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WSF: Agonie oder neue Hoffnung?

20.02.2018, Agenda 2030

Vom 13. bis 17. März findet im brasilianischen Salvador de Bahia eine weitere Ausgabe des Weltsozialforums (WSF) statt. Interview mit Bernd Nilles, Direktor des Fastenopfers.

WSF: Agonie oder neue Hoffnung?

Seit der Gründung des Weltsozialforums (WSF) wird es von zahlreichen unterschiedlichen internationale Organisationen der globalisierungskritischen Bewegung unterstützt und inspiriert. Viele von ihnen sparen zwar nicht mit Kritik, sehen jedoch in dieser Plattform weiterhin ein Zeichen der Hoffnung, bei der Suche nach einer systemischen Alternative. „Obwohl es Anzeichen einer Agonie gibt, besteht doch auch ein Potential der «Auferstehung» und des Weiterkommens“, bestätigt Bernd Nilles, der seit April 2017 Direktor von Fastenopfer, dem Hilfswerk der Katholikinnen und Katholiken in der Schweiz ist.

Nilles war er neun Jahre lang Generalsekretär der CIDSE, der internationalen Allianz katholischer Entwicklungsorganisationen, zu denen auch Fastenopfer gehört. Beide beteiligen sich aktiv am 2001 in Porto Alegre in Brasilien geborenen Prozess. Die CIDSE verfügt überdies über einen Sitz im Internationalen Rat, der Instanz, die das WSF jeweils koordiniert. Fastenopfer ist nicht nur Teil der Schweizer Delegationen bei allen Weltsozialforen, sondern war aktiv an der Einberufung der beiden Schweizer Sozialforen beteiligt, die seit 2003 durchgeführt werden.

Fastenopfer nimmt seit der Gründung am Prozess des WSF teil. Wie hat Ihre Organisation von diesen Teilnahmen profitiert?

Bernd Nilles: Es war stets eine einzigartige Chance, sich mit Personen zu treffen, die sich als Alternative zu einer rein kapitalistischen für eine andere, sogenannt solidarische Welt einsetzen. Konkret: Die regelmässige Teilnahme am WSF ermöglicht es uns, unser thematisches Netzwerk weltweit zu verstärken. Sie erleichtert auch die Suche nach Synergien mit unseren Partnerorganisationen.

Dank dieser Teilnahme haben wir innovative Ideen für die Lösung von konkreten Problemen, unterschiedliche politische Analysen und Meinungen kennengelernt und konnten gemeinsam Aktivitäten auf globaler Ebene planen. Das WSF erlaubte es uns – vor allem, als es parallel zum World Economic Forum WEF in Davos stattfand –  mit den Medien über globale Ungerechtigkeiten sprechen und Verbindungen zwischen den Journalisten und unseren Partnerorganisationen aufzubauen.

Manche sagen, das WSF liege auf dem Sterbebett, andere, darunter die Organisatoren des Forums 2018 in Salvador de Bahia, unterstreichen weiterhin die Bedeutung dieser Plattform für die internationale Zivilgesellschaft. Wie beurteilen Sie seinen Gesundheitszustand?

Die Agonie – und das WSF ist in einem sterbeähnlichen Zustand  – kann als eine Lebensphase mit Potential zur Wiedergeburt oder dann als Phase des fast Sterbens betrachtet werden. Sicher ist, dass sich das WSF in einer komplexen Situation befindet: Entweder gelingt es dieses Jahr die Aufmerksamkeit der Medienwelt und einer neuen Generation darauf zu ziehen, oder es muss zugegeben werden, dass das Verhältnis zwischen der Investition (menschlicher und finanzieller Ressourcen) und den Ergebnissen des Treffens in Bezug auf konkret daraus resultierenden Aktionen seinen Erhalt nicht mehr rechtfertigt.

Für mich ist es wünschenswert, dass das WSF weiterhin ein Begegnungsort für Akteurinnen und Akteure der Zivilgesellschaft bleibt, der eine Hilfe bei der Suche nach Synergien in den politischen Kämpfen für eine gerechtere Welt bietet. Eine interessante Entwicklung kann in Bezug auf die thematischen Foren beobachtet werden. Sie ermöglichen mit Sicherheit eine spezifische und klare Analyse, sowie die Planung von nachhaltigen Aktionen und dadurch eine verstärkte Sichtbarkeit.

Der Nachteil besteht darin, dass dadurch auf eine gewisse Weise die Interdisziplinarität, das holistische Denken und vielleicht auch die globale Kritik am System geopfert werden. Ich bin davon überzeugt, dass es auch weiterhin Plattformen geben muss, in denen wir darauf bestehen, dass „eine andere Welt möglich ist“ und die zentrale Kraft des WSF weiterhin gefordert ist. Es ist wichtig, Möglichkeiten zu finden, um die Debatten und die Ergebnisse des WSF nachhaltig sichtbar zu machen. Beispielsweise indem deren Weiterverfolgung auf regionaler Ebene geschieht und somit dezentralisiert Verbreitung findet, damit der Kern der WSF-Bewegung leben kann und auch weiterhin zweijährlich eine spezifische Veranstaltung durchgeführt wird.

Fastenopfer nimmt mit einer Fünfergruppe am WSF 2018 teil. Welche Erwartungen verbinden Sie damit?

Unsere Strategie sieht vor, „unsere Aktivitäten systematisch auf Transformation hin auszurichten“. Wir suchen also in Salvador de Bahia Verbündete, die bereit sind, mit uns vorwärts zu gehen, um unsere Realitäten hin zu einer gerechteren und gleichwertigeren Gesellschaft zu transformieren. Denn wir sind davon überzeugt, dass eine Änderung auf individueller und auf gesellschaftlicher Ebene nötig ist, um „el buen vivir“, ein „gutes Leben“ für alle, gerade auch für künftige Generationen möglich zu machen.

Eine besondere Herausforderung für uns wird sein, zusammen mit anderen Partnern, unser künftiges Programm „wirtschaftliche Alternativen“ weiter zu planen - ein Thema, das uns für die Zukunft entscheidend scheint. Das WSF war stets eine Wiege von Innovation, Aktion und Netzwerkarbeit. Wir wollen, mit Experten und Partnerinnen und Partnern aus der ganzen Welt, einen Austausch zum Thema „Neue Paradigmen für eine mögliche andere Welt“ organisieren, um die Reflexion und das Engagement für einen systemischen Wandel zu fördern. 

Eine Delegation von rund 30 Personen mit Schweizer Persönlichkeiten, organisiert von E-CHANGER, wird am WSF 2018 teilnehmen. Was halten Sie davon?

Wir waren schon immer daran interessiert, Teil dieser Schweizer Delegation zu sein, die Menschen aus Politik, Medien, Staat und Zivilgesellschaft vereint. Es war, und ich hoffe, es wird auch in Zukunft so sein, eine einzigartige Gelegenheit, Verbindungen innerhalb des WSF zu knüpfen, nicht nur auf globaler, sondern auch auf nationaler Ebene. Während einiger Tage zusammen zu sein, von einer gemeinsamen Analyse der globalen Herausforderungen zu profitieren und nach weiterführenden Aktivitäten für die Zukunft zu suchen, ist eine seltene Möglichkeit, die uns diese Reise bietet. Nach unserer Rückkehr in die Schweiz werden wir Erfahrungen gemeinsam weitergeben und Anregungen zur Reflexion, über die Agenda 2030 hinaus machen.

Ein abschliessender Gedanke?

Es gibt innerhalb des WSF zwei verschiedene Tendenzen: diejenige, die möchte, dass das Forum mit einer einzigen Stimme spricht und als solche öffentlich, politisch Stellung bezieht. Und diejenige, welche die Diversität innerhalb der Zivilgesellschaft anerkennt und respektiert, und demzufolge zur Synergie und zum gemeinsamen Erfahrungsaustausch all jener auffordert, die das wünschen. Fastenopfer und unsere europäische Plattform CIDSE haben schon immer die zweite Tendenz bevorzugt, denn sie scheint uns realistisch. Wir hoffen also, dass es am Weltsozialforum in Salvador de Bahia gelingen wird, die Menschen, die sich zusammenschliessen wollen mit gutem Willen zu vereinigen, für verschiedene Kämpfe zugunsten eine anderen möglichen und gerechteren Welt.