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Schweizer Multis klagen­ gegen Staaten

30.06.2016, Handel und Investitionen

Schweizer Multis nutzen Investitionsschutzabkommen, um mit Klagen ihre Interessen durchzusetzen. Parallel dazu arbeitet das Seco an einer Revision dieser Abkommen.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

Schweizer Multis klagen­ gegen Staaten

Anfang März hat das Staatsekretairat für Wirtschaft (Seco) den Bericht einer interdepartementalen Arbeitsgruppe publiziert. Thema : die Überarbeitung der Schweizer Investitionsschutzabkommen (ISA). Alliance Sud und andere NGOs sind ernüchtert. Der Bericht verspricht zwar, dass umstrittene Bestimmungen besser definiert werden, doch es steht zu befürchten, dass die heikelsten Bestimmungen im – nicht veröffentlichten – Modellabkommen nicht ausgemerzt wurden. Zum Beispiel die Schirmklausel, die es einer Firma erlaubt, mit Verweis auf ein Investitionsschutzabkommen auf Verletzung ihres Vertrags mit einem Staat zu klagen. Oder die Tatsache, dass Gesundheits- und Umweltschutz immer noch nicht als Ausnahmen für eine indirekte Enteignung akzeptiert werden.

Dieses neue Modell für Investitionsschutzabkommen soll nicht rückwirkend auf die bestehenden 131 Abkommen mit Entwicklungsländern angewendet werden. Es ist jenen Entwicklungsländern vorbehalten, die ihre Abkommen mit der Schweiz auf eine neue Grundlage stellen wollen und vielleicht auch Industriestaaten (Kanada, den USA, der EU) angeboten werden sollen, mit denen die Schweiz keine solchen Abkom-men hat. Und die Schweiz könnte anlässlich der Verhandlun-gen um einen Freihandelsvertrag mit Kanada versucht sein, dort den Streitschlichtungsmechanismus (Investor State Dis-pute Settlement, ISDS) einzubauen, so wie das Ottawa mit der EU im CETA-Abkommen getan hat. Sollte die Schweiz der TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) beitreten, müsste sie diesen umstrittenen Mechanismus auch mit den USA und der EU übernehmen.

Das Seco bekräftigt, es wolle mehr Transparenz in Streitfällen. Wie nötig das ist, zeigt die unlängst bekannt gewordene Klage von Glencore gegen Kolumbien. Eingereicht wurde sie am 16. März beim Internationalen Zentrum für die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) auf der Basis des Investi­tionsschutzabkommens zwischen der Schweiz und Kolumbien. Worum es genau geht, ist völlig unbekannt, weder Glencore noch das Seco haben dazu informiert.

Neuland für Kolumbien

Bei der Klage handelt es sich um eine der ersten eines multinationalen Konzerns gegen Kolumbien. Gemäss der kolumbianischen Presse geht es um eine Anpassung im Vertrag um die Ausbeutung der Kohlemine von Calenturitas, die 2010 von Glencore und den kolumbianischen Behörden ausgehandelt wurde. Es ging dabei darum, dass Glencore Kolumbien weniger Abgaben entrichten sollte, seine Produktion erhöhen würde und davon letztlich auch Kolumbien finanziell profitieren sollte. Doch es kam anders. 2010 gingen die Abgaben von 129 auf 77 Milliarden kolumbianische Pesos zurück. Der kolumbianische Rechnungshof hat darauf die von Korruptionsgerüchten begleitete Neuverhandlung des Vertrags angefochten und Glencore zu einer Busse von 62 Milliarden Pesos (18 Millionen Dollar) verurteilt.

Kolumbien ist von der Baisse der Rohstoffpreise stark betroffen, zudem ist die Öffentlichkeit schockiert über eine Korruptionsaffäre rund um die Modernisierung der Raffinerie von Cartagena, die Glencore 2006 hätte in Angriff nehmen sollen. Kommt dazu, dass auch andere multinationale Rohstofffirmen gegen Bogotà geklagt und Umweltschutzmassnahmen wie die Schaffung eines Naturparks angefochten haben.

Für Alliance Sud ist es inakzeptabel, dass Gerichtsentschei-de eines souveränen Staates durch ein Handelsschiedsgericht, das privatwirtschaftliche Interessen beurteilt, in Frage gestellt werden können.

Eine weitere Klage am Horizont

Es könnte sein, dass noch weiteres Ungemach auf Kolumbien zu kommt. In einer «Erklärung von öffentlichem Interesse» hat das Land bekannt gegeben, dass es für die Ausgabe einer «obligatorischen Lizenz» für das Novartis-Leukämie-Medikament Glivec einsteht, das in Kolumbien unter dem Namen Imatinib verkauft wird. Dies würde der lokalen Pharmaindustrie erlauben, das Arzneimittel als Generikum zu 77 Prozent tieferen ­Kosten als Glivec zu produzieren. Aktuell kostet die Glivec-Be-handlung pro Patient und Jahr 20 000 Dollar. Zwischen 2008 und 2014 haben KolumbianerInnen gegen 134 Millionen Dollar für ­Glivec ausgegeben. Der Glivec-Entscheid ist präzedenzlos in Kolumbien.

Kein Wunder, wehrt sich Novartis dagegen. Schon er­ staunlicher und umstritten ist dagegen, dass auch die Schweiz Bogotá unter Druck setzt, den Entscheid zurückzuziehen. Ver-gangenes Jahr schrieb das Seco den kolumbianischen Behörden einen Brief und mahnte, die Glivec-Affäre könnte die guten wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern, die auf Freihandels-, Investitionsschutz- und Doppelbesteuerungsabkommen fussen, gefährden.

Eigentlich ist die Ausgabe solcher obligatorischer Lizenzen ge-deckt durch das WTO-Abkommen über handelsbezogene As-pekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS). Aber das Freihandelsabkommen zwischen der EFTA und Kolumbien ver-stärkt die Rechte an geistigem Eigentum und erschwert die Produktion von Generika. Es ist einer der Gründe, weshalb sich Alliance Sud gegen solche Abkommen ausspricht. Ein Land wie Kolumbien, das sich im Wiederaufbau nach Jahrzehnten des Bürgerkriegs befindet, benötigt zusätzliche Mittel, um das Recht auf Gesundheit seiner Bevölkerung zu sichern. Kommt dazu, dass auch in diesem Fall zu befürchten ist, dass der Streit letztlich wie der Glencore-Fall von einem zweifelhaft legiti-mierten Schiedsgericht verhandelt wird.

Klage von Alpiq gegen Rumänien

Mit Alpiq lässt es sich noch ein Schweizer Unternehmen nicht nehmen, im Ausland etwas einzuklagen, wofür es in der Schweiz keine Rechtsgrundlage gibt. Während der Stromkon-zern einen Teil seiner unrentablen Schweizer Staudämme verkaufen will und Subventionen verlangt, zögert er nicht, einen souveränen Staat einzuklagen, mit dem er sich nicht über vertraglich geregelte Abmachungen einigen kann.

2014 klagte Alpiq gegen Rumänien, nachdem der öffentliche Energiedienstleister Hidroelectrica Konkurs gegangen war und den Vertrag über Stromlieferungen kündigen musste. Die Klage bezieht sich auf das Investitionsschutzabkommen zwischen der Schweiz und Rumänien und den Vertrag über die Energiecharta, ein multilaterales Abkommen, dem die Schweiz angehört. Alpiq verlangt von Rumänien eine Entschädigung von 100 Millionen Euro ; die Klage ist hängig.

Für Alliance Sud ist es unhaltbar, dass ein Unternehmen gegen einen Staat klagt, der seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen kann. Denn gegen die Schweiz könnte Alpiq nicht klagen. Wenn hingegen die Schweiz ihre Staudämme an ausländische Unternehmen verkaufte, könnte sie von diesen verklagt werden. Im Falle etwa, dass sie Umwelt-schutzmassnahmen erliesse, welche den Profit der neuen Besitzer schmälern könnten. Und dies, selbst wenn es sich um Minderheitsbeteiligungen handeln würde.

Die heutigen Investitionsschutzabkommen bevorteilen einseitig die ausländischen Unternehmen, denn sie erlauben Klagen nur in eine Richtung. Seit einigen Jahren schon verlangt Alliance Sud von der Schweiz, ihre Abkommen ausgewogener zu gestalten und auf die Streitschlichtungsmechanismen zu verzichten. Bis heute wurde die Schweiz selbst noch nie an­ geklagt. Angesichts zunehmender Auslandsinvestitionen in der Schweiz liegt es jedoch auch im Interesse unseres Landes, ­dieser Möglichkeit mit gerechteren Investitionsschutzabkommen vorzubeugen.

Dieser Artikel ist in GLOBAL+ (Sommer 2016) erschienen.