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Putzen für Paschas
14.06.2019, Agenda 2030
Die Mehrheit der Angestellten im Tourismus ist weiblich. Ob Tourismus als Entwicklungsmotor für Gleichberechtigung taugt, ist eine Frage der Arbeits- und Rahmenbedingungen, die der Sektor den Frauen bietet.
Haben Sie Ihre Sommerferien schon gebucht? Wie wählen Sie Ihr Reiseziel aus? Stehen Sie manchmal auch vor dem Schaufenster eines Reisebüros und staunen, für wie wenig Geld man all in ans andere Ende der Welt reisen kann? Was für uns Kundinnen und Kunden auf den ersten Blick positiv scheinen mag, bezahlen die Angestellten im Reiseland mit schlechten Arbeitsbedingungen und ungenügendem Schutz bei Umwelt und Menschenrechten.
Wenn wir in die Ferien reisen, wollen wir uns entspannen oder suchen das Abenteuer und den Ausbruch aus dem Arbeitsalltag. Wenn wir einen Aufenthalt im Hotel buchen, geniessen wir es, die täglichen Haushaltsarbeiten wie Putzen, Einkaufen oder Kochen abgeben zu können. Vielleicht nutzen wir auch – zumindest für wenige Stunden – gerne die Möglichkeit, die Kinder betreuen zu lassen.
Diese Arbeiten werden mehrheitlich von weiblichen Angestellten ausgeführt. Gemäss der Statistiken der Internationalen Arbeitsorganisation ILO sind mehr als 55% der Angestellten im Tourismussektor (Hotel, Catering und Tourismus) Frauen. In einzelnen Ländern ist der Anteil noch wesentlich höher. So sind beispielsweise in Thailand 76% der Angestellten weiblich. Sei es als Zimmermädchen, als Bedienung im Restaurant oder für die Kinderbetreuung. Es sind die klassisch-traditionellen Hausfrauenaufgaben. Auf Englisch gibt es dafür den Begriff der housewifization des Tourismussektors. Er impliziert die Geringschätzung von Aufgaben, die vermeintlich keine zusätzlichen Qualifikationen verlangen. Jobs für Frauen im Tourismusbereich führen also die strukturellen Benachteiligungen der Frauen weiter und verschärfen sie.
In einer kürzlich erschienenen Studie «Sun, Sand and Ceilings» geht die britische NGO „Equality in Tourism“ der Frage nach, wie es mit der Gleichberechtigung im Tourismussektor aussieht. Sie vergleicht insbesondere die Vertretung von Frauen in den Verwaltungsräten von Hotels, Reiseveranstaltern, Flug- und Kreuzfahrtgesellschaften. Zwar konstatiert sie einen steigenden Anteil von Frauen, 2018 lag er bei 23%. Das bleibt ein Armutszeugnis, zumal andere Branchen, in denen weniger Frauen arbeiten, wesentlich schnellere Fortschritte machen. Schweizer Firmen gehören dabei mit zu den rückständigsten: Im Verwaltungsrat der in Baar (ZG) beheimateten Mövenpick Holding etwa sitzen ausschliesslich Männer.
Generell sind Frauen krass untervertreten in Kaderstellen im Tourismus. Auf Ebene der Geschäftsleitung beträgt der Anteil von Frauen 25.5%. Der ungleiche Zugang zu Kaderstellen geht einher mit einer krass ungleichen Lohnverteilung zwischen den Geschlechtern.
Abhängig und wehrlos
In armen und ärmsten Ländern sehen sich Frauen im Tourismus noch vielen anderen Erschwernissen gegenüber. So arbeiten sie oft im informellen Sektor, als Strassenverkäuferinnen oder als unbezahlte Arbeitskräfte im Familienbetrieb. Im formellen Sektor werden Frauen für die unqualifizierten Jobs eingestellt. Gerade im Kontext von Armut und hoher Arbeitslosigkeit ergibt sich dadurch eine Situation der Abhängigkeit, die – wenn rechtlicher Schutz von Arbeitnehmenden ungenügend ist oder ganz fehlt – von den Arbeitgebenden ausgenutzt wird. Die Frauen, die auf einen Zusatzverdienst angewiesen sind, sehen sich gezwungen, lange Arbeitszeiten in Kauf zu nehmen, Überstunden zu leisten, auf Abruf eingesetzt zu werden. Oft hat dies auch Auswirkungen auf die physische und psychische Gesundheit der Frauen. Materielle Abhängigkeit führt auch dazu, dass weibliche Angestellte sich nicht gegen sexuelle Belästigung wehren können. Hotels oder Bars, die dem Gast suggerieren, sich wie „zu Hause zu fühlen“ verwischen die Grenze zwischen privat und öffentlich, so dass sich Gäste nicht selten so verhalten, wie sie dies in einem klar öffentlichen Kontext nie tun würden. Wird die gängige Devise „Der Gast ist König“ ohne moralischen Kompass gelebt, so trauen sich Angestellte kaum, problematisches Verhalten anzusprechen oder Beanstandungen werden gar nicht erst weiter verfolgt.
Tourismus, wie er heute Mainstream ist, verstärkt tendenziell bestehende strukturelle Benachteiligungen von Frauen eher. Sie verrichten die unqualifizierten, unsichtbaren und schlecht bezahlten Jobs. Eine Stärkung von Frauen kann nur dann erreicht werden, wenn sie Zugang zu den sichtbaren Jobs mit Macht- und Entscheidungsbefugnissen erhalten. Zusätzlich braucht es klare rechtliche Rahmenbedingungen, sowohl im globalen Süden wie auch bei uns, um Ausbeutung zu verhindern, bei Arbeitsbedingungen sind Mindeststandards zu setzen und gewerkschaftliches Engagement zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen muss geschützt sein. Ausserdem müssen Tourismusprojekte auf ihre Auswirkungen im lokalen Kontext hin geprüft werden. Nebst der Beachtung der Menschenrechte und des Umweltschutzes braucht es eine Prüfung aus Gender-Perspektive. Damit der Tourismus tatsächlich einen Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung leistet, muss er sich grundlegend transformieren. Ein entscheidender Faktor dabei ist selbstredend das individuelle Verhalten: Über unsere Nachfrage haben wir es in der Hand, nachhaltigem Tourismus zum Durchbruch zu verhelfen. Qualität hat immer ihren Preis.
Las Kellys
In Spanien wehren sich Zimmermädchen gegen sich verschlechternde Arbeitsbedingungen im Tourismusbereich. Sie nennen sich „Las Kellys“, abgeleitet vom spanischen „las que limpian“, also diejenigen, die putzen. Im Nachgang der Finanzkrise wurden in Spanien die Arbeitsrechte gelockert. Im Tourismusbereich wurde die Möglichkeit geschaffen, einzelne Arbeiten auszulagern. Dieses Outsourcing ohne regulierte Mindestlöhne führte – in einem Kontext von steigender Arbeitslosigkeit – zu einer massiven Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Mehr Zimmer in der gleichen Zeit putzen, unbezahlte Überstunden, sinkende Löhne. In der Hektik und dem Stress steigen Unfall- und Krankheitsrisiko. Dagegen gehen die „Las Kellys“ in Spanien bunt und laut auf die Strasse und in die sozialen Medien. Unsichtbare Arbeit soll sichtbar werden.
Das Reiseportal fairunterwegs.org bietet Informationen zu Themen von Tourismus und nachhaltiger Entwicklung sowie Tipps zur Reiseplanung oder einen Wegweiser zu Labels für fairen und nachhaltigen Tourismus.