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Klimaschutzinitiativen der Banken: die grosse Ernüchterung

21.06.2024, Finanzen und Steuern

Um mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens übereinzustimmen, haben Banken freiwillige Klimaallianzen ins Leben gerufen und preisen deren Vorzüge an. Eine aktuelle Studie der Europäischen Zentralbank attestiert ihnen aber Wirkungslosigkeit.

Laurent Matile
Laurent Matile

Experte für Unternehmen und Entwicklung

Klimaschutzinitiativen der Banken: die grosse Ernüchterung

Unmengen an Kohle treiben in Ostkalimantan, Indonesien, riesige Aluminiumwerke an. Schweizer Banken sind an diesen vermeintlich «grünen» Anlagen beteiligt. © Dita Alangkara / Keystone / AP Photo

Die US-Finanzministerin Janet L. Yellen erklärte im November 2021 auf der COP26 in Glasgow, dass «der Privatsektor bereit ist, die notwendigen Finanzmittel bereitzustellen, damit wir die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels verhindern können». Angesichts des Drucks, den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft zu vollziehen oder, anders ausgedrückt, sich «an den Klimazielen des Pariser Abkommens auszurichten», haben sich Finanzakteure auf der ganzen Welt einer Reihe freiwilliger Klimaschutzinitiativen angeschlossen, darunter der Glasgow Financial Alliance for Net Zero (GFANZ) unter der Federführung von Mark Carney, dem ehemaligen Gouverneur der Bank of England, und dem milliardenschweren Financier Mike Bloomberg.

Bei der Gründung der GFANZ auf der COP26 hatten sich 100 Banken, Versicherer und Vermögensverwalter dazu verpflichtet, 130 Billionen USD Kapital zur Senkung der CO2-Emissionen und zur Finanzierung der Energiewende bereitzustellen. Sie haben sich ebenfalls verpflichtet, bis 2050 das «Netto-Null-Ziel» zu erreichen, d. h. sie sollen in ihrer gesamten Geschäftstätigkeit nicht mehr CO2-Emissionen verursachen, als sie mit technischen Massnahmen der Atmosphäre wieder entziehen. Damit die Klimaneutralität weltweit bis 2050 realisiert wird, müssten laut der Internationalen Energieagentur (IEA) allein in den Entwicklungs- und Schwellenländern jährlich 2’000-2'800 Milliarden USD in saubere Energien investiert werden. Die Ankündigungen des Finanzsektors in Glasgow weckten bei einigen Akteuren grosse Erwartungen – bei anderen stiessen sie auf Skepsis.

In einer aktuellen Studie der Europäischen Zentralbank (EZB) haben Forschende nun untersucht, wie sich die freiwilligen Klimaschutzverpflichtungen der Banken – vor allem der Net Zero Banking Alliance, eine der acht zur GFANZ gehörenden Brancheninitiativen – auf ihr Kreditvergabeverhalten und die kreditnehmenden Unternehmen auswirken. Die Ergebnisse sind für die betroffenen Finanzakteure beschämend.

Profil der Unterzeichnerbanken

Unter den NZBA-Unterzeichnerbanken (im Folgenden NZBA-Banken) sind auch Megabanken, die hauptsächlich «braune» Sektoren finanzieren, wobei der Grossteil ihrer Kredite auf den Bergbausektor (Kohle, Öl, Gas) und ein geringerer Anteil auf die gemäss EU-Taxonomie «grün» genannten Sektoren entfällt. Die NZBA-Banken haben sich Ziele gesetzt, die vorrangig die Bereiche Stromerzeugung, Öl und Gas sowie Verkehr betreffen.1 Die Studie der EZB kommt nun zum Schluss, dass die Banken freiwillige Klimaschutzverpflichtungen eingehen, um ihr ESG-Rating (Environmental, Social, Governance) zu verbessern und daraus Reputations- und finanzielle Vorteile zu ziehen, insbesondere bei institutionellen Anlegern.

Wie wirkt sich all das auf Desinvestitionen aus?

Die Sektorziele stellen eine freiwillige Verpflichtung der Banken dar, die finanzierten Emissionen bis 2030 respektive 2050 im Vergleich zu einem vorab festgelegten Referenzwert zu reduzieren. Wenn sich die Banken dafür entscheiden, ihre Ziele durch Desinvestitionen zu erreichen, muss sich dies in einer Verringerung der Finanzierung der Zielsektoren niederschlagen.

Die Studie hat ergeben, dass die NZBA-Banken ihre Kreditvergabe an Schwerpunktsektoren um etwa 20 % reduziert haben, was auf den ersten Blick die Hypothese zu bestätigen scheint, dass sich die Banken aus den «braunen» Sektoren zurückziehen. Dem ist jedoch nicht so. In einem Vergleich zur nicht unterzeichnenden Konkurrenz wurden keine Hinweise dafür gefunden, dass die NZBA-Banken in prioritären Sektoren oder sonstigen kohlenstoffintensiven Unternehmen (z. B. Bergbauunternehmen oder Unternehmen, die nach der EU-Taxonomie nicht als «grün» gelten) stärker desinvestiert hätten. Auch erhöhten die NZBA-Banken ihre Kreditvergabe an «grüne» Unternehmen nicht, nachdem sie der Allianz beigetreten waren. Das lässt gemäss der Studie den Schluss zu, dass fraglich ist, ob NZBA-Banken sich aktiv aus «braunen» Sektoren zurückziehen, um in «grüne» Sektoren zu investieren.

Kein Malus für Umweltsünder...

Weiter zeigt die Studie auf, dass die Klimaschutzverpflichtungen der Banken kaum zu Zinserhöhungen für die Finanzierung von «braunen» Unternehmen geführt haben. In prioritären Sektoren betrug der Anstieg lediglich 0,25% und im Bergbausektor 0,55%. Ausserdem wenden die NZBA-Banken keine niedrigeren Zinssätze für «grüne» Unternehmen an. Mit anderen Worten: Die Banken bestrafen weder die schlechten Schüler mit einem Malus, noch belohnen sie die guten mit einem Bonus!

...und keine Hebelwirkung auf die Unternehmen

Die Studie der EZB belegt ausserdem, dass die NZBA keine Hebelwirkung auf Unternehmen hat. Denn anstatt zu desinvestieren, könnten die «klimafreundlichen» Banken eine sogenannte Engagement-Strategie verfolgen, indem sie von Unternehmen, denen sie Kredite gewähren, verlangen, eigene Klimaziele festzulegen. Denn wenn sich ein Unternehmen dazu verpflichtet, seine Kohlenstoffdioxidemissionen zu reduzieren, besteht der erste Schritt darin, sich ein eigenes Dekarbonisierungsziel zu setzen, das besagt, um wie viel das Unternehmen seine Emissionen reduzieren will und bis wann es diese Reduktion erreichen will. Anders ausgedrückt muss ein Transitionsplan festgelegt werden.

Nun ist die Zahl der Unternehmen, die sich solche Ziele gesetzt haben, seit 2018 zwar gestiegen, aber die Unternehmen, die bei NZBA-Banken Kredite aufnehmen, setzen sich nicht eher Klimaziele als andere. Das heisst, die NZBA-Banken haben durch ihr Engagement keinen spezifischen klimapolitischen Hebel auf die Unternehmen.

Freiwillige Initiativen wirkungslos

Seit der Unterzeichnung des Pariser Abkommens haben die Finanzinstitute mit grossem Kommunikationsaufwand ihre Absicht bekundet, Klimaschutzaspekte in ihre Kredit- und Investitionsentscheidungen einzubeziehen. Nun decken die Ergebnisse der EZB-Studie – der ersten ihrer Art – schonungslos auf, wie wirkungslos die Net Zero Banking Initiative ist. Auch wenn die NZBA-Banken, gemessen am Volumen, ihre Kreditvergabe an emissionsintensive Sektoren reduziert haben, sind die «Desinvestitionen» nicht höher als bei den nicht unterzeichnenden Banken. Darüber hinaus spricht die Studie in Bezug auf die durch Engagement-Strategien erzielten Ergebnisse eine klare Sprache: Unternehmenskunden der NZBA legen nicht ehrgeizigere Dekarbonisierungsziele fest als andere Akteure. Die EZB-Forschenden kommen zum Schluss, dass die Ergebnisse ihrer Studie die aktuelle Debatte über «Greenwashing» und die Frage, ob die Kreditrationierung durch die Banken der Weltwirtschaft dabei helfen kann, ihre Netto-Null-Emissionsziele zu erreichen, erheblich beeinflussen dürfte. Frustration und Zweifel sind also durchaus gerechtfertigt.

Von freiwillig zu verbindlich

Die Diskussion befindet sich an einem Wendepunkt. Das Jahr 2024 wird in der EU wegweisend dafür sein, wie die Transitionspläne der Finanzinstitute (und anderer Marktteilnehmenden) aussehen werden: Tatsächlich sind solche Transitionspläne das Herzstück einer neuen europäischen Regulierungsarchitektur, deren genaue Konturen noch geklärt bzw. harmonisiert werden müssen.2 Um maximale Wirkung zu erzielen, sollten sie nicht einem engen Ansatz des kurz- und mittelfristigen Klimarisikomanagements folgen, sondern die Banken dazu ermutigen, ihre Aktivitäten zugunsten des Übergangs neu auszurichten. Den Aufsichtsbehörden müssen Befugnisse zugestanden werden, und für den Fall der Nichteinhaltung sind Sanktionen vorzusehen.

In der Schweiz sind als erster Schritt grosse Unternehmen – auch die Banken – verpflichtet, ab 2025 «Berichte über Klimabelange» zu veröffentlichen, die Transitionspläne enthalten sollten, welche «mit den Klimazielen der Schweiz vergleichbar» sind. Leider sind die Vorgaben sehr unklar; sie lassen viel Interpretationsspielraum zu, insbesondere in Bezug auf die Transitionspläne. Die ersten Berichte müssen also genau unter die Lupe genommen werden, damit beurteilt werden kann, ob dieser neue Ansatz etwas taugt.

 

 

Die Net Zero Banking Alliance

Die bislang wichtigste freiwillige Klimainitiative der Banken ist die – von den Vereinten Nationen unterstützte – Net Zero Banking Alliance (NZBA), die 144 Mitglieder aus 44 Ländern umfasst und rund 40 % des gesamten verwalteten Vermögens repräsentiert. Mehrere Schweizer Banken sind mit von der Partie, darunter die UBS (Mitbegründerin), die Raiffeisenbank, aber auch die Kantonalbanken (Zürich, Bern und Basel). Mit ihrer Unterschrift verpflichten sich die Banken, ihre Kredit- und Anlageportfolios bis (spätestens) 2050 auf Netto-Null-Emissionen auszurichten, mit Zwischenzielen bis 2030 oder früher. Diese Ziele müssen sich auf die prioritären Sektoren beziehen, welche die Banken definiert haben, also jene Elemente ihrer Portfolios mit den intensivsten Treibhausgasemissionen (THG), auf die die Banken einen grossen Einfluss ausüben können. Darüber hinaus müssen die Banken einen Übergangsplan veröffentlichen, in dem sie darlegen, wie sie ihre sektorspezifischen Ziele erreichen wollen. Obwohl sich die Initiative noch in einem frühen Stadium befindet, macht die Kombination aus detaillierten Zielen, der Überwachung durch die UNO und der externen Validierung die NZBA zu einer strengen, wenn nicht sogar der strengsten Klimainitiative für Banken.

 

 

1 Drei Jahre nach ihrer Unterzeichnung müssen die Banken Ziele für die neun von der NZBA definierten Sektoren Landwirtschaft, Aluminium, Zement, Kohle, Immobilien, Stahl, Öl und Gas, Stromerzeugung und Transport festgelegt haben.

2 In erster Linie geht es darum, die Konsistenz der Ansätze zwischen der Kapitaladäquanzrichtlinie (RCD), der Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (CSRD) sowie der kürzlich verabschiedeten Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) zu gewährleisten.

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