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Jetzt amtlich bestätigt: So trickst die Schweiz

26.03.2018, Klimagerechtigkeit

«Mehr als 60% des Treibhausgas-Fussabdrucks entstehen im Ausland.» So schreibt das Bundesamt für Statistik (BFS) im Titel seiner Publikation im Februar 2018. Damit anerkennt die offizielle Schweiz endlich ihre Klimaverantwortung in der Welt.

Jetzt amtlich bestätigt: So trickst die Schweiz

Eine Erhöhung des Benzinpreises ist politisch kaum mehrheitsfähig. Vielversprechende Instrumente zur Finanzierung des Schweizer Klimabeitrags hat der Bund jedoch 2011 schubladisiert.
© Daniel Rihs

von Jürg Staudenmann, ehemaliger Fachverantwortlicher «Klimapolitik»

Das Bundesamt für Statistik (BFS) steht für Sachlichkeit und Präzision; seine Erhebungen sind unbestechlich und dienen den politischen und wirtschaftlichen Kräften unseres Landes als analytische Grundlage. Nun legt das BFS erstmals Zahlen vor, die eine seit Jahren vorgebrachte, zentrale Kritik von Alliance Sud bestätigen: Es ist unhaltbar, dass die offizielle Schweiz ihre Klimaverantwortung mit der Treibhausgasbilanz gleichsetzt.

In einer Erhebung stellt das BFS fest, dass die «im Ausland aufgrund der Schweizer Endnachfrage entstandenen Emissionen» mit 76 Mio. Tonnen CO2eq pro Jahr fast doppelt zu Buche schlagen wie der Treibhausgasausstoss innerhalb der Landesgrenzen. Dies sei darauf zurückzuführen, dass wir immer mehr unserer energie- und emissionsintensiven Produktion ins Ausland verlagern.

Das Treibhausgasinventar wird regelmässig im Rahmen der Berichterstattung zum Kyoto-Protokoll erstellt. Es basiert auf dem Territorialprinzip, erfasst also nur Emissionen, die innerhalb der Landesgrenzen entstehen. Es blendet somit den Konsum von Importwaren genau so aus, wie Emissionen, die durch Flüge und Autofahrten ins Ausland verursacht werden. Ebenso wenig erfasst werden die Emissionen von Schweizer Unternehmen, die beispielsweise bei der Ausbeutung und Umwandlung von Rohstoffen oder der Produktion von Waren und Dienstleistungen im Ausland entstehen. Für Staaten wie die Schweiz, die zunehmend Emissionen ins Ausland verlagern statt diese zu vermeiden, wirkt sich diese statistische Verfälschung «günstig» aus.

Wie gesagt, neu ist diese Erkenntnis nicht: In ihrem Masterplan forderte auch die Klimaallianz 2016, dass die Klimapolitik der Schweiz an ihrem Gesamteintrag in die Atmosphäre weltweit ausgerichtet werden muss. Alliance Sud kritisiert seit Jahren, dass der Bundesrat insbesondere bei der Abschätzung ihrer gemäss Pariser Klimaübereinkommen geschuldeten Klimafinanzierungs-Beiträge zwar immer das Verursacherprinzip beschwört, dabei aber nur jenes Drittel der Schweizer Emissionen berücksichtigt, das innerhalb der Landesgrenzen emittiert wird.

Neu ist, dass nun endlich auch von offizieller Seite her eine Gesamtschau postuliert wird. Das sei «gerade in einem Land wie der Schweiz, das intensive weltweite Handelsbeziehungen unterhält» zentral, schreibt das BFS. Dadurch könne Kohärenz zur sogenannten Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung erzielt werden, einer OECD-weiten Methodik, die ebenfalls dem sogenannten Residenzprinzip folgt.

Das BFS hat jetzt den Grundstein gelegt für eine verlässliche Abschätzung der «gemeinsamen aber differenzierten» Klimaverantwortung der Schweiz. Seine Modellierung hat errechnet, dass sich die Schweizer Emissionen auf fast das Dreifache dessen belaufen, woran sich der Bundesrat bis anhin orientierte. Der von der Schweiz zu leistende Anteil an der internationalen Klimafinanzierung erhöht sich demnach auf 900 Millionen Franken pro Jahr; zur Erinnerung:  in seinem  Bericht vom 10. Mai 2017 ging der Bundesrat noch von 450 bis 600 Millionen aus.

Die Diskussion um den «fairen» Anteil der Schweiz an der Klimafinanzierung kann und muss damit ad acta gelegt werden. Das Augenmerk sollte endlich auf die dringend notwendige Mobilisierung zusätzlicher Finanzmittel gelegt werden.

 

Das Prinzip «Common but Differentiated Responsibility» 


js. Seit der Rio-Erklärung zu Umwelt und Entwicklung von 1992 nimmt das Prinzip der gemeinsamen aber differenzierten Verantwortung (engl. CBDR) eine bedeutende Rolle in der internationalen Klimadebatte ein. Dem CBDR-Prinzip liegt die Erkenntnis zugrunde, dass globale Umweltbedrohungen wie Klimaveränderungen, Biodiversitätsverlust oder Desertifikation nur durch gemeinsames Handeln angegangen werden können. Weil die verschiedenen Länder jedoch in unterschiedlichem Masse dafür verantwortlich sind, müssen die Lasten bei Vorbeugung und Bekämpfung unterschiedlich verteilt werden.