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Die Schweiz im Porzellanladen der COP 23

22.11.2017, Klimagerechtigkeit

An der Klimakonferenz COP 23 lobte Bundespräsidentin Leuthard die Schweiz als Vorbild für andere Länder. Das sieht Jürg Staudenmann, Klimaexperte bei Alliance Sud, im Interview mit kath.ch anders.

Die Schweiz im Porzellanladen der COP 23

© admin.ch

Laut Bundespräsidentin Leuthard hat die Klimakonferenz gezeigt, dass die Staaten willens sind, sich für den Klimaschutz zu engagieren und das Übereinkommen von Paris umzusetzen. Auch Ihre Meinung?

Im Grossen und Ganzen ja. Einmal abgesehen von den paar wenigen Staaten, die sich noch immer mit der Ablösung ihrer Volkswirtschaften von der Erdöl-Abhängigkeit schwertun.

Worin unterscheiden sich die Länder?

Es gibt unterschiedliche Auffassungen darüber, welche Elemente des Pariser Klimaübereinkommens die vordringlichsten sind. Für die Schweiz – das kam aus der Rede der Bundespräsidentin klar zum Ausdruck – geht es in erster Linie darum, ein möglichst striktes Regelwerk zur Eindämmung der Emissionen zu beschliessen.

Für Länder wie Tuvalu oder das präsidierende Fidschi stehen konkrete Fragen des Umgangs mit Klimaveränderungen, klimabedingten Schäden und Verlusten im Vordergrund. Sie verursachen wenig Emissionen, spüren aber die Auswirkungen unserer Emissionen an Leib und Leben.

Was wollen denn die Entwicklungsländer?

Sie monieren genauso wie die Schweiz, dass nicht alle Parteien ihre Verantwortung und Verpflichtungen ernst genug nehmen. Dabei beziehen sie sich auf die in Paris beschlossenen Klimafinanzierungsgelder der Industriestaaten, die im Bereich Klima-Anpassung auch nach fast zehn Jahren erst spärlich fliessen. Und sie verlangen Unterstützung für Schäden und Verluste, die etwa bei so starken Hurrikans und Überschwemmungen wie in diesem Sommer entstehen.

Leuthard fordert verbindliche Regeln und Transparenz zur Umsetzung des Klimaabkommens. Auch die Meinung von Alliance Sud?

Sicher, aber das gilt nicht nur für die Mitigation. Denn die Reduktion von Emissionen ist nur ein Teil des Pariser Klimaübereinkommens, wenn auch ein wichtiger. Daneben gilt es aber auch, den zweiten und dritten Pfeiler des Pariser Klimaübereinkommens vorwärts zu bringen: die Adaptation an die bereits einsetzenden Klimaveränderungen und die Klimafinanzierung. Gerade Klarheit darüber, wann und wie die Entwicklungsländer mit finanzieller und anderer Unterstützung im Kampf gegen den Klimawandel rechnen können, ist zentral für ihre Planung und die Festlegung von verpflichtenden Zielen. Deshalb fordern die Entwicklungsländer, dass auch die Klimafinanzierung gleichberechtigt im Regelwerk berücksichtigt wird, wie das im Pariser Klimaübereinkommen ja auch vorgesehen ist.

Leuthard findet, die Schweiz könnte als Vorbild dienen, denn es sei gelungen, Wirtschaftswachstum und CO2-Emissionen voneinander zu entkoppeln.

Von Vorbild zu sprechen, ist gelinde ausgedrückt mutig. Die leichte Senkung der Emissionen pro Kopf oder pro erwirtschaftetem Franken haben auch andere Staaten geschafft; und nicht wenige in Europa sogar noch deutlich besser als die Schweiz. Ausserdem ist es etwas zynisch von «Entkopplung» zu sprechen, wenn dabei nur die im nationalen Treibhausgasinventar aufgeführten Emissionen angeschaut werden. Denn die Gesamt-Emissionen – also inklusiv Flüge und mit importierten Gütern konsumierte «graue Emissionen» – stagnieren.

Wie schätzen Sie unser ökologisches Verhalten ein?

Nach wie vor fahren Schweizerinnen und Schweizer mehr und vor allem schwerere Autos, fliegen rund doppelt so viele Meilen pro Jahr und konsumieren mehr importierte Güter und Dienstleistungen als die Menschen in unseren Nachbarländern.

Wo hapert es?

Die Schweiz ist noch deutlich nicht auf einem 2-Grad-, geschweige denn 1,5-Grad-kompatiblen Pfad. Auch die bevorstehende CO2-Gesetzesrevision wird diese Lücke bei weitem nicht schliessen, wenn man sieht, was in die Vernehmlassung geschickt wurde. Im Gegenteil: Im Vergleich zu den Jahren unter dem Kyoto-Protokoll ist die Schweizer Emissionsreduktion auf fast die Hälfte zurückgegangen.
Auch hat die Schweiz nach wie vor keine Langzeit-Klimastrategie, wie dies das Pariser Klimaübereinkommen fordert. Ebenso wenig scheint der Bundesrat zu beabsichtigen, eine eigenständige, umfassende Klimagesetzgebung in Angriff zu nehmen.

Und wo steht die Schweiz betreffend Klimafinanzierung?

Da fällt unser Land noch weiter zurück. Der Bericht an die aussenpolitische Kommission vom Mai dieses Jahres zeigt im Prinzip, dass der Bundesrat noch immer keinen konkreten Plan hat, wie er bis in zwei Jahren jährlich wiederkehrende Beiträge in dreifacher Millionenhöhe zur Unterstützung von Klimaschutz- und Anpassungsprojekten in Entwicklungsländern mobilisieren will.
Denn er sagt im Wesentlichen, dass er die Mittel aus dem bestehenden Budget der Entwicklungszusammenarbeit abzweigen will und auf zusätzliche Mittel des Privatsektors hofft. Dafür legte er im Bericht aber keinerlei Lösungsansätze vor.

Was hat Sie besonders irritiert?

Die Aussage der Bundespräsidentin vor den Medien, dass die Schweiz nicht gedenke, ihre Klimaziele von 2030 zu überprüfen und gegebenenfalls nach oben anzupassen, ist besonders besorgniserregend. Denn gemäss Pariser Klimaübereinkommen – für dessen strikte Umsetzung sich die Schweiz ja laut Leuthard so sehr engagiert – müssen das alle Länder alle fünf Jahre machen. Das erste Mal 2018 mit Blick auf 2020.

Die Schweiz will die CO2-Emissionen im Vergleich zu 1990 um 50 Prozent senken. Was halten Sie davon, dass 20 Prozent davon im Ausland erfolgen sollen?

Vorausgesetzt, dass für den Zukauf von Emissionreduktionsbescheinigungen aus dem Ausland die noch ausstehenden Regeln auch wirklich zustande kommen, kann das rein juristisch-technisch betrachtet für eine erste, aber wahrscheinlich eher kurze Zeit funktionieren. Aber das ist Augenwischerei. Denn das Pariser Klimaübereinkommen verlangt, dass bis 2050 alle Länder ihre Emissionen auf Null absenken.
Da wird es schon bald nichts mehr zu kaufen geben, denn die anderen Länder werden sich alle erzielten Fortschritte diesbezüglich selber anrechnen wollen. Nichts führt für die Schweiz darum herum, eben auch im Inland die Emissionen tatsächlich zu senken – und zwar um drei bis vier Prozent pro Jahr, wenn wir die Klimaziele von Paris tatsächlich umsetzen wollen.

Das Interview führte Regula Pfeifer, veröffentlicht wurde es auf kath.ch