Süd-Perspektive

Übergangsjustiz als Ultima Ratio

12.12.2023, Weitere Themen

Der Prozess zur Entschädigung der «Genocost»-Opfer in der Demokratischen Republik Kongo geht nur schleppend voran. Einige Fortschritte sind jedoch zu verzeichnen.

Übergangsjustiz als Ultima Ratio

Eine Frau wartet an einer Registrierungsstelle für Binnenvertriebene, die vor dem Konflikt in der Provinz Kasai fliehen, 2017 in Gungu, Demokratische Republik Kongo.

© John Wessels / AFP

von Caleb Kazadi, Korrespondent von Justice Info in Kinshasa (RDC)

Nach drei Jahrzehnten der Gewalt steht fest: Die Zahl der Opfer in den verschiedenen Regionen der riesigen Demokratischen Republik Kongo (DRK) ist schier unermesslich, jedoch schwer quantifizierbar. Einige offizielle Schätzungen gehen von bis zu 10 Millionen Toten aus, welche dieser «Genocost» (der Begriff steht für Verbrechen aus Profitgier) gefordert hat. Mehrere zehntausend Frauen wurden über die Dauer des Konflikts in vielen der betroffenen Regionen der DRK Opfer sexueller Gewalt. Im Jahr 2020 betonte der Ministerrat unter dem Vorsitz des kongolesischen Präsidenten Tshisekedi, wie wichtig die Unterstützung des Prozesses und der Mechanismen der Übergangsjustiz sei, um Verantwortlichkeiten zu klären, Gerechtigkeit zu schaffen und Versöhnung zu ermöglichen. Drei Jahre später warten die Opfer immer noch auf den Beginn der Wiedergutmachung.

Mimie Witenkate, ein Gründungsmitglied der Congolese Action Youth Platform (CAYP), fordert die Regierung auf, die Empfehlungen des Mapping-Berichts der UNO umzusetzen, der die Gewalt in der Demokratischen Republik Kongo zwischen 1993 und 2003 dokumentiert. Der Bericht sieht insbesondere drei Nachbarländer in der Verantwortung: Burundi, Ruanda und Uganda. Die Aktivistin betont anlässlich des Gedenktages des kongolesischen Völkermords dass «ohne Gerechtigkeit keine Wiedergutmachung möglich ist. Frauen, die vergewaltigt wurden, erhalten einen kleinen Geldbetrag. Doch was ist danach? Ein paar Meter weiter wohnen Menschen, die Frauen und ihre Familienmitglieder verbrannt haben. Wie ist so ein Zusammenleben möglich?».

Ein neues Gesetz und ein Fonds zur Wiedergutmachung

Einige Fortschritte sind jedoch zu verzeichnen. Zum einen hat das Land im Dezember 2022 ein neues Gesetz verabschiedet, das den Schutz und die Wiedergutmachung für Opfer sexueller Gewalt in Verbindung mit Konflikten, Verbrechen gegen den Frieden und die Sicherheit der Menschen zum Gegenstand hat. Das Gesetz soll es ermöglichen, « Gewalt zu vermeiden und unsere Bevölkerung ein für alle Mal vor dem Wiederaufflammen solcher Gräueltaten zu schützen», so die Schirmherrin des Gesetzes, First Lady Denise Nyakeru Tshisekedi.

Ferner hat die DR Kongo zwei öffentliche Fonds für die Entschädigung von Opfern schwerer Verbrechen eingerichtet. Dabei handelt es sich um den Sonderfonds für die Entschädigung der Opfer der illegalen Aktivitäten Ugandas in der Demokratischen Republik Kongo, FRIVAO, und den nationalen Fonds für die Entschädigung der Opfer konfliktbedingter sexueller Gewalt und der Opfer von Verbrechen gegen den Frieden und die Sicherheit der Menschen, FONAREV. Der FRIVAO, der im Mai 2023 geschaffen wurde, ist für die Opfer des Sechstagekrieges von 2000 in Kisangani im Nordosten der DRK bestimmt, an dem ugandische Streitkräfte beteiligt waren. Der zweite Fonds wurde für die Opfer anderer schwerer Verbrechen eingerichtet, die seit 1993 begangen wurden.

Träger Entschädigungsprozess

Der Fall des FRIVAO steht symbolisch für die Trägheit, mit der dieser Prozess vonstattengeht. Im September 2022 überwies Uganda die erste Rate der Reparationszahlungen für die seinem kongolesischen Nachbarn zugefügten Schäden in Höhe von 65 Millionen US-Dollar, basierend auf einem Urteil des Internationalen Gerichtshofs. Fast ein Jahr später ist noch immer nichts davon an die Opfer ausgezahlt worden. Obwohl der Sitz von FRIVAO eigentlich in Kisangani geplant war, begnügt sich die Einrichtung derzeit mit einem Verbindungsbüro in den Räumlichkeiten des Justizgebäudes in Kinshasa.

Der Fonds ist mit keinen zweckgebundenen betrieblichen Mitteln ausgestattet, um sein Funktionieren zu gewährleisten. Laut einer mit dem Fall vertrauten Quelle ist der gesamte ugandische Geldbetrag ausschliesslich für die Opfer bestimmt, sodass kein Cent für andere Zwecke zur Verfügung steht. Im Protokoll des Ministerrats vom 18. August heisst es jedoch, die Zuweisung der ersten Zahlung von 65 Mio. USD, die Uganda im September 2022 geleistet hatte und die sich auf einem Übergangskonto befand, sei soeben ausgelöst worden. Aktuell wird an der Ausarbeitung eines strategischen Plans für die Übergangsjustiz gearbeitet. Dieses Dokument soll als Kompass für alle Massnahmen der Übergangsjustiz dienen, erklärt Joseph Khasa, Berater des Menschenrechtsministers, der für Fragen der Übergangsjustiz zuständig ist.

Schürfgebühren für die Opferentschädigung

Der Nationale Fonds für die Entschädigung von Opfern sexueller Gewalt (FONAREV) steht hingegen vor einem anderen Finanzierungsproblem. Für diese öffentliche Einrichtung waren ursprünglich 100 Millionen US-Dollar vorgesehen, die jedoch gegenwärtig nicht verfügbar sind. Gemäss dem Gesetz zur Einrichtung des FONAREV muss seine Finanzierung unter anderem aus Schürfgebühren oder externen Beiträgen – von Geldgebern, internationalen und philanthropischen Organisationen –  stammen. Der Fonds hält sich zwar bezüglich dieser externen Beiträge wie auch zu seinem Budget im Allgemeinen bedeckt, doch erliess die Regierung Mitte August ein Dekret, das die Modalitäten für die Erhebung und Verteilung der Schürfgebühren festlegt. Der Text bestätigt den prozentualen Anteil von 11% der Schürfgebühren zugunsten des FONAREV. Dabei dürfte es sich um eine beträchtliche Summe handeln, spülen diese Gebühren doch jährlich mehrere hundert Millionen US-Dollar in die Staatskasse.
 

Justice Info

Justice Info ist ein Medium der Fondation Hirondelle, das über aktuelle Gerechtigkeitsinitiativen in Ländern berichtet, die mit schwersten Gewalttaten wie Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen oder Völkermord konfrontiert sind. Die vielgestaltige und sich ständig weiterentwickelnde Übergangsjustiz (transitional justice) ist eine grosse Chance für den Wiederaufbau eines Volkes. Das Leitmotiv der Chefredaktion von Justice Info, die sich aus Fachjournalist:innen von unbestrittener internationaler Glaubwürdigkeit zusammensetzt, lautet: «Damit Gerechtigkeit geschaffen werden kann, muss sie auch sichtbar sein». Die Aufgabe von Justice Info besteht darin, all diese Prozesse zugänglich und verständlich darzustellen. Es geht darum, die Übergangsjustiz zu demokratisieren, sie in ihrer Lesart im weitesten Sinne populär zu machen und so einen Dialog zwischen ihren Akteuren und ihren Begünstigten zu ermöglichen.