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Informationsaustausch: Automatisch selektiv

28.03.2017, Finanzen und Steuern

Der Bundesrat will den automatischen Austausch der Bankdaten möglicher Steuerhinterzieher auf wenige Entwicklungsländer ausweiten. Aber auch auf die G20-Mitglieder China und Russland. Dem Parlament stehen heftige Debatten bevor.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

Informationsaustausch: Automatisch selektiv

Schweizer Bankkonten der nigerianischen Geldelite bleiben vom AIA ausgeschlossen. In Lagos, der grössten und am schnellsten wachsenden Stadt Afrikas, leben die reichsten AfrikanerInnen, die Stadt zählt aber auch zur Weltspitze in Sachen Ungleichheit. Bild: Ikeja City Mall, Lagos.
© Keystone/Noor/Robin Hammond

Im Januar hat die Schweiz offiziell den AIA, den automatischen Informationsaustausch zu Steuerzwecken, eingeführt. Nächstes Jahr wird sie ihn erstmals in die Praxis umsetzen und den Steuerbehörden verschiedener Staaten Daten zu den Bankkonten ihrer Bürgerinnen und Bürger übermitteln. Das ist ein grosser Schritt für ein Land, das in der Weltöffentlichkeit noch vor kurzer Zeit als der Inbegriff einer Steueroase galt.

Selbstverständlich steht die Schweiz mit der Einführung des AIA aber nicht alleine da. Das neue System der steuerlichen Transparenz ist inzwischen zum internationalen Standard geworden. Über 100 Länder haben bereits das entsprechende multilaterale Rahmenabkommen (das Multilateral Competent Authority Agreement, MCAA) unterschrieben. Sie alle sind nun daran, den AIA über bilaterale Vereinbarungen wechselseitig in die Tat umzusetzen. Mehr als die Hälfte von ihnen wird erste Informationen schon dieses Jahr austauschen, und zwar in vielen Fällen mit vierzig und mehr Partnerstaaten. Die Schweiz hinkt diesen Vorreitern gleich doppelt nach: Sie setzt den AIA nicht nur ein Jahr später um, sondern beschränkt ihn vorderhand auf 38 Partner. Konkret sind das die 28 Mitgliedstaaten der EU und einige ausgewählte Industrieländer ausserhalb der EU.

Per 2019: Ausweitung auf ausgewählte Schwellenländer...

Entwicklungs- und Schwellenländer findet man bisher keine auf der Liste der Staaten, mit denen die Schweiz den AIA ganz sicher eingehen wird. Das soll sich nun aber ändern: In zwei fast gleichzeitigen Vernehmlassungsverfahren hat der Bundesrat auf das Jahr 2019 hin die Ausweitung des AIA auf eine Reihe zusätzlicher Länder vorgeschlagen. Zu den neuen Kandidaten gehören Schwellen- und fortgeschrittene Entwicklungsländer in Lateinamerika (Argentinien, Brasilien, Chile, Costa Rica, Kolumbien, Mexiko und Uruguay) und Asien (Indien, Indonesien und Malaysia), Mauritius, die Seychellen und Südafrika.

Aus entwicklungspolitischer Sicht ist der Einschluss dieser neuen Partner ins AIA-System sehr zu begrüssen, wenngleich es sich dabei ausschliesslich um Länder mit vergleichsweise hohem Einkommen handelt. Den betreffenden Staaten würden sonst durch die Steuerflucht ins Ausland weiterhin Einahmen verloren gehen, die ihnen nicht nur zustehen, sondern auch weitere Entwicklungsfortschritte ermöglichen. Alliance Sud wird sich dafür einsetzen, dass der Erweiterungsvorschlag des Bundesrates eine parlamentarische Mehrheit findet.

…und ein paar Unrechtsstaaten

Für heisse Köpfe in der Parlamentsdebatte ist allerdings bereits gesorgt. Der Bundesrat will den AIA nämlich im selben Paket auch auf die einflussreichen G20-Staaten China, Russland und Saudi Arabien ausweiten. Das sind Länder mit grossen Mängeln in Sachen Rechtsstaatlichkeit. Alle drei werden von der Menschenrechtsorganisation Freedom House mit Blick auf politische und zivile Rechte als absolut ungenügend («not free») eingestuft. Auch mit dem Datenschutz nehmen sie es nicht sehr genau. Nationalkonservative Ratsmitglieder in Bundesbern haben deshalb bereits angekündigt, in der parlamentarischen Beratung zum Informationsaustausch mit solchen Unrechtsstaaten Zeter und Mordio zu schreien.

Notabene ist der Widerstand vieler Parlamentarierinnen und Parlamentarier aber oft sehr leise, wenn es bei rechtsstaatlich mangelhaften Partnerländern um Freihandelsakommen oder den Waffenhandel geht: Dort spielen moralische Überlegungen nur eine marginale Rolle. Die Argumente nationalkonservativer Kreise gegen die Ausweitung des AIA erinnern denn auch unangenehm an eine längst überholte Rechtfertigungsideologie: Das Schweizer Bankgeheimnis diene bloss dem Schutz rechtschaffener Menschen im Ausland vor Übergriffen durch erpresserische Staatsapparate.

Tatsache ist, dass sich über den fehlenden Informationsaustausch vor allem Steuerhinterzieher freuen, die ihrem Heimatland wichtige Finanzmittel für die Bildung, die Gesundheitsversorgung oder Verkehrsinfrastruktur entziehen – und dann trotzdem von diesen Gemeingütern profitieren. In der Regel handelt es sich dabei um Angehörige der wirtschaftlichen Elite, deren Reichtum auch ohne das Wissen um ein Konto in der Schweiz offensichtlich ist. Für staatliche Übergriffe ist der AIA hier kaum relevant.

Wer ist vom AIA betroffen?

Linke Parlamentarierinnen und Parlamentarier sorgen sich beim AIA mit Ländern wie China oder Russland denn auch weniger um die Rechte möglicher Steuerhinterzieher. Ihre Sorge gilt vielmehr Auslandbürgerinnen und -bürgern, die nicht einfach unversteuertes Vermögen in die Schweiz verfrachten, sondern hierzulande leben. Sie befürchten, bei diesen Personen könnte der Austausch sensibler Bankdaten nicht zuletzt die im Heimatland verbliebenen Familienmitglieder in Bedrängnis bringen.

Diese Befürchtung ist aber unbegründet. Der AIA betrifft nur Informationen zu Kontoinhabern, die gemäss den Gesetzen des Partnerstaates dort ihren steuerlichen Wohnsitz haben. In der Regel (und insbesondere in den Fällen Russland und China) setzt das voraus, dass man mindestens die Hälfte des Jahres wirklich im betreffenden Land verbringt. Personen mit dauerhaftem Wohnsitz in der Schweiz bleiben also fast immer vom AIA unberührt.

Hinzu kommt, dass das Global Forum on Tax Transparency der OECD die Datenschutzbestimmungen aller Länder, die das multilaterale Rahmenabkommen zum AIA unterschrieben haben, regelmässig überprüft. Es soll sicher gestellt sein, dass die übermittelten Informationen bei den Steuerbehörden verleiben und ausschliesslich für die Steuererhebung genutzt werden. Der Bundesrat behält sich vor, bei der praktischen Umsetzung des AIA erst dann Daten zu übermitteln, wenn das betreffende Partnerland in dieser Prüfung eine genügende Note erhält. Kommt es trotzdem zu nachweisbaren Missbräuchen, kann der AIA aufgehoben werden. Das sieht auch das multilaterale Rahmenabkommen so vor.

Rosinenpickerei

Das eigentliche Problem bei der Ausweitung des AIA, die der Bundesrat im Sinn hat, ist darum ein anderes: die selektive Auswahl der Partnerländer. Auf der bundesrätlichen Kandidatenliste kommen nämlich keineswegs alle Länder vor, die das multilaterale Rahmenabkommen zum AIA unterzeichnet haben. Ghana zum Beispiel, das vom Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) mit Geldern aus dem Entwicklungsbudget bei der Erhöhung seiner Steuereinnahmen unterstützt wird, fehlt auf dieser Liste. Warum das so ist, geht aus den Vernehmlassungsunterlagen nicht hervor.

Last but not least fehlen auf der Schweizer AIA-Liste weiterhin alle ärmeren Entwicklungsländer. Ihre Eliten können also weiterhin unbehelligt unversteuerte Gelder auf Schweizer Bankkonten horten. Allerdings hat bisher auch keines dieser Länder das multilaterale Rahmenabkommen unterschrieben. In vielen Fällen dürfte der Grund dafür sein, dass die nötige Infrastruktur fehlt, um Daten über mögliche ausländische Kontoinhaber zu sammeln und automatisch an deren Steuerbehörden zu versenden. Die kostspielige technische Bereitschaft zum reziproken Informationsaustausch ist aber Voraussetzung, um dem multilateralen System beizutreten. Einige fortschrittliche Industrieländer sind deshalb freiwillig bilaterale AIA-Pilotprojekte mit ärmeren Entwicklungsländern eingegangen, bei denen sie vorderhand auf die Forderung nach Reziprozität verzichten. Aus entwicklungspolitischer Sicht stünde es der Schweiz gut an, es diesen Ländern gleichzutun.