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Die neuste Bieridee im Steuerwettbewerb

14.12.2015, Finanzen und Steuern

Die Unternehmenssteuerreform III, die zurzeit im Parlament behandelt wird, führt zu absehbaren Mindereinnahmen von 1.3 Milliarden Franken.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

Die neuste Bieridee im Steuerwettbewerb

Das Parlament behandelt derzeit die Unternehmenssteuerreform III. Die Holding-Privilegien sollen dabei durch Patentboxen ersetzt werden. Entwicklungspolitisch manövriert sich die Schweiz damit vom Regen in die Traufe.
Für jeden US-Dollar, den ein Entwicklungsland gewinnt, verliert es mehr als deren zwei (vgl. Grafik). Zum stetigen Aderlass finanzieller Ressourcen in Entwicklungsländern tragen verschiedene Arten von Kapitaltransfers bei. Gemäss Berechnungen von Eurodad, dem europäischen Netzwerk für Schulden und Entwicklung, verloren Entwicklungsländer 2012 dadurch 1‘583 Milliarden US-Dollar. Das ist über zehnmal mehr, als die 120 Milliarden Dollar, die den Entwicklungsländern 2012 durch die staatliche und private Entwicklungszusammenarbeit zuflossen.

Den Ärmsten wird am meisten geschadet

Am meisten verlieren bei diesen Kapitaltransfers gemäss Analysen der Weltbank die ärmsten Länder. Dabei hat Eurodad in die oben zitierten Statistiken die jährlich durch Steuerflucht privater Vermögen und durch missbräuchliche Steuervermeidungen der Konzerne verursachten Steuerverluste in den Entwicklungsländern noch nicht einmal eingerechnet. Im neusten Financial Secrecy Index (FSI) schätzen SteuerexpertInnen des Tax Justice Network, dass aktuell weltweit 21 bis 32 Billionen US-Dollar nur leicht versteuerter oder gänzlich unversteuerter privater Vermögen in Steueroasen lagern. Auch reiche Steuerzahler aus Entwicklungsländern steuern zu dieser Unsumme einen signifikanten Anteil bei. Die Kapitalabflüsse behindern im globalen Süden den Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen und verhindern öffentliche Investitionen in Bildung, Gesundheit und Infrastruktur. In den 146 ärmeren Entwicklungsländern der Welt leben zudem 870 Millionen Menschen ohne irgendeine soziale Absicherung.

Die Schweiz als Oasenkönigin

In der FSI-Rangliste der undurchsichtigsten Finanzplätze der Welt tauchte die Schweiz im Oktober einmal mehr auf Platz 1 auf. Mit der vorgesehenen Abschaffung der Holding-Privilegien für Unternehmen durch die Unternehmenssteuerreform III (USR III) und der Einführung eines automatischen Informationsaustauschs mit den (reichen) OECD-Ländern ab 2018, haben Bundesrat und Parlament auf den langjährigen ausländischen Druck auf die Steueroase Schweiz reagiert.
In der multilateralen Bekämpfung schädlicher Steuerpraktiken ist die OECD seit 2012 führend. Anfang Oktober hat sie die Ergebnisse ihres «Base Erosion and Profit Shifting» Projekts – kurz BEPS – präsentiert. Damit sollen Unternehmen ihre Gewinne dort versteuern, wo sie sie erwirtschaften.
Die von BEPS nicht mehr tolerierten Schweizer Holding-Privilegien sind vor allem für die Volkswirtschaften der Kantone Genf, Waadt und Basel-Stadt sehr wichtig. Am Genfersee profitieren Rohstoffhändler und Finanzintermediäre von diesen Steuererleichterungen. In Basel ist es die Pharmaindustrie, die im Stadtkanton 27% der Wertschöpfung erwirtschaftet. 58% der gesamten Gewinnsteuer-Einnahmen kommen in Basel-Stadt von steuerlich privilegierten Gesellschaften. Zum Vergleich: In Zürich liegt diese Quote trotz Finanzplatz bei nur 7%, im Wallis mit seinen vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen gar nur bei 0,7.
Um die volkswirtschaftlichen Sorgen der betroffenen Kantone zu lindern, schlägt der Bundesrat im Rahmen der USR III die Einführung einer sogenannten Patentbox für Forschung und Entwicklung im Bereich des Immaterialgüterwesens (F&E&I) vor: Gewinne, die auf Einnahmen aus Patenten und weitere Rechte zurückgehen, sollen privilegiert besteuert werden. Patentboxen schaden allerdings sowohl dem Norden wie dem Süden, weil transnationale Unternehmen ihre Zahlungsströme und Profite damit weiterhin über Steueroasen abwickeln können. Die Schweiz ersetzt mit ihrer Einführung also ein auch aus entwicklungspolitischer Sicht schädliches Steuerregime durch das nächste.

Schales Bier

Wie solche Profitverschiebungen vom Süden in den Norden und auch in die Schweiz funktionieren, zeigten 2010 Recherchen des britischen Hilfswerkes ActionAid über SABMiller, den damals grössten Bierproduzenten der Welt. Über eine Tochterfirma kontrollierte der Bierriese damals 30% des Marktes in Ghana, wo die Einkommenssteuer 25% betrug. Seinen Gewinn versteuerte der Konzern allerdings nicht in Ghana, sondern in Holland und in Zug. Die Niederlande boten schon damals Patentboxen an, die auch Steuererleichterungen auf Markenrechte gewährten. SABMiller platzierte die Markenrechte seiner afrikanischen Biersorten in einer solchen Box und knöpfte für diese seinen ghanaischen Tochterfirmen gleichzeitig rekordhohe Gebühren ab. So verschob der Bierbrauer seine Profite aus Ghana nach Holland. Beraten liess sich SABMiller dabei unter anderen von einer konzerneigenen Consultingfirma mit Sitz in der Steueroase Zug, wo die Gewinnsteuern im Dienstleistungsbereich sehr tief sind. Für ihr Beratungsmandat verrechnete die SABMiller-Tochter in Zug ihrer Schwester-Brauerei in Ghana jährlich 1,5 Millionen Franken (stolze 4,6% des Umsatzes in Ghana). So verschob der Konzern SAB Miller auch Gewinne aus Westafrika nach Zug.
Eine solche sehr breite Patent- bzw. Lizenzbox nach dem holländischen Vorbild existiert seit 2011 auch im Kanton Nidwalden. Man gewährt dort Steuererleichterungen auf Patente, Marken, Software, Domainnamen und anderem. Nidwalden wird diese Box allerdings ab 2016 nicht mehr anbieten, da sie im Widerspruch zum sogenannten Nexus-Approach der OECD steht, der im Rahmen des BEPS-Prozesses verabschiedet wurde. Er macht die Durchführung von Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten im Land, das die Steuerbegünstigungen gewährt, grundsätzlich zur Bedingung. Er ermöglicht aber in der konkreten Ausgestaltung der Box einigen Spielraum. Wie eng der Nexus Approach in der Schweizer Patentbox genau ausgelegt werden soll, wird im Gesetzesentwurf, über den der Ständerat in der aktuellen Wintersession berät, nicht geklärt. Der Bundesrat wird die genauen Ausführungsbestimmungen der Schweizer Patentbox 2016 im Rahmen einer Verordnung klären. Die Patentbox-Lösung, die das Steuerungsorgan des Bundes 2013 vorgeschlagen hat, verlangt allerdings nicht, dass die begünstigten F&E&I-Aktivitäten effektiv in der Schweiz stattfinden müssten. Das betreffende Unternehmen müsste lediglich nachweisen, dass es über Immaterialgüter verfügt, die auf F&E&I hinweisen. Damit besteht die Gefahr von neuen Schlupflöchern, die Profitverschiebungen aus Entwicklungsländern in die Schweiz weiterhin möglich machten. Es sollten deshalb nur Steuererleichterungen auf Patenterträge gewährt werden, die auf effektiv in der Schweiz erbrachte Forschungs- und Entwicklungsleistungen zurückgeführt werden können.
Obwohl die USR III internationale Bemühungen zu einer Unterbindung gewisser Steuervermeidungs-Praktiken berücksichtigt, stellt sie also gleichzeitig ein starkes Bekenntnis zum verheerenden weltweiten Steuerwettbewerb dar. Dieser verschärft die globale Ungleichheit und höhlt die finanzielle Basis für funktionierende Gemeinwesen aus: Indem Unternehmen und reiche Privatpersonen Länder und Kantone gegeneinander ausspielen, entsteht in Steuerbelangen ein Race to the bottom, mit dem immer mehr Kapital am Fiskus vorbeigeschleust wird. Daran werden sich die Schweizer Kantone auch nach der USR III weiter prominent beteiligen können.
Die letzte Unternehmenssteuerreform hat die Steuerzahlerinnen einen zweistelligen Milliardenbetrag gekostet. Optimistische Berechnungen gehen bei der USR III von Kosten von mindestens 1,3 Milliarden Franken aus. Kompensationen für die Steuerausfälle der USR III sind derweil keine vorgesehen. Und es ist zu befürchten, dass bei der nächsten absehbaren Sparrunde im Bundeshaushalt auch wieder bei der Entwicklungszusammenarbeit gespart werden wird.

Dieser Artikel wurde in GLOBAL+ (Winter 2015/16) publiziert.