollar steigen, während das Einkommen der Entwicklungsländer um 5,9 Mrd. US-Dollar reduziert würde.
Stattdessen empfiehlt die in Genf ansässige UNCTAD eine «positive Umweltagenda», die unter anderem den Transfer von grünen Technologien fördert.
Elektronische Übertragungen besteuern?
Schliesslich bleibt in Abu Dhabi auch die offene Frage zu klären, ob das zweijährige Moratorium bezüglich der Steuern auf elektronische Übertragungen verlängert wird. Es geht darum, ein weiteres Mal darauf zu verzichten, dass das Herunterladen von Filmen, Musik und Büchern sowie die Kommunikation über elektronische Nachrichten-Apps besteuert wird. Alliance Sud nahm an allen bisherigen WTO-Minister:innenkonferenzen seit deren Entstehung teil. Sie konnte beobachten, wie sehr die Schweiz jeweils zusammen mit den USA auf der Verlängerung des Moratoriums beharrte – ohne dabei jemals wirklich zu verstehen, woraus das Schweizer Interesse bestand. Die Schätzungen über die entgangenen Gewinne für die Entwicklungsländer variieren, aber sie belaufen sich mindestens auf zig Milliarden US-Dollar.
Alliance Sud wird auch an dieser 13. Minister:innenkonferenz teilnehmen. Sie wird in Abu Dhabi sein, um gemeinsam mit anderen NGOs aus der ganzen Welt sicherzustellen, dass die Errungenschaften der Entwicklungszusammenarbeit nicht in den sandigen Weiten der emiratischen Wüste zerrinnen.