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Schiedsgericht: Nicht mehr als ein Etappensieg
03.10.2016, Handel und Investitionen
Uruguay hat den jahrelangen Rechtsstreit wegen seiner Antitabak-Politik gegen Philip Morris gewonnen. Das Verfahren, das der Tabakmulti aufgrund eines Investitionsschutz-Abkommens der Schweiz angestrengt hatte, hätte auch anders ausgehen können.
Philip Morris hatte 2010 vor dem ICSID, einem Schiedsgericht der Weltbank, Klage erhoben. Der Tabak-Weltkonzern mit Hauptsitz in der Schweiz wehrte sich dagegen, dass Uruguay den Verkauf verschiedene Marlboro-Marken nur noch in einer Einheitspackung zulassen und 80% der Päckchen mit Warnung vor dem Tabakmissbrauch versehen wollte.
Die Klage sorgte unter NGOs weltweit für Empörung, in der Schweiz engagierte sich Alliance Sud an der Seite von Friends of the Earth Uruguay. Bemerkenswert: die Sekretariate der Weltgesundheitsorganisation und des WHO-Rahmenübereinkommens zur Eindämmung des Tabakgebrauchs hatten einen «amicus curiae» eingereicht. Diese schriftliche Stellungnahme legte dar, dass Uruguays Vorgehen mit der besagten Uno-Konvention durchaus vereinbar sei.
Das Schiedsgericht gab Uruguay auf der ganzen Linie Recht und verpflichtete Philip Morris nicht nur die Gerichtskosten, sondern auch einen Teil Prozesskosten des lateinamerikanischen Kleinstaats in der Höhe von 7 Millionen Dollar zu übernehmen. Es hielt fest:
- Uruguay hat keine seiner Verpflichtungen verletzt, die ihm aus dem ISA mit der Schweiz erwachsen.
- Die Regulierungsmassnahmen Uruguays waren keine Enteignung von Philip Morris sondern geschahen im guten Glauben, die öffentliche Gesundheit zu schützen.
- Die Massnahmen waren nicht willkürlich und stellten keine Verletzung der Rechte von Philip Morris dar. Im Gegenteil, es handelte sich um eine «faire und gerechte Behandlung», die durch die Wissenschaft und die internationale Gemeinschaft gestützt werde.
- Die Massnahmen hinderten Philip Morris nicht, in einer «unvernünftigen und diskriminierenden» Weise von seinen Patenten Gebrauch zu machen. Solange Uruguay legitime Interessen verfolge, ziele seine Politik nicht darauf, den Wert der Investitionen zu schmälern.
Bereits vergangenes Jahr war Philip Morris Asien mit einer vergleichbaren Klage gegen Australien abgeblitzt. In jenem Fall war ein ISA zwischen Hong Kong und Australien Grundlage der Klage, das Schiedsgericht hatte sich damals als nicht zuständig erklärt und war darum gar nicht auf die Klage eingetreten.
Was das Urteil bedeutet
Was bedeuten diese beiden Urteile für einen der weltweit führenden Zigarettenhersteller, für den Kampf gegen den Tabakmissbrauch und für das Verhältnis zwischen Investoren und Staaten, auf deren Gebiet investiert wird? Zeigt dieses Urteil, dass das System funktioniert und es zu keinen weiteren Klagen gegen Staaten kommen wird, die ihre öffentliche Gesundheit schützen, so wie es die Verteidiger des heutigen Systems behaupten? Nichts ist weniger sicher als das.
Die meisten Kommentatoren des Urteils sind sich einig, dass die Klagen von Philip Morris ihr Ziel auch so erreicht haben. Sie haben andere Staaten eingeschüchtert («chilling effect»), die eine ähnliche Politik wie Uruguay einschlagen wollen. Costa Rica, Paraguay, Neuseeland u.a. haben ihre entsprechenden Pläne zurückgefahren oder auf Eis gelegt. Und die Tabakmultis werden kaum zögern jene der ärmsten Länder in Afrika anzugreifen, die für sie als Zukunftsmärkte gelten.
Betont werden muss auch, dass dieser Urteilsspruch kein Präzedenzfall im internationalen Recht darstellt, dem es sich in Zukunft anzupassen gilt. Denn Schiedsverfahren sprechen nicht Recht. Schiedssprüche haben per definitionem etwas Unvorhergesehenes und Zufälliges. Der Grund dafür liegt in ihrer juristischen Vielfalt, das ICSID ist nur eine von verschiedenen Schiedsstellen, die juristischen Grundlagen, auf die sich die Schiedsrichter berufen, bleiben unklar und vage. Im vorliegenden Fall unterlag jener Schiedsrichter, den Philip Morris bestimmen durfte, gegen seine beiden Kollegen und publizierte eine abweichende Meinung. Das alles spricht dafür, dass die ISA im Interesse der Staaten, in denen investiert wird, ausgewogener formuliert werden müssen. Auch und gerade die Schweizer ISA.
Die Klausel zur «fairen und gerechten Behandlung»
ia. Philip Morris hatte namentlich eine Verletzung des Prinzips der «fairen und gerechten Behandlung» geltend gemacht , ein äusserst dehnbarer und verschwommener Begriff. Nicht umsonst ist es jenes Prinzip, dass vor den Schiedsgerichten am häufigsten ins Feld geführt wird. Es beinhaltet das Konzept «legitimer Erwartung» des Investors, nicht nur in Bezug auf seine Investition, sondern auch bezüglich des Rechts seine Geschäfte zu gestalten. Im Fall einer Investition in der Landwirtschaft kann das zum Beispiel heissen, dass heute oder in Zukunft Wasser zu Bewässerungszwecken gepumpt werden darf, selbst wenn dies zu Konflikten mit den Bedürfnissen der Bevölkerung führen könnte.
Sogar wenn – wie im Philip Morris-Fall – die Schiedsrichter zum Schluss kommen, dass dieses Prinzip nicht verletzt wurde, gibt es durchaus verschiedene Auslegungen wie gross der Spielraum einer Regierung ist, den sie im Fall der öffentlichen Gesundheit beanspruchen kann. Im Fall Duke Energy and Al vs. Ekuator (2008) zum Beispiel unterstrich das Schiedsgericht, dass die Erwartungen des Investors bezüglich des gesetzlichen und geschäftlichen Umfelds angemessen sein müssen. Es gab dem klagenden Unternehmen trotzdem Recht und stellte fest, dass Ekuador der Firma keine Garantiezahlung gewährt habe, wie es im Investitionsvertrag vorgesehen gewesen sei. Ekuador wurde zu einer Entschädigungszahlung von 5.5 Millionen Dollar plus Zinsen verurteilt.
Im Fall CMS vs. Argentinien (2005) machte die US-amerikanische Gasfirma CMS Gaz Transmission Company eine Verletzung der «fairen und gerechten Behandlung» geltend und erhielt eine Entschädigung von 132 Millionen Dollar zugesprochen. Ende der 1980er Jahre hatte Argentinien beschlossen, gewisse Staatsunternehmen – namentlich im Gassektor − zu privatisieren und den Peso an den Dollar zu koppeln. Zehn Jahre später, als es darum ging einer tiefen Rezession zu begegnen, erklärt Argentinien den Ausnahmezustand und gab die Währung frei. Seither ächzt Argentinien unter den Klagen ausländischer Investoren, mehr als vierzig an der Zahl. In diesem Fall hatte das Schiedsgericht entschieden, dass das Tarifregime ein entscheidendes Element für den Investor gewesen sei und dessen Änderung die rechtliche und geschäftliche Umgebung, auf welche sich der Investor ursprünglich eingestellt habe, komplett verändert habe.
Sicher, dabei handelt es sich nicht um Klagen, die auf Schweizer Abkommen beruhen, aber solche Klagen kann es jederzeit wieder geben. Für Alliance Sud sollte sich das Modell neuer Schweizer ISA an den Abkommen zwischen den USA und Kanada orientieren. Das kanadische Modell übernimmt eine sehr zurückhaltende Interpretation der «fairen und gerechten Behandlung»: Es setzt voraus, dass diese in ihrem Geltungsbereich nicht über die generellen Prinzipien des internationalen Gewohnheitsrechts hinausgehen soll und sich daran orientieren soll, was dort als Minimalstandard bei der Behandlung von Ausländern gilt.